Eilftes Hauptstück. Zweeter Aufenthalt am Vorgebürge der guten Hof- nung. -- Lauf von da nach St. Helena und Ascensions- Eiland.
Wir fanden viele Schiffe in der Tafel-Bay, darunter auch ein Englisches1775. März. India-Schif, die Ceres, Capt. Newt, befindlich war. Sobald wir die Einfahrt der Bay erreicht, und an unserm gebleichten Tauwerk, und veral- terten Anblick erkannt wurden, schickte Cap. Newt einen seiner Steuermänner, mit einer Ladung von frischen Lebensmitteln, und dem Anerbieten seiner Dienste, falls unsre Mannschaft krank wäre. Da wir so lange zur See gewesen, rührte uns dies edle Betragen, und wir fühlten mit dem größten Vergnügen, daß wir wieder mit Menschen zu thun hätten *). Wir giengen bald drauf ans Land, legten beym Gouverneur, und den vornehmsten Bedienten der Compagnie un- sern Besuch ab, und kehrten endlich bey Herrn Brand ein, woselbst wir mit derjenigen Aufrichtigkeit bewillkommt wurden, bey der man allen National-Cha- rakter vergißt und einsehen lernt, daß wahres Verdienst nicht auf gewisse Erd- striche oder Völker eingeschränkt ist. Das Wetter war so erstaunlich heiß, als wirs auf der ganzen Reise noch nicht empfunden hatten. Demohngeachtet speis- ten wir nach Holländischer Gewohnheit, gegen ein Uhr, das ist, gerade da die Hitze am unleidlichsten war, und fraßen mit einer Gierigkeit, die unsere lange Fasten und alles ausgestandne Ungemach weit lebhafter mahlte, als die beste Be- schreibung. Jedoch, weil es unsern ausgehungerten schwachen Magen hätte schädlich seyn können, zu viel zu essen, ließen wir's uns gefallen, noch mit guten Appetit von Tische zu gehen. Wir lernten gar bald den Vortheil dieser Vorsicht erