Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
Einleitung.

Die Lust zum Wissen wird bey dem Menschen zu-
erst dadurch angeregt, daß er bedeutende Phäno-
mene gewahr wird, die seine Aufmerksamkeit an
sich ziehen. Damit nun diese dauernd bleibe, so
muß sich eine innigere Theilnahme finden, die uns
nach und nach mit den Gegenständen bekannter
macht. Alsdann bemerken wir erst eine große
Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt.
Wir sind genöthigt, zu sondern, zu unterscheiden
und wieder zusammenzustellen; wodurch zuletzt eine
Ordnung entsteht, die sich mit mehr oder weniger
Zufriedenheit übersehen läßt.

Dieses in irgend einem Fache nur einigerma-
ßen zu leisten, wird eine anhaltende strenge Be-
schäftigung nöthig. Deswegen finden wir, daß die
Menschen lieber durch eine allgemeine theoretische
Ansicht, durch irgend eine Erklärungsart die Phä-
nomene bey Seite bringen, anstatt sich die Mühe

*** 2
Einleitung.

Die Luſt zum Wiſſen wird bey dem Menſchen zu-
erſt dadurch angeregt, daß er bedeutende Phaͤno-
mene gewahr wird, die ſeine Aufmerkſamkeit an
ſich ziehen. Damit nun dieſe dauernd bleibe, ſo
muß ſich eine innigere Theilnahme finden, die uns
nach und nach mit den Gegenſtaͤnden bekannter
macht. Alsdann bemerken wir erſt eine große
Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt.
Wir ſind genoͤthigt, zu ſondern, zu unterſcheiden
und wieder zuſammenzuſtellen; wodurch zuletzt eine
Ordnung entſteht, die ſich mit mehr oder weniger
Zufriedenheit uͤberſehen laͤßt.

Dieſes in irgend einem Fache nur einigerma-
ßen zu leiſten, wird eine anhaltende ſtrenge Be-
ſchaͤftigung noͤthig. Deswegen finden wir, daß die
Menſchen lieber durch eine allgemeine theoretiſche
Anſicht, durch irgend eine Erklaͤrungsart die Phaͤ-
nomene bey Seite bringen, anſtatt ſich die Muͤhe

*** 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0041" n="[XXXV]"/>
      <div n="1">
        <head> </head>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Lu&#x017F;t zum Wi&#x017F;&#x017F;en wird bey dem Men&#x017F;chen zu-<lb/>
er&#x017F;t dadurch angeregt, daß er bedeutende Pha&#x0364;no-<lb/>
mene gewahr wird, die &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit an<lb/>
&#x017F;ich ziehen. Damit nun die&#x017F;e dauernd bleibe, &#x017F;o<lb/>
muß &#x017F;ich eine innigere Theilnahme finden, die uns<lb/>
nach und nach mit den Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden bekannter<lb/>
macht. Alsdann bemerken wir er&#x017F;t eine große<lb/>
Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt.<lb/>
Wir &#x017F;ind geno&#x0364;thigt, zu &#x017F;ondern, zu unter&#x017F;cheiden<lb/>
und wieder zu&#x017F;ammenzu&#x017F;tellen; wodurch zuletzt eine<lb/>
Ordnung ent&#x017F;teht, die &#x017F;ich mit mehr oder weniger<lb/>
Zufriedenheit u&#x0364;ber&#x017F;ehen la&#x0364;ßt.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es in irgend einem Fache nur einigerma-<lb/>
ßen zu lei&#x017F;ten, wird eine anhaltende &#x017F;trenge Be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigung no&#x0364;thig. Deswegen finden wir, daß die<lb/>
Men&#x017F;chen lieber durch eine allgemeine theoreti&#x017F;che<lb/>
An&#x017F;icht, durch irgend eine Erkla&#x0364;rungsart die Pha&#x0364;-<lb/>
nomene bey Seite bringen, an&#x017F;tatt &#x017F;ich die Mu&#x0364;he<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">*** 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[XXXV]/0041] Einleitung. Die Luſt zum Wiſſen wird bey dem Menſchen zu- erſt dadurch angeregt, daß er bedeutende Phaͤno- mene gewahr wird, die ſeine Aufmerkſamkeit an ſich ziehen. Damit nun dieſe dauernd bleibe, ſo muß ſich eine innigere Theilnahme finden, die uns nach und nach mit den Gegenſtaͤnden bekannter macht. Alsdann bemerken wir erſt eine große Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt. Wir ſind genoͤthigt, zu ſondern, zu unterſcheiden und wieder zuſammenzuſtellen; wodurch zuletzt eine Ordnung entſteht, die ſich mit mehr oder weniger Zufriedenheit uͤberſehen laͤßt. Dieſes in irgend einem Fache nur einigerma- ßen zu leiſten, wird eine anhaltende ſtrenge Be- ſchaͤftigung noͤthig. Deswegen finden wir, daß die Menſchen lieber durch eine allgemeine theoretiſche Anſicht, durch irgend eine Erklaͤrungsart die Phaͤ- nomene bey Seite bringen, anſtatt ſich die Muͤhe *** 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/41
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. [XXXV]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/41>, abgerufen am 03.12.2024.