[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.DIE ERFINDUNG DES SAITENSPIELS UND DES GESANGES. IN der ersten Jugend der Tage, da die wenigen DIE ERFINDUNG DES SAITENSPIELS UND DES GESANGES. IN der erſten Jugend der Tage, da die wenigen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0096" n="91"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">DIE ERFINDUNG</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#g">DES SAITENSPIELS UND DES<lb/> GESANGES.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">I</hi>N der erſten Jugend der Tage, da die wenigen<lb/> Bedürfniſse der Unſchuld und die Natur unter den<lb/> noch unverdorbenen Menſchen die jungen Künſte<lb/> erzeugten, da lebt’ ein Mädchen: In denſelben<lb/> Tagen war keines ſo ſchön, keines war ſo zärtlich<lb/> gebildet, die Schönheiten der Natur zu empfin-<lb/> den; Freuden-Thränen begrüſsten das Morgen-<lb/> roth und die ſchöne Gegend, und Entzüken das<lb/> Abendroth und den Schimmer des Monds. Da-<lb/> mals war der Geſang noch ein Regel-loſes Jauch-<lb/> zen der Freude. So bald der frühe Hahn von der<lb/> Hütte rief, daſs der Morgen da ſey; denn da hat-<lb/> ten ſie ſich zur Freude ſchon geſellige Thiere mit<lb/> Speiſe vor die Hütte gewöhnet; dann gieng ſie<lb/> unter ihrem ſchüzenden Dach hervor, ein Dach<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0096]
DIE ERFINDUNG
DES SAITENSPIELS UND DES
GESANGES.
IN der erſten Jugend der Tage, da die wenigen
Bedürfniſse der Unſchuld und die Natur unter den
noch unverdorbenen Menſchen die jungen Künſte
erzeugten, da lebt’ ein Mädchen: In denſelben
Tagen war keines ſo ſchön, keines war ſo zärtlich
gebildet, die Schönheiten der Natur zu empfin-
den; Freuden-Thränen begrüſsten das Morgen-
roth und die ſchöne Gegend, und Entzüken das
Abendroth und den Schimmer des Monds. Da-
mals war der Geſang noch ein Regel-loſes Jauch-
zen der Freude. So bald der frühe Hahn von der
Hütte rief, daſs der Morgen da ſey; denn da hat-
ten ſie ſich zur Freude ſchon geſellige Thiere mit
Speiſe vor die Hütte gewöhnet; dann gieng ſie
unter ihrem ſchüzenden Dach hervor, ein Dach
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