Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.Was klagst du über Feinde? Sollten solche je werden Freunde, Denen das Wesen wie du bist Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist. Dümmer ist nichts zu ertragen, Als wenn Dumme sagen den Weisen: Dass sie sich in grossen Tagen Sollten bescheidentlich erweisen. Wenn Gott so schlechter Nachbar wäre Als ich bin und als du bist, Wir hätten beyde wenig Ehre; Der lässt einen jeden wie er ist. Gesteht's! Die Dichter des Orients Sind grösser als wir des Occidents. Worin wir sie aber völlig erreichen, Das ist im Hass auf unsres Gleichen. Was klagst du über Feinde? Sollten solche je werden Freunde, Denen das Wesen wie du bist Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist. Dümmer ist nichts zu ertragen, Als wenn Dumme sagen den Weisen: Daſs sie sich in groſsen Tagen Sollten bescheidentlich erweisen. Wenn Gott so schlechter Nachbar wäre Als ich bin und als du bist, Wir hätten beyde wenig Ehre; Der läſst einen jeden wie er ist. Gesteht’s! Die Dichter des Orients Sind gröſser als wir des Occidents. Worin wir sie aber völlig erreichen, Das ist im Haſs auf unsres Gleichen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0112" n="102"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <lg type="poem"> <l>Was klagst du über Feinde?</l><lb/> <l>Sollten solche je werden Freunde,</l><lb/> <l>Denen das Wesen wie du bist</l><lb/> <l>Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist.</l> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <lg type="poem"> <l>Dümmer ist nichts zu ertragen,</l><lb/> <l>Als wenn Dumme sagen den Weisen:</l><lb/> <l>Daſs sie sich in groſsen Tagen</l><lb/> <l>Sollten bescheidentlich erweisen.</l> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <lg type="poem"> <l>Wenn Gott so schlechter Nachbar wäre</l><lb/> <l>Als ich bin und als du bist,</l><lb/> <l>Wir hätten beyde wenig Ehre;</l><lb/> <l>Der läſst einen jeden wie er ist.</l> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <lg type="poem"> <l>Gesteht’s! Die Dichter des Orients</l><lb/> <l>Sind gröſser als wir des Occidents.</l><lb/> <l>Worin wir sie aber völlig erreichen,</l><lb/> <l>Das ist im Haſs auf unsres Gleichen.</l> </lg><lb/> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [102/0112]
Was klagst du über Feinde?
Sollten solche je werden Freunde,
Denen das Wesen wie du bist
Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist.
Dümmer ist nichts zu ertragen,
Als wenn Dumme sagen den Weisen:
Daſs sie sich in groſsen Tagen
Sollten bescheidentlich erweisen.
Wenn Gott so schlechter Nachbar wäre
Als ich bin und als du bist,
Wir hätten beyde wenig Ehre;
Der läſst einen jeden wie er ist.
Gesteht’s! Die Dichter des Orients
Sind gröſser als wir des Occidents.
Worin wir sie aber völlig erreichen,
Das ist im Haſs auf unsres Gleichen.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/112>, abgerufen am 22.02.2025. |