Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.den kann. Und so finden wir es im allgemeinen wie im einzelnen. Tschudi 2, 286 erzählt von einem Botokudenknaben, der von einer Familie in Bahia sorgfältig aufgezogen und dann zum Studium der Medizin auf die Universität geschickt wurde. Er erwarb sich den Doktortitel, übte auch eine Zeitlang die Praxis selbständig, bis er verschwand. "Eine tiefe Melancholie war immer der Grundzug seines Charakters." Später erfuhr man, dass er wieder, nachdem er sich jeglicher Spur von Civilisation, auch der Kleider, entledigt, als Jäger durch die Wälder streife. Einen ganz gleichen Fall von einem jungen Choktaw, der Advokat geworden war, hernach aber durch Melancholie (woran freilich der Kastenhochmuth der Nordamerikanischen Weissen mit Schuld war) bis zum Selbstmord getrieben wurde, erzählt Waitz b, 71-72. Diese Fälle zu erklären, reicht es nicht aus, bloss an die "schiefe Stellung" zu erinnern, in welche solche Individuen gerathen; denn bei jenem Botokuden trifft dies nicht zu, da in Südamerika das Verhältniss der Farbigen zu den Weissen kein ungünstiges ist: wesentlich mitgewirkt hat bei ihnen und ähnlichen, wie wir sie bei Individuen und ganzen Völkern finden, die ewige Demüthigung auf der einen, die Ueberanstrengung auf der anderen Seite. § 16. Behandlung der Naturvölker durch die Weissen.
Afrika. Amerika. Wir kommen nun zu dem düstersten Punkt in unserer ganzen Schilderung, zu der düstersten Partie vielleicht in der ganzen Geschichte der Menschheit: zu der Art, wie die Weissen die Naturvölker behandelt haben. Die Laster, die sie ihnen brachten oder bei ihnen beförderten, brauchen wir hier, da wir sie schon oben an verschiedenen Stellen erwähnten, nicht noch einmal im Zusammenhang zu besprechen. Beginnen wir mit Südafrika. Die Hottentotten zeigen sich uns gleich bei ihrem ersten Bekanntwerden als ein Volk, das früher eine viel grössere Macht und Ausdehnung besessen hatte und damals schon in einer Art Verfall war. Von den umwohnenden afrikanischen Völkerschaften waren sie überall verdrängt, namentlich von Norden nach Süden geschoben und nicht nur sehr vermindert, sondern wie es scheint, auch in ihrem inneren Wesen gebrochen oder wenigstens, durch die ewigen Kriege und Niederlagen, wesentlich beschädigt worden (Waitz 2, 323 ff.). Schlimmeres aber brachten ihnen die Holländer, welche sich seit 1652 am Cap niederliessen und natürlich den Eingeborenen so viel Land ohne weiteres wegnahmen, als sie brauchten. Sie brauchten aber, da sie aus Faulheit alles den kann. Und so finden wir es im allgemeinen wie im einzelnen. Tschudi 2, 286 erzählt von einem Botokudenknaben, der von einer Familie in Bahia sorgfältig aufgezogen und dann zum Studium der Medizin auf die Universität geschickt wurde. Er erwarb sich den Doktortitel, übte auch eine Zeitlang die Praxis selbständig, bis er verschwand. »Eine tiefe Melancholie war immer der Grundzug seines Charakters.« Später erfuhr man, dass er wieder, nachdem er sich jeglicher Spur von Civilisation, auch der Kleider, entledigt, als Jäger durch die Wälder streife. Einen ganz gleichen Fall von einem jungen Choktaw, der Advokat geworden war, hernach aber durch Melancholie (woran freilich der Kastenhochmuth der Nordamerikanischen Weissen mit Schuld war) bis zum Selbstmord getrieben wurde, erzählt Waitz b, 71-72. Diese Fälle zu erklären, reicht es nicht aus, bloss an die »schiefe Stellung« zu erinnern, in welche solche Individuen gerathen; denn bei jenem Botokuden trifft dies nicht zu, da in Südamerika das Verhältniss der Farbigen zu den Weissen kein ungünstiges ist: wesentlich mitgewirkt hat bei ihnen und ähnlichen, wie wir sie bei Individuen und ganzen Völkern finden, die ewige Demüthigung auf der einen, die Ueberanstrengung auf der anderen Seite. § 16. Behandlung der Naturvölker durch die Weissen.
