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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Zusammenselzung und Zerlegung der Kräfte.
drei Kräfte vorstellen. Wird dann die Kraft O F mit der vierten O D durch das Parallel-
ogramm O F G D zusammengesetzt, so gibt die Diagonale dieses Parallelogrammes die
vereinte Kraft und mittlere Richtung aller vier Kräfte O A, O B, O C und O D an.

§. 120.

Die Anwendungen der über die Zusammensetzung und Zerlegung der Kräfte vorge-Fig.
7.
Tab.
4.

tragenen Sätze sind in der Mechanik sehr mannigfaltig und von der grössten Wich-
tigkeit. Um hierin vorläufig nur ein Beispiel zu geben, wollen wir annehmen, ein Seil
sey an den Punkten M und N befestigt, in der Mitte des Seiles in B ist das Gewicht Q
angehängt; wenn nun gefragt wird, wie stark die zwei Seile M B und N B durch die
Last Q gespannt werden, so verlängere man die Richtung Q B, nach welcher die Last
Q den Punkt B herabzieht, aufwärts nach A, und ziehe aus M die Linie M A parallel zu
N B und eben so die Linie N A parallel zu M B. Wird nun die Last Q durch die Dia-
gonallinie A B vorgestellt, so zerfällt dieselbe in die zwei Seitenkräfte M B und N B.
Nach §. 113 wird sich die Spannung des Seiles M B zur Last Q verhalten, wie M B : A B
oder wie die halbe Länge des Seiles N B M zu 2 B C. Wird nun die Linie B C oder der
Abstand des Punktes B von der Horizontallinie M N gemessen und mit h bezeichnet, so ist die
Spannung des Seiles M B = [Formel 1] . Hieraus ist zu erse-
hen, dass das Seil M B um so stärker gespannt werde, je länger das Seil
und je kleiner der Abstand des Punktes B von der horizontalen Li-
nie M N ist
.

Hieraus erklärt sich:

Erstens. Dass kein Seil, auch ohne angehängte Last, in eine vollkommene Hori-
zontallinie gespannt werden könne, weil es schon durch sein eigenes Gewicht her-
abgezogen wird.
Zweitens. Dass die Spannung des Seiles um so stärker seyn müsse, je näher das-
selbe der Horizontallinie gebracht wird.
Drittens. Dass ein stark gespanntes Seil durch eine geringe Kraft, z. B. durch
den Schlag eines Stockes zerrissen werden könne.
Viertens. Dass man die Haltbarkeit der Seile und Ketten auch dadurch prüfen
könne, wenn man nach und nach grössere Gewichte in B anhängt, jedesmal die
Grösse B C misst, und daraus die Kraft berechnet, von welcher das Seil in jedem
Falle gespannt wird.
§. 121.

Ein zweites Beispiel gibt uns die Erklärung der sogenannten Kniehebel. WennFig.
8.

nämlich 2 feste Stangen oder Stützen A M und A N in A durch ein Gelenke (Charniere)
mit einander verbunden und ihre beiden äussersten Endpunkte M und N zu dem Zwecke
gegen zwei andere feste Körper gestützt werden, um durch den Druck einer in A nach
der Richtung A B angebrachten Kraft P diese 2 Punkte M und N auseinander zu treiben,
so nennt man diese Verbindung einen Kniehebel.

Gerstners Mechanik. Band I. 17

Zusammenselzung und Zerlegung der Kräfte.
drei Kräfte vorstellen. Wird dann die Kraft O F mit der vierten O D durch das Parallel-
ogramm O F G D zusammengesetzt, so gibt die Diagonale dieses Parallelogrammes die
vereinte Kraft und mittlere Richtung aller vier Kräfte O A, O B, O C und O D an.

§. 120.

Die Anwendungen der über die Zusammensetzung und Zerlegung der Kräfte vorge-Fig.
7.
Tab.
4.

tragenen Sätze sind in der Mechanik sehr mannigfaltig und von der grössten Wich-
tigkeit. Um hierin vorläufig nur ein Beispiel zu geben, wollen wir annehmen, ein Seil
sey an den Punkten M und N befestigt, in der Mitte des Seiles in B ist das Gewicht Q
angehängt; wenn nun gefragt wird, wie stark die zwei Seile M B und N B durch die
Last Q gespannt werden, so verlängere man die Richtung Q B, nach welcher die Last
Q den Punkt B herabzieht, aufwärts nach A, und ziehe aus M die Linie M A parallel zu
N B und eben so die Linie N A parallel zu M B. Wird nun die Last Q durch die Dia-
gonallinie A B vorgestellt, so zerfällt dieselbe in die zwei Seitenkräfte M B und N B.
Nach §. 113 wird sich die Spannung des Seiles M B zur Last Q verhalten, wie M B : A B
oder wie die halbe Länge des Seiles N B M zu 2 B C. Wird nun die Linie B C oder der
Abstand des Punktes B von der Horizontallinie M N gemessen und mit h bezeichnet, so ist die
Spannung des Seiles M B = [Formel 1] . Hieraus ist zu erse-
hen, dass das Seil M B um so stärker gespannt werde, je länger das Seil
und je kleiner der Abstand des Punktes B von der horizontalen Li-
nie M N ist
.

Hieraus erklärt sich:

Erstens. Dass kein Seil, auch ohne angehängte Last, in eine vollkommene Hori-
zontallinie gespannt werden könne, weil es schon durch sein eigenes Gewicht her-
abgezogen wird.
Zweitens. Dass die Spannung des Seiles um so stärker seyn müsse, je näher das-
selbe der Horizontallinie gebracht wird.
Drittens. Dass ein stark gespanntes Seil durch eine geringe Kraft, z. B. durch
den Schlag eines Stockes zerrissen werden könne.
Viertens. Dass man die Haltbarkeit der Seile und Ketten auch dadurch prüfen
könne, wenn man nach und nach grössere Gewichte in B anhängt, jedesmal die
Grösse B C misst, und daraus die Kraft berechnet, von welcher das Seil in jedem
Falle gespannt wird.
§. 121.

Ein zweites Beispiel gibt uns die Erklärung der sogenannten Kniehebel. WennFig.
8.

nämlich 2 feste Stangen oder Stützen A M und A N in A durch ein Gelenke (Charnière)
mit einander verbunden und ihre beiden äussersten Endpunkte M und N zu dem Zwecke
gegen zwei andere feste Körper gestützt werden, um durch den Druck einer in A nach
der Richtung A B angebrachten Kraft P diese 2 Punkte M und N auseinander zu treiben,
so nennt man diese Verbindung einen Kniehebel.

Gerstners Mechanik. Band I. 17
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[129/0159] Zusammenselzung und Zerlegung der Kräfte. drei Kräfte vorstellen. Wird dann die Kraft O F mit der vierten O D durch das Parallel- ogramm O F G D zusammengesetzt, so gibt die Diagonale dieses Parallelogrammes die vereinte Kraft und mittlere Richtung aller vier Kräfte O A, O B, O C und O D an. §. 120. Die Anwendungen der über die Zusammensetzung und Zerlegung der Kräfte vorge- tragenen Sätze sind in der Mechanik sehr mannigfaltig und von der grössten Wich- tigkeit. Um hierin vorläufig nur ein Beispiel zu geben, wollen wir annehmen, ein Seil sey an den Punkten M und N befestigt, in der Mitte des Seiles in B ist das Gewicht Q angehängt; wenn nun gefragt wird, wie stark die zwei Seile M B und N B durch die Last Q gespannt werden, so verlängere man die Richtung Q B, nach welcher die Last Q den Punkt B herabzieht, aufwärts nach A, und ziehe aus M die Linie M A parallel zu N B und eben so die Linie N A parallel zu M B. Wird nun die Last Q durch die Dia- gonallinie A B vorgestellt, so zerfällt dieselbe in die zwei Seitenkräfte M B und N B. Nach §. 113 wird sich die Spannung des Seiles M B zur Last Q verhalten, wie M B : A B oder wie die halbe Länge des Seiles N B M zu 2 B C. Wird nun die Linie B C oder der Abstand des Punktes B von der Horizontallinie M N gemessen und mit h bezeichnet, so ist die Spannung des Seiles M B = [FORMEL]. Hieraus ist zu erse- hen, dass das Seil M B um so stärker gespannt werde, je länger das Seil und je kleiner der Abstand des Punktes B von der horizontalen Li- nie M N ist. Fig. 7. Tab. 4. Hieraus erklärt sich: Erstens. Dass kein Seil, auch ohne angehängte Last, in eine vollkommene Hori- zontallinie gespannt werden könne, weil es schon durch sein eigenes Gewicht her- abgezogen wird. Zweitens. Dass die Spannung des Seiles um so stärker seyn müsse, je näher das- selbe der Horizontallinie gebracht wird. Drittens. Dass ein stark gespanntes Seil durch eine geringe Kraft, z. B. durch den Schlag eines Stockes zerrissen werden könne. Viertens. Dass man die Haltbarkeit der Seile und Ketten auch dadurch prüfen könne, wenn man nach und nach grössere Gewichte in B anhängt, jedesmal die Grösse B C misst, und daraus die Kraft berechnet, von welcher das Seil in jedem Falle gespannt wird. §. 121. Ein zweites Beispiel gibt uns die Erklärung der sogenannten Kniehebel. Wenn nämlich 2 feste Stangen oder Stützen A M und A N in A durch ein Gelenke (Charnière) mit einander verbunden und ihre beiden äussersten Endpunkte M und N zu dem Zwecke gegen zwei andere feste Körper gestützt werden, um durch den Druck einer in A nach der Richtung A B angebrachten Kraft P diese 2 Punkte M und N auseinander zu treiben, so nennt man diese Verbindung einen Kniehebel. Fig. 8. Gerstners Mechanik. Band I. 17

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/159>, abgerufen am 27.04.2024.