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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831.

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Relative Festigkeit der Körper.
§. 299.

Das Tragungsvermögen eines schief liegenden Balkens wird auf
folgende Art bestimmt:

Nehmen wir zuerst an, es sey M N ein unschwerer Balken, welcher auf zwei festen
Fig.
1.
Tab.
15.
Unterlagen liegt und mit dem Horizonte M R einen beliebigen Winkel N M R = a
bildet; es wirke ferner in irgend einem Punkte O eine Kraft S in der auf die Länge des
Balkens winkelrechten Richtung O q, so wird dieser Fall von jenem im §. 291 enthalte-
nen in nichts, als in der absoluten Lage verschieden seyn; es muss daher auch hier
eine eben solche Gleichung wie dort statt finden, d. i.
[Formel 1] , wenn wir hier die Entfernung der Kraft von der
Mitte, nämlich C O = E setzen.

Denken wir uns nun an eben diesem Balken in demselben Punkte O die Last Q frei
aufgehängt, also die Kraft in einer schiefen Richtung auf den Balken wirkend, so lässt
sich Q durch O n vorstellen, und in zwei Seitenkräfte zerlegen, wovon O p nach der
Richtung des Balkens und O q senkrecht auf denselben wirkt; es werden daher O p und
O q dieselbe Wirkung hervorbringen, welche O n früher äusserte. Die Kraft O p wirkt
in der Richtung des Balkens und strebt ihn über seine Unterlagen abgleiten zu machen,
wesshalb er auf jeden Fall durch eine gleiche entgegenwirkende Kraft gehalten werden
muss; allein auf die Biegung oder den Bruch des Balkens kann O p nicht einwirken, und
ist in dieser Hinsicht so gut als gar nicht vorhanden zu betrachten.

Die zweite Kraft O q hat genau die Richtung wie die vorher genannte, und bewirkt
daher allein die Spannung des Balkens; bezeichnen wir diese Kraft O q = S, so be-
steht die obige Gleichung [Formel 2] (I); nun ist der Winkel O n p eben so gross
als der Winkel N M R = a, demnach haben wir S : Q = Cos a : 1, also S = Q. Cos a (II).

Da aber auch das Dreieck O n p dem Dreiecke N M R ähnlich ist, so ist auch
S : Q = p n : O n = M R : M N = b : L, wenn M R = b und M N = L ist; also auch
[Formel 3] (III).

Werden diese Werthe statt S in die Gleichung (I) gesetzt, so ist [Formel 4]
und auch [Formel 5] , wobei, wenn man das eigene Gewicht des Balkens
mit berücksichtigen will, unter Q nicht bloss der vertikale Druck (O n), sondern auch das
halbe Gewicht des Balkens mit begriffen werden muss.

Bezeichnen wir das Tragungsvermögen eines wagerechten Balkens [Formel 6] mit
W, so ist dasselbe für den schief liegenden Balken [Formel 7] oder [Formel 8] . Man
findet daher das Tragungsvermögen eines schief liegenden Balkens,
wenn man sein Tragungsvermögen für die wagerechte Lage sucht,
und dieses entweder mit dem Cosinus seines Neigungswinkels divi-

Relative Festigkeit der Körper.
§. 299.

Das Tragungsvermögen eines schief liegenden Balkens wird auf
folgende Art bestimmt:

Nehmen wir zuerst an, es sey M N ein unschwerer Balken, welcher auf zwei festen
Fig.
1.
Tab.
15.
Unterlagen liegt und mit dem Horizonte M R einen beliebigen Winkel N M R = α
bildet; es wirke ferner in irgend einem Punkte O eine Kraft S in der auf die Länge des
Balkens winkelrechten Richtung O q, so wird dieser Fall von jenem im §. 291 enthalte-
nen in nichts, als in der absoluten Lage verschieden seyn; es muss daher auch hier
eine eben solche Gleichung wie dort statt finden, d. i.
[Formel 1] , wenn wir hier die Entfernung der Kraft von der
Mitte, nämlich C O = E setzen.

Denken wir uns nun an eben diesem Balken in demselben Punkte O die Last Q frei
aufgehängt, also die Kraft in einer schiefen Richtung auf den Balken wirkend, so lässt
sich Q durch O n vorstellen, und in zwei Seitenkräfte zerlegen, wovon O p nach der
Richtung des Balkens und O q senkrecht auf denselben wirkt; es werden daher O p und
O q dieselbe Wirkung hervorbringen, welche O n früher äusserte. Die Kraft O p wirkt
in der Richtung des Balkens und strebt ihn über seine Unterlagen abgleiten zu machen,
wesshalb er auf jeden Fall durch eine gleiche entgegenwirkende Kraft gehalten werden
muss; allein auf die Biegung oder den Bruch des Balkens kann O p nicht einwirken, und
ist in dieser Hinsicht so gut als gar nicht vorhanden zu betrachten.

