Zweyte Bedingung. Wenn man eine ange- hauchte Glasplatte mit dem Finger abwischt und so- gleich wieder anhaucht, sieht man sehr lebhaft durch einander schwebende Farben, welche, indem der Hauch abläuft, ihren Ort verändern und zuletzt mit dem Hau- che verschwinden. Wiederholt man diese Operation, so werden die Farben lebhafter und schöner, und scheinen auch länger als die ersten Male zu bestehen.
456.
So schnell auch dieses Phänomen vorübergeht und so confus es zu seyn scheint, so glaub' ich doch fol- gendes bemerkt zu haben. Im Anfange erscheinen alle Grundfarben und ihre Zusammensetzungen. Haucht man stärker, so kann man die Erscheinung in einer Folge gewahr werden. Dabey läßt sich bemerken, daß, wenn der Hauch im Ablaufen sich von allen Seiten ge- gen die Mitte des Glases zieht, die blaue Farbe zu- letzt verschwindet.
457.
Das Phänomen entsteht am leichtesten zwischen den zarten Streifen, welche der Strich des Fingers auf der klaren Fläche zurückläßt, oder es erfordert eine sonstige gewissermaßen rauhe Disposition der Oberfläche des Körpers. Auf manchen Gläsern kann man durch den bloßen Hauch schon die Farbenerscheinung hervor- bringen, auf andern hingegen ist das Reiben mit dem Finger nöthig; ja ich habe geschliffene Spiegelgläser
455.
Zweyte Bedingung. Wenn man eine ange- hauchte Glasplatte mit dem Finger abwiſcht und ſo- gleich wieder anhaucht, ſieht man ſehr lebhaft durch einander ſchwebende Farben, welche, indem der Hauch ablaͤuft, ihren Ort veraͤndern und zuletzt mit dem Hau- che verſchwinden. Wiederholt man dieſe Operation, ſo werden die Farben lebhafter und ſchoͤner, und ſcheinen auch laͤnger als die erſten Male zu beſtehen.
456.
So ſchnell auch dieſes Phaͤnomen voruͤbergeht und ſo confus es zu ſeyn ſcheint, ſo glaub’ ich doch fol- gendes bemerkt zu haben. Im Anfange erſcheinen alle Grundfarben und ihre Zuſammenſetzungen. Haucht man ſtaͤrker, ſo kann man die Erſcheinung in einer Folge gewahr werden. Dabey laͤßt ſich bemerken, daß, wenn der Hauch im Ablaufen ſich von allen Seiten ge- gen die Mitte des Glaſes zieht, die blaue Farbe zu- letzt verſchwindet.
457.
Das Phaͤnomen entſteht am leichteſten zwiſchen den zarten Streifen, welche der Strich des Fingers auf der klaren Flaͤche zuruͤcklaͤßt, oder es erfordert eine ſonſtige gewiſſermaßen rauhe Dispoſition der Oberflaͤche des Koͤrpers. Auf manchen Glaͤſern kann man durch den bloßen Hauch ſchon die Farbenerſcheinung hervor- bringen, auf andern hingegen iſt das Reiben mit dem Finger noͤthig; ja ich habe geſchliffene Spiegelglaͤſer
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455.
Zweyte Bedingung. Wenn man eine ange-
hauchte Glasplatte mit dem Finger abwiſcht und ſo-
gleich wieder anhaucht, ſieht man ſehr lebhaft durch
einander ſchwebende Farben, welche, indem der Hauch
ablaͤuft, ihren Ort veraͤndern und zuletzt mit dem Hau-
che verſchwinden. Wiederholt man dieſe Operation, ſo
werden die Farben lebhafter und ſchoͤner, und ſcheinen
auch laͤnger als die erſten Male zu beſtehen.
456.
So ſchnell auch dieſes Phaͤnomen voruͤbergeht und
ſo confus es zu ſeyn ſcheint, ſo glaub’ ich doch fol-
gendes bemerkt zu haben. Im Anfange erſcheinen alle
Grundfarben und ihre Zuſammenſetzungen. Haucht
man ſtaͤrker, ſo kann man die Erſcheinung in einer
Folge gewahr werden. Dabey laͤßt ſich bemerken, daß,
wenn der Hauch im Ablaufen ſich von allen Seiten ge-
gen die Mitte des Glaſes zieht, die blaue Farbe zu-
letzt verſchwindet.
457.
Das Phaͤnomen entſteht am leichteſten zwiſchen den
zarten Streifen, welche der Strich des Fingers auf
der klaren Flaͤche zuruͤcklaͤßt, oder es erfordert eine
ſonſtige gewiſſermaßen rauhe Dispoſition der Oberflaͤche
des Koͤrpers. Auf manchen Glaͤſern kann man durch
den bloßen Hauch ſchon die Farbenerſcheinung hervor-
bringen, auf andern hingegen iſt das Reiben mit dem
Finger noͤthig; ja ich habe geſchliffene Spiegelglaͤſer
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/229>, abgerufen am 21.11.2024.
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