Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 92.

Aus diesen Erscheinungen folgt, daß die Wirk-
samkeit der Natur jedesmal in gewißen Theilen schwä-
cher ist, wenn sie in andern stärker wirkt. So lange
die Kranken faseln, thun abführende Mittel nur
schlechte Wirkung; aber so bald sie bey Tissot durch
die Senfteige wieder sich gegenwärtig gemacht worden
waren, so thaten sie wieder ihre vollkommene Wir-
kung. -- Wenn Wahnwitzige verstopft werden, so
kündiget dieses die Langwierigkeit des Uebels an, weil
es anzeigt, daß das Gehirn der Sitz der Reitzbarkeit
geworden, welche hingegen in den Gedärmen verloren
gegangen ist. Wenn die Natur eine Verwerfung zu
machen im Begriffe ist, so werden die übrigen Ab-
und Aussonderungen entweder sehr vermindert, oder sie
hören ganz auf. Nicht selten ist ein bloßer lebhafter
Schmerz die Ursache, warum die Natur die Entschei-
dungen nicht zu Stande bringt; warum die Ausschlä-
ge z. B. die Blattern nicht zum Vorschein kommen.
Daher ist der Zustand, wo eine allgemeine Ruhe im
Körper herrscht, eine anscheinende Betäubung, eine
tiefe Ohnmacht, ein tiefer Schlaf, den Entscheidun-
gen so günstig; daher ist in der Magengicht oder
überhaupt, wo sich der Gichtstoff auf sehr empfindli-
che Theile geworfen hat, der Mohnsaft mit andern
hitzigen Dingen, und im Allgemeinen in allen sehr
heftigen Schmerzen ohne Entzündung, in der Gallen-
kranheit (Cholera) in den schmerzhaften Ruhren von
großer Schärfe und Reitzbarkeit der Gedärme der
Mohnsaft allein das beste sowohl besänftigende als

stär-
N n 2
§. 92.

Aus dieſen Erſcheinungen folgt, daß die Wirk-
ſamkeit der Natur jedesmal in gewißen Theilen ſchwaͤ-
cher iſt, wenn ſie in andern ſtaͤrker wirkt. So lange
die Kranken faſeln, thun abfuͤhrende Mittel nur
ſchlechte Wirkung; aber ſo bald ſie bey Tiſſot durch
die Senfteige wieder ſich gegenwaͤrtig gemacht worden
waren, ſo thaten ſie wieder ihre vollkommene Wir-
kung. — Wenn Wahnwitzige verſtopft werden, ſo
kuͤndiget dieſes die Langwierigkeit des Uebels an, weil
es anzeigt, daß das Gehirn der Sitz der Reitzbarkeit
geworden, welche hingegen in den Gedaͤrmen verloren
gegangen iſt. Wenn die Natur eine Verwerfung zu
machen im Begriffe iſt, ſo werden die uͤbrigen Ab-
und Ausſonderungen entweder ſehr vermindert, oder ſie
hoͤren ganz auf. Nicht ſelten iſt ein bloßer lebhafter
Schmerz die Urſache, warum die Natur die Entſchei-
dungen nicht zu Stande bringt; warum die Ausſchlaͤ-
ge z. B. die Blattern nicht zum Vorſchein kommen.
Daher iſt der Zuſtand, wo eine allgemeine Ruhe im
Koͤrper herrſcht, eine anſcheinende Betaͤubung, eine
tiefe Ohnmacht, ein tiefer Schlaf, den Entſcheidun-
gen ſo guͤnſtig; daher iſt in der Magengicht oder
uͤberhaupt, wo ſich der Gichtſtoff auf ſehr empfindli-
che Theile geworfen hat, der Mohnſaft mit andern
hitzigen Dingen, und im Allgemeinen in allen ſehr
heftigen Schmerzen ohne Entzuͤndung, in der Gallen-
kranheit (Cholera) in den ſchmerzhaften Ruhren von
großer Schaͤrfe und Reitzbarkeit der Gedaͤrme der
Mohnſaft allein das beſte ſowohl beſaͤnftigende als

ſtaͤr-
N n 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0582" n="563"/>
            <div n="4">
              <head>§. 92.</head><lb/>
              <p>Aus die&#x017F;en Er&#x017F;cheinungen folgt, daß die Wirk-<lb/>
&#x017F;amkeit der Natur jedesmal in gewißen Theilen &#x017F;chwa&#x0364;-<lb/>
cher i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie in andern &#x017F;ta&#x0364;rker wirkt. So lange<lb/>
die Kranken fa&#x017F;eln, thun abfu&#x0364;hrende Mittel nur<lb/>
&#x017F;chlechte Wirkung; aber &#x017F;o bald &#x017F;ie bey <hi rendition="#fr">Ti&#x017F;&#x017F;ot</hi> durch<lb/>
die Senfteige wieder &#x017F;ich gegenwa&#x0364;rtig gemacht worden<lb/>
waren, &#x017F;o thaten &#x017F;ie wieder ihre vollkommene Wir-<lb/>
kung. &#x2014; Wenn Wahnwitzige ver&#x017F;topft werden, &#x017F;o<lb/>
ku&#x0364;ndiget die&#x017F;es die Langwierigkeit des Uebels an, weil<lb/>
es anzeigt, daß das Gehirn der Sitz der Reitzbarkeit<lb/>
geworden, welche hingegen in den Geda&#x0364;rmen verloren<lb/>
gegangen i&#x017F;t. Wenn die Natur eine Verwerfung zu<lb/>
machen im Begriffe i&#x017F;t, &#x017F;o werden die u&#x0364;brigen Ab-<lb/>
und Aus&#x017F;onderungen entweder &#x017F;ehr vermindert, oder &#x017F;ie<lb/>
ho&#x0364;ren ganz auf. Nicht &#x017F;elten i&#x017F;t ein bloßer lebhafter<lb/>
Schmerz die Ur&#x017F;ache, warum die Natur die Ent&#x017F;chei-<lb/>
dungen nicht zu Stande bringt; warum die Aus&#x017F;chla&#x0364;-<lb/>
ge z. B. die Blattern nicht zum Vor&#x017F;chein kommen.<lb/>
Daher i&#x017F;t der Zu&#x017F;tand, wo eine allgemeine Ruhe im<lb/>
Ko&#x0364;rper herr&#x017F;cht, eine an&#x017F;cheinende Beta&#x0364;ubung, eine<lb/>
tiefe Ohnmacht, ein tiefer Schlaf, den Ent&#x017F;cheidun-<lb/>
gen &#x017F;o gu&#x0364;n&#x017F;tig; daher i&#x017F;t in der Magengicht oder<lb/>
u&#x0364;berhaupt, wo &#x017F;ich der Gicht&#x017F;toff auf &#x017F;ehr empfindli-<lb/>
che Theile geworfen hat, der Mohn&#x017F;aft mit andern<lb/>
hitzigen Dingen, und im Allgemeinen in allen &#x017F;ehr<lb/>
heftigen Schmerzen ohne Entzu&#x0364;ndung, in der Gallen-<lb/>
kranheit <hi rendition="#aq">(Cholera)</hi> in den &#x017F;chmerzhaften Ruhren von<lb/>
großer Scha&#x0364;rfe und Reitzbarkeit der Geda&#x0364;rme der<lb/>
Mohn&#x017F;aft allein das be&#x017F;te &#x017F;owohl be&#x017F;a&#x0364;nftigende als<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N n 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ta&#x0364;r-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[563/0582] §. 92. Aus dieſen Erſcheinungen folgt, daß die Wirk- ſamkeit der Natur jedesmal in gewißen Theilen ſchwaͤ- cher iſt, wenn ſie in andern ſtaͤrker wirkt. So lange die Kranken faſeln, thun abfuͤhrende Mittel nur ſchlechte Wirkung; aber ſo bald ſie bey Tiſſot durch die Senfteige wieder ſich gegenwaͤrtig gemacht worden waren, ſo thaten ſie wieder ihre vollkommene Wir- kung. — Wenn Wahnwitzige verſtopft werden, ſo kuͤndiget dieſes die Langwierigkeit des Uebels an, weil es anzeigt, daß das Gehirn der Sitz der Reitzbarkeit geworden, welche hingegen in den Gedaͤrmen verloren gegangen iſt. Wenn die Natur eine Verwerfung zu machen im Begriffe iſt, ſo werden die uͤbrigen Ab- und Ausſonderungen entweder ſehr vermindert, oder ſie hoͤren ganz auf. Nicht ſelten iſt ein bloßer lebhafter Schmerz die Urſache, warum die Natur die Entſchei- dungen nicht zu Stande bringt; warum die Ausſchlaͤ- ge z. B. die Blattern nicht zum Vorſchein kommen. Daher iſt der Zuſtand, wo eine allgemeine Ruhe im Koͤrper herrſcht, eine anſcheinende Betaͤubung, eine tiefe Ohnmacht, ein tiefer Schlaf, den Entſcheidun- gen ſo guͤnſtig; daher iſt in der Magengicht oder uͤberhaupt, wo ſich der Gichtſtoff auf ſehr empfindli- che Theile geworfen hat, der Mohnſaft mit andern hitzigen Dingen, und im Allgemeinen in allen ſehr heftigen Schmerzen ohne Entzuͤndung, in der Gallen- kranheit (Cholera) in den ſchmerzhaften Ruhren von großer Schaͤrfe und Reitzbarkeit der Gedaͤrme der Mohnſaft allein das beſte ſowohl beſaͤnftigende als ſtaͤr- N n 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/582
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/582>, abgerufen am 13.11.2024.