Afrika. Amerika. Wir kommen nun zu dem düstersten Punkt in unserer ganzen Schilderung, zu der düstersten Partie vielleicht in der ganzen Geschichte der Menschheit: zu der Art, wie die Weissen die Naturvölker behandelt haben. Die Laster, die sie ihnen brachten oder bei ihnen beförderten, brauchen wir hier, da wir sie schon oben an verschiedenen Stellen erwähnten, nicht noch einmal im Zusammenhang zu besprechen. Beginnen wir mit Südafrika. Die Hottentotten zeigen sich uns gleich bei ihrem ersten Bekanntwerden als ein Volk, das früher eine viel grössere Macht und Ausdehnung besessen hatte und damals schon in einer Art Verfall war. Von den umwohnenden afrikanischen Völkerschaften waren sie überall verdrängt, namentlich von Norden nach Süden geschoben und nicht nur sehr vermindert, sondern wie es scheint, auch in ihrem inneren Wesen gebrochen oder wenigstens, durch die ewigen Kriege und Niederlagen, wesentlich beschädigt worden (Waitz 2, 323 ff.). Schlimmeres aber brachten ihnen die Holländer, welche sich seit 1652 am Cap niederliessen und natürlich den Eingeborenen so viel Land ohne weiteres wegnahmen, als sie brauchten. Sie brauchten aber, da sie aus Faulheit alles <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0110"/> den kann. Und so finden wir es im allgemeinen wie im einzelnen. Tschudi 2, 286 erzählt von einem Botokudenknaben, der von einer Familie in Bahia sorgfältig aufgezogen und dann zum Studium der Medizin auf die Universität geschickt wurde. Er erwarb sich den Doktortitel, übte auch eine Zeitlang die Praxis selbständig, bis er verschwand. »Eine tiefe Melancholie war immer der Grundzug seines Charakters.« Später erfuhr man, dass er wieder, nachdem er sich jeglicher Spur von Civilisation, auch der Kleider, entledigt, als Jäger durch die Wälder streife. Einen ganz gleichen Fall von einem jungen Choktaw, der Advokat geworden war, hernach aber durch Melancholie (woran freilich der Kastenhochmuth der Nordamerikanischen Weissen mit Schuld war) bis zum Selbstmord getrieben wurde, erzählt Waitz b, 71-72. Diese Fälle zu erklären, reicht es nicht aus, bloss an die »schiefe Stellung« zu erinnern, in welche solche Individuen gerathen; denn bei jenem Botokuden trifft dies nicht zu, da in Südamerika das Verhältniss der Farbigen zu den Weissen kein ungünstiges ist: wesentlich mitgewirkt hat bei ihnen und ähnlichen, wie wir sie bei Individuen und ganzen Völkern finden, die ewige Demüthigung auf der einen, die Ueberanstrengung auf der anderen Seite.</p> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="1"> <head>§ 16. <hi rendition="#i">Behandlung der Naturvölker durch die Weissen. Afrika. Amerika.</hi></head><lb/> <p>Wir kommen nun zu dem düstersten Punkt in unserer ganzen Schilderung, zu der düstersten Partie vielleicht in der ganzen Geschichte der Menschheit: zu der Art, wie die Weissen die Naturvölker behandelt haben. Die Laster, die sie ihnen brachten oder bei ihnen beförderten, brauchen wir hier, da wir sie schon oben an verschiedenen Stellen erwähnten, nicht noch einmal im Zusammenhang zu besprechen. Beginnen wir mit Südafrika. Die Hottentotten zeigen sich uns gleich bei ihrem ersten Bekanntwerden als ein Volk, das früher eine viel grössere Macht