Die zweite Kraft O q hat genau die Richtung wie die vorher genannte, und bewirkt
daher allein die Spannung des Balkens; bezeichnen wir diese Kraft O q = S, so be-
steht die obige Gleichung [Formel 2] (I); nun ist der Winkel O n p eben so gross
als der Winkel N M R = α, demnach haben wir S : Q = Cos α : 1, also S = Q. Cos α (II).

Da aber auch das Dreieck O n p dem Dreiecke N M R ähnlich ist, so ist auch
S : Q = p n : O n = M R : M N = b : L, wenn M R = b und M N = L ist; also auch
[Formel 3] (III).

Werden diese Werthe statt S in die Gleichung (I) gesetzt, so ist [Formel 4]
und auch [Formel 5] , wobei, wenn man das eigene Gewicht des Balkens
mit berücksichtigen will, unter Q nicht bloss der vertikale Druck (O n), sondern auch das
halbe Gewicht des Balkens mit begriffen werden muss.

Bezeichnen wir das Tragungsvermögen eines wagerechten Balkens [Formel 6] mit
W, so ist dasselbe für den schief liegenden Balken [Formel 7] oder [Formel 8] . Man
findet daher das Tragungsvermögen eines schief liegenden Balkens,
wenn man sein Tragungsvermögen für die wagerechte Lage sucht,
und dieses entweder mit dem Cosinus seines Neigungswinkels divi-

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[306/0336] Relative Festigkeit der Körper. §. 299. Das Tragungsvermögen eines schief liegenden Balkens wird auf folgende Art bestimmt: Nehmen wir zuerst an, es sey M N ein unschwerer Balken, welcher auf zwei festen Unterlagen liegt und mit dem Horizonte M R einen beliebigen Winkel N M R = α bildet; es wirke ferner in irgend einem Punkte O eine Kraft S in der auf die Länge des Balkens winkelrechten Richtung O q, so wird dieser Fall von jenem im §. 291 enthalte- nen in nichts, als in der absoluten Lage verschieden seyn; es muss daher auch hier eine eben solche Gleichung wie dort statt finden, d. i. [FORMEL], wenn wir hier die Entfernung der Kraft von der Mitte, nämlich C O = E setzen. Fig. 1. Tab. 15. Denken wir uns nun an eben diesem Balken in demselben Punkte O die Last Q frei aufgehängt, also die Kraft in einer schiefen Richtung auf den Balken wirkend, so lässt sich Q durch O n vorstellen, und in zwei Seitenkräfte zerlegen, wovon O p nach der Richtung des Balkens und O q senkrecht auf denselben wirkt; es werden daher O p und O q dieselbe Wirkung hervorbringen, welche O n früher äusserte. Die Kraft O p wirkt in der Richtung des Balkens und strebt ihn über seine Unterlagen abgleiten zu machen, wesshalb er auf jeden Fall durch eine gleiche entgegenwirkende Kraft gehalten werden muss; allein auf die Biegung oder den Bruch des Balkens kann O p nicht einwirken, und ist in dieser Hinsicht so gut als gar nicht vorhanden zu betrachten. Die zweite Kraft O q hat genau die Richtung wie die vorher genannte, und bewirkt daher allein die Spannung des Balkens; bezeichnen wir diese Kraft O q = S, so be- steht die obige Gleichung [FORMEL] (I); nun ist der Winkel O n p eben so gross als der Winkel N M R = α, demnach haben wir S : Q = Cos α : 1, also S = Q. Cos α (II). Da aber auch das Dreieck O n p dem Dreiecke N M R ähnlich ist, so ist auch S : Q = p n : O n = M R : M N = b : L, wenn M R = b und M N = L ist; also auch [FORMEL] (III). Werden diese Werthe statt S in die Gleichung (I) gesetzt, so ist [FORMEL] und auch [FORMEL], wobei, wenn man das eigene Gewicht des Balkens mit berücksichtigen will, unter Q nicht bloss der vertikale Druck (O n), sondern auch das halbe Gewicht des Balkens mit begriffen werden muss. Bezeichnen wir das Tragungsvermögen eines wagerechten Balkens [FORMEL] mit W, so ist dasselbe für den schief liegenden Balken [FORMEL] oder [FORMEL]. Man findet daher das Tragungsvermögen eines schief liegenden Balkens, wenn man sein Tragungsvermögen für die wagerechte Lage sucht, und dieses entweder mit dem Cosinus seines Neigungswinkels divi-

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Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 1: Mechanik fester Körper. Prag, 1831, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik01_1831/336>, abgerufen am 18.11.2024.