Wer sich noch, aus der Hälfte des vo- rigen Jahrhunderts, erinnert, wie unter den Protestanten Deutschlands nicht allein Geist- liche, sondern auch wohl Layen gefunden wurden, welche mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht, dass sie, als lebendige Concordanz, von allen Sprü- chen, wo und in welchem Zusammenhange sie zu finden, Rechenschaft zu geben sich geübt haben, die Hauptstellen aber auswen- dig wussten und solche zu irgend einer Anwendung immerfort bereit hielten; der wird zugleich gestehen dass für solche Män- ner eine grosse Bildung daraus erwachsen musste, weil das Gedächtniss, immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt, dem Gefühl, dem Urtheil reinen Stoff zu Genuss und Behandlung aufbewahrte. Man nannte
Hafis.
Stirbt 1389.
Wer sich noch, aus der Hälfte des vo- rigen Jahrhunderts, erinnert, wie unter den Protestanten Deutschlands nicht allein Geist- liche, sondern auch wohl Layen gefunden wurden, welche mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht, daſs sie, als lebendige Concordanz, von allen Sprü- chen, wo und in welchem Zusammenhange sie zu finden, Rechenschaft zu geben sich geübt haben, die Hauptstellen aber auswen- dig wuſsten und solche zu irgend einer Anwendung immerfort bereit hielten; der wird zugleich gestehen daſs für solche Män- ner eine groſse Bildung daraus erwachsen muſste, weil das Gedächtniſs, immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt, dem Gefühl, dem Urtheil reinen Stoff zu Genuſs und Behandlung aufbewahrte. Man nannte
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Hafis.
Stirbt 1389.
Wer sich noch, aus der Hälfte des vo-
rigen Jahrhunderts, erinnert, wie unter den
Protestanten Deutschlands nicht allein Geist-
liche, sondern auch wohl Layen gefunden
wurden, welche mit den heiligen Schriften
sich dergestalt bekannt gemacht, daſs sie,
als lebendige Concordanz, von allen Sprü-
chen, wo und in welchem Zusammenhange
sie zu finden, Rechenschaft zu geben sich
geübt haben, die Hauptstellen aber auswen-
dig wuſsten und solche zu irgend einer
Anwendung immerfort bereit hielten; der
wird zugleich gestehen daſs für solche Män-
ner eine groſse Bildung daraus erwachsen
muſste, weil das Gedächtniſs, immer mit
würdigen Gegenständen beschäftigt, dem
Gefühl, dem Urtheil reinen Stoff zu Genuſs
und Behandlung aufbewahrte. Man nannte
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/324>, abgerufen am 21.11.2024.
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