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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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samerm, ordentlicherm oder verwirrterm Gange, größern
oder geringern Fruchtbarkeit, das schnellere oder lang-
samere, glücklichere oder unglücklichere Denken größ-
tentheils beruht. -- Von diesem Ding erkennt der Ir-
rende noch das unzusammenhängende und drollichte Ge-
mengsel: Aber auf einer höhern Stufe geht das
Reflexionsvermögen vollends verloren. -- Das Ir-
reseyn ist jezt unser Ich, und der Unterschied zwischen
Wahrheit und Täuschung kann schlechterdings nimmer
eingesehen werden, weil das Unwillkührliche dieses
Zustandes auf keine Weise mehr erkannt werden kann.

§. 45.
Vom Einfluß der Seele auf den Körper ins-
besondere.

Hingegen ist es auch wahr, daß der iedesmali-
ge Zustand der Seele, je nachdem sie schon mit an-
dern sinnlichen oder intellectuellen Ideen beschäftigt,
oder in eine Art von Entzückung hingerissen ist, die
jedesmaligen Empfindungen verstärke, oder schwäche,
verdunkle, ersticke, verfälsche oder aufhelle. Ein
sehr schwacher Eindruck bringt oft heftige, und ein
sehr starker Eindruck sehr schwache Bewegungen des
Willens hervor. Heftige Schmerzen, Schläge, und
die grösten Martern, die bis zur Zerstörung der sinn-
lichen Werkzeuge heftig sind, bringen in einem ei-
gensinnigen Kinde und in einem gefangenen Irrokeese
entgegengesetzte Bewegungen des Willens, Singen,
Hohnsprechen, Trotz hervor. -- Die Bewegungen
des Herzens und des Blutes werden von angenehmen

Em-

ſamerm, ordentlicherm oder verwirrterm Gange, groͤßern
oder geringern Fruchtbarkeit, das ſchnellere oder lang-
ſamere, gluͤcklichere oder ungluͤcklichere Denken groͤß-
tentheils beruht. — Von dieſem Ding erkennt der Ir-
rende noch das unzuſammenhaͤngende und drollichte Ge-
mengſel: Aber auf einer hoͤhern Stufe geht das
Reflexionsvermoͤgen vollends verloren. — Das Ir-
reſeyn iſt jezt unſer Ich, und der Unterſchied zwiſchen
Wahrheit und Taͤuſchung kann ſchlechterdings nimmer
eingeſehen werden, weil das Unwillkuͤhrliche dieſes
Zuſtandes auf keine Weiſe mehr erkannt werden kann.

§. 45.
Vom Einfluß der Seele auf den Koͤrper ins-
beſondere.

Hingegen iſt es auch wahr, daß der iedesmali-
ge Zuſtand der Seele, je nachdem ſie ſchon mit an-
dern ſinnlichen oder intellectuellen Ideen beſchaͤftigt,
oder in eine Art von Entzuͤckung hingeriſſen iſt, die
jedesmaligen Empfindungen verſtaͤrke, oder ſchwaͤche,
verdunkle, erſticke, verfaͤlſche oder aufhelle. Ein
ſehr ſchwacher Eindruck bringt oft heftige, und ein
ſehr ſtarker Eindruck ſehr ſchwache Bewegungen des
Willens hervor. Heftige Schmerzen, Schlaͤge, und
die groͤſten Martern, die bis zur Zerſtoͤrung der ſinn-
lichen Werkzeuge heftig ſind, bringen in einem ei-
genſinnigen Kinde und in einem gefangenen Irrokeeſe
entgegengeſetzte Bewegungen des Willens, Singen,
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des Herzens und des Blutes werden von angenehmen

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[191/0210] ſamerm, ordentlicherm oder verwirrterm Gange, groͤßern oder geringern Fruchtbarkeit, das ſchnellere oder lang- ſamere, gluͤcklichere oder ungluͤcklichere Denken groͤß- tentheils beruht. — Von dieſem Ding erkennt der Ir- rende noch das unzuſammenhaͤngende und drollichte Ge- mengſel: Aber auf einer hoͤhern Stufe geht das Reflexionsvermoͤgen vollends verloren. — Das Ir- reſeyn iſt jezt unſer Ich, und der Unterſchied zwiſchen Wahrheit und Taͤuſchung kann ſchlechterdings nimmer eingeſehen werden, weil das Unwillkuͤhrliche dieſes Zuſtandes auf keine Weiſe mehr erkannt werden kann. §. 45. Vom Einfluß der Seele auf den Koͤrper ins- beſondere. Hingegen iſt es auch wahr, daß der iedesmali- ge Zuſtand der Seele, je nachdem ſie ſchon mit an- dern ſinnlichen oder intellectuellen Ideen beſchaͤftigt, oder in eine Art von Entzuͤckung hingeriſſen iſt, die jedesmaligen Empfindungen verſtaͤrke, oder ſchwaͤche, verdunkle, erſticke, verfaͤlſche oder aufhelle. Ein ſehr ſchwacher Eindruck bringt oft heftige, und ein ſehr ſtarker Eindruck ſehr ſchwache Bewegungen des Willens hervor. Heftige Schmerzen, Schlaͤge, und die groͤſten Martern, die bis zur Zerſtoͤrung der ſinn- lichen Werkzeuge heftig ſind, bringen in einem ei- genſinnigen Kinde und in einem gefangenen Irrokeeſe entgegengeſetzte Bewegungen des Willens, Singen, Hohnſprechen, Trotz hervor. — Die Bewegungen des Herzens und des Blutes werden von angenehmen Em-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/210>, abgerufen am 13.11.2024.