Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

ab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung
niedersteigen kann. Ein solches Urphänomen ist dasje-
nige, das wir bisher dargestellt haben. Wir sehen auf
der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern
die Finsterniß, das Dunkle, wir bringen die Trübe
zwischen beyde, und aus diesen Gegensätzen, mit Hülfe
gedachter Vermittlung, entwickeln sich, gleichfalls in
einem Gegensatz, die Farben, deuten aber alsbald,
durch einen Wechselbezug, unmittelbar auf ein Ge-
meinsames wieder zurück.

176.

In diesem Sinne halten wir den in der Naturfor-
schung begangenen Fehler für sehr groß, daß man ein
abgeleitetes Phänomen an die obere Stelle, das Ur-
phänomen an die niedere Stelle setzte, ja sogar das
abgeleitete Phänomen wieder auf den Kopf stellte, und
an ihm das Zusammengesetzte für ein Einfaches, das
Einfache für ein Zusammengesetztes gelten ließ; durch
welches Hinterstzuvörderst die wunderlichsten Verwick-
lungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen
sind, an welchen sie noch leidet.

177.

Wäre denn aber auch ein solches Urphänomen ge-
funden, so bleibt immer noch das Uebel, daß man es
nicht als ein solches anerkennen will, daß wir hinter
ihm und über ihm noch etwas weiteres aufsuchen, da
wir doch hier die Gränze des Schauens eingestehen
sollten. Der Naturforscher lasse die Urphänomene in

5 *

ab bis zu dem gemeinſten Falle der taͤglichen Erfahrung
niederſteigen kann. Ein ſolches Urphaͤnomen iſt dasje-
nige, das wir bisher dargeſtellt haben. Wir ſehen auf
der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern
die Finſterniß, das Dunkle, wir bringen die Truͤbe
zwiſchen beyde, und aus dieſen Gegenſaͤtzen, mit Huͤlfe
gedachter Vermittlung, entwickeln ſich, gleichfalls in
einem Gegenſatz, die Farben, deuten aber alsbald,
durch einen Wechſelbezug, unmittelbar auf ein Ge-
meinſames wieder zuruͤck.

176.

In dieſem Sinne halten wir den in der Naturfor-
ſchung begangenen Fehler fuͤr ſehr groß, daß man ein
abgeleitetes Phaͤnomen an die obere Stelle, das Ur-
phaͤnomen an die niedere Stelle ſetzte, ja ſogar das
abgeleitete Phaͤnomen wieder auf den Kopf ſtellte, und
an ihm das Zuſammengeſetzte fuͤr ein Einfaches, das
Einfache fuͤr ein Zuſammengeſetztes gelten ließ; durch
welches Hinterſtzuvoͤrderſt die wunderlichſten Verwick-
lungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen
ſind, an welchen ſie noch leidet.

177.

Waͤre denn aber auch ein ſolches Urphaͤnomen ge-
funden, ſo bleibt immer noch das Uebel, daß man es
nicht als ein ſolches anerkennen will, daß wir hinter
ihm und uͤber ihm noch etwas weiteres aufſuchen, da
wir doch hier die Graͤnze des Schauens eingeſtehen
ſollten. Der Naturforſcher laſſe die Urphaͤnomene in

5 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0121" n="67"/>
ab bis zu dem gemein&#x017F;ten Falle der ta&#x0364;glichen Erfahrung<lb/>
nieder&#x017F;teigen kann. Ein &#x017F;olches Urpha&#x0364;nomen i&#x017F;t dasje-<lb/>
nige, das wir bisher darge&#x017F;tellt haben. Wir &#x017F;ehen auf<lb/>
der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern<lb/>
die Fin&#x017F;terniß, das Dunkle, wir bringen die Tru&#x0364;be<lb/>
zwi&#x017F;chen beyde, und aus die&#x017F;en Gegen&#x017F;a&#x0364;tzen, mit Hu&#x0364;lfe<lb/>
gedachter Vermittlung, entwickeln &#x017F;ich, gleichfalls in<lb/>
einem Gegen&#x017F;atz, die Farben, deuten aber alsbald,<lb/>
durch einen Wech&#x017F;elbezug, unmittelbar auf ein Ge-<lb/>
mein&#x017F;ames wieder zuru&#x0364;ck.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>176.</head><lb/>
              <p>In die&#x017F;em Sinne halten wir den in der Naturfor-<lb/>
&#x017F;chung begangenen Fehler fu&#x0364;r &#x017F;ehr groß, daß man ein<lb/>
abgeleitetes Pha&#x0364;nomen an die obere Stelle, das Ur-<lb/>
pha&#x0364;nomen an die niedere Stelle &#x017F;etzte, ja &#x017F;ogar das<lb/>
abgeleitete Pha&#x0364;nomen wieder auf den Kopf &#x017F;tellte, und<lb/>
an ihm das Zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte fu&#x0364;r ein Einfaches, das<lb/>
Einfache fu&#x0364;r ein Zu&#x017F;ammenge&#x017F;etztes gelten ließ; durch<lb/>
welches Hinter&#x017F;tzuvo&#x0364;rder&#x017F;t die wunderlich&#x017F;ten Verwick-<lb/>
lungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen<lb/>
&#x017F;ind, an welchen &#x017F;ie noch leidet.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>177.</head><lb/>
              <p>Wa&#x0364;re denn aber auch ein &#x017F;olches Urpha&#x0364;nomen ge-<lb/>
funden, &#x017F;o bleibt immer noch das Uebel, daß man es<lb/>
nicht als ein &#x017F;olches anerkennen will, daß wir hinter<lb/>
ihm und u&#x0364;ber ihm noch etwas weiteres auf&#x017F;uchen, da<lb/>
wir doch hier die Gra&#x0364;nze des Schauens einge&#x017F;tehen<lb/>
&#x017F;ollten. Der Naturfor&#x017F;cher la&#x017F;&#x017F;e die Urpha&#x0364;nomene in<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5 *</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0121] ab bis zu dem gemeinſten Falle der taͤglichen Erfahrung niederſteigen kann. Ein ſolches Urphaͤnomen iſt dasje- nige, das wir bisher dargeſtellt haben. Wir ſehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern die Finſterniß, das Dunkle, wir bringen die Truͤbe zwiſchen beyde, und aus dieſen Gegenſaͤtzen, mit Huͤlfe gedachter Vermittlung, entwickeln ſich, gleichfalls in einem Gegenſatz, die Farben, deuten aber alsbald, durch einen Wechſelbezug, unmittelbar auf ein Ge- meinſames wieder zuruͤck. 176. In dieſem Sinne halten wir den in der Naturfor- ſchung begangenen Fehler fuͤr ſehr groß, daß man ein abgeleitetes Phaͤnomen an die obere Stelle, das Ur- phaͤnomen an die niedere Stelle ſetzte, ja ſogar das abgeleitete Phaͤnomen wieder auf den Kopf ſtellte, und an ihm das Zuſammengeſetzte fuͤr ein Einfaches, das Einfache fuͤr ein Zuſammengeſetztes gelten ließ; durch welches Hinterſtzuvoͤrderſt die wunderlichſten Verwick- lungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen ſind, an welchen ſie noch leidet. 177. Waͤre denn aber auch ein ſolches Urphaͤnomen ge- funden, ſo bleibt immer noch das Uebel, daß man es nicht als ein ſolches anerkennen will, daß wir hinter ihm und uͤber ihm noch etwas weiteres aufſuchen, da wir doch hier die Graͤnze des Schauens eingeſtehen ſollten. Der Naturforſcher laſſe die Urphaͤnomene in 5 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/121
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/121>, abgerufen am 22.12.2024.