und Ausdehnung besessen hatte und damals schon in einer Art Verfall war. Von den umwohnenden afrikanischen Völkerschaften waren sie überall verdrängt, namentlich von Norden nach Süden geschoben und nicht nur sehr vermindert, sondern wie es scheint, auch in ihrem inneren Wesen gebrochen oder wenigstens, durch die ewigen Kriege und Niederlagen, wesentlich beschädigt worden (Waitz 2, 323 ff.). Schlimmeres aber brachten ihnen die Holländer, welche sich seit 1652 am Cap niederliessen und natürlich den Eingeborenen so viel Land ohne weiteres wegnahmen, als sie brauchten. Sie brauchten aber, da sie aus Faulheit alles </p> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
den kann. Und so finden wir es im allgemeinen wie im einzelnen. Tschudi 2, 286 erzählt von einem Botokudenknaben, der von einer Familie in Bahia sorgfältig aufgezogen und dann zum Studium der Medizin auf die Universität geschickt wurde. Er erwarb sich den Doktortitel, übte auch eine Zeitlang die Praxis selbständig, bis er verschwand. »Eine tiefe Melancholie war immer der Grundzug seines Charakters.« Später erfuhr man, dass er wieder, nachdem er sich jeglicher Spur von Civilisation, auch der Kleider, entledigt, als Jäger durch die Wälder streife. Einen ganz gleichen Fall von einem jungen Choktaw, der Advokat geworden war, hernach aber durch Melancholie (woran freilich der Kastenhochmuth der Nordamerikanischen Weissen mit Schuld war) bis zum Selbstmord getrieben wurde, erzählt Waitz b, 71-72. Diese Fälle zu erklären, reicht es nicht aus, bloss an die »schiefe Stellung« zu erinnern, in welche solche Individuen gerathen; denn bei jenem Botokuden trifft dies nicht zu, da in Südamerika das Verhältniss der Farbigen zu den Weissen kein ungünstiges ist: wesentlich mitgewirkt hat bei ihnen und ähnlichen, wie wir sie bei Individuen und ganzen Völkern finden, die ewige Demüthigung auf der einen, die Ueberanstrengung auf der anderen Seite.
§ 16. Behandlung der Naturvölker durch die Weissen. Afrika. Amerika.
Wir kommen nun zu dem düstersten Punkt in unserer ganzen Schilderung, zu der düstersten Partie vielleicht in der ganzen Geschichte der Menschheit: zu der Art, wie die Weissen die Naturvölker behandelt haben. Die Laster, die sie ihnen brachten oder bei ihnen beförderten, brauchen wir hier, da wir sie schon oben an verschiedenen Stellen erwähnten, nicht noch einmal im Zusammenhang zu besprechen. Beginnen wir mit Südafrika. Die Hottentotten zeigen sich uns gleich bei ihrem ersten Bekanntwerden als ein Volk, das früher eine viel grössere Macht und Ausdehnung besessen hatte und damals schon in einer Art Verfall war. Von den umwohnenden afrikanischen Völkerschaften waren sie überall verdrängt, namentlich von Norden nach Süden geschoben und nicht nur sehr vermindert, sondern wie es scheint, auch in ihrem inneren Wesen gebrochen oder wenigstens, durch die ewigen Kriege und Niederlagen, wesentlich beschädigt worden (Waitz 2, 323 ff.). Schlimmeres aber brachten ihnen die Holländer, welche sich seit 1652 am Cap niederliessen und natürlich den Eingeborenen so viel Land ohne weiteres wegnahmen, als sie brauchten. Sie brauchten aber, da sie aus Faulheit alles
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