BEy stillem Abend hatte Mirtil noch den Mond- beglänzten Sumpf besucht, die stille Gegend im Mondschein und das Lied der Nachtigal hatten ihn in stillem Entzüken aufgehalten. Aber izt kam er zurük, in die grüne Laube von Reben vor seiner einsamen Hütte, und fande seinen alten Vater sanftschlummernd am Mondschein, hinge- sunken, sein graues Haupt auf den einen Arm hingelehnt. Da stellt er sich, die Arme in ein- ander geschlungen, vor ihm hin. Lang stand er da, sein Blik ruhete unverwandt auf dem Greisen, nur blikt' er zuweilen auf, durch das glänzende Reblaub zum Himmel, und Freuden-Thränen roll- ten dem Sohn vom Auge.
O du! so sprach er izt, du, den ich nächst den Göttern am meisten ehre! Vater! wie sanft schlummerst du da! Wie lächelnd ist der Schlaf
MIRTIL.
BEy ſtillem Abend hatte Mirtil noch den Mond- beglänzten Sumpf beſucht, die ſtille Gegend im Mondſchein und das Lied der Nachtigal hatten ihn in ſtillem Entzüken aufgehalten. Aber izt kam er zurük, in die grüne Laube von Reben vor ſeiner einſamen Hütte, und fande ſeinen alten Vater ſanftſchlummernd am Mondſchein, hinge- ſunken, ſein graues Haupt auf den einen Arm hingelehnt. Da ſtellt er ſich, die Arme in ein- ander geſchlungen, vor ihm hin. Lang ſtand er da, ſein Blik ruhete unverwandt auf dem Greiſen, nur blikt’ er zuweilen auf, durch das glänzende Reblaub zum Himmel, und Freuden-Thränen roll- ten dem Sohn vom Auge.
O du! ſo ſprach er izt, du, den ich nächſt den Göttern am meiſten ehre! Vater! wie ſanft ſchlummerſt du da! Wie lächelnd iſt der Schlaf
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MIRTIL.
BEy ſtillem Abend hatte Mirtil noch den Mond-
beglänzten Sumpf beſucht, die ſtille Gegend im
Mondſchein und das Lied der Nachtigal hatten
ihn in ſtillem Entzüken aufgehalten. Aber izt
kam er zurük, in die grüne Laube von Reben
vor ſeiner einſamen Hütte, und fande ſeinen alten
Vater ſanftſchlummernd am Mondſchein, hinge-
ſunken, ſein graues Haupt auf den einen Arm
hingelehnt. Da ſtellt er ſich, die Arme in ein-
ander geſchlungen, vor ihm hin. Lang ſtand er
da, ſein Blik ruhete unverwandt auf dem Greiſen,
nur blikt’ er zuweilen auf, durch das glänzende
Reblaub zum Himmel, und Freuden-Thränen roll-
ten dem Sohn vom Auge.
O du! ſo ſprach er izt, du, den ich nächſt den
Göttern am meiſten ehre! Vater! wie ſanft
ſchlummerſt du da! Wie lächelnd iſt der Schlaf
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/33>, abgerufen am 03.03.2025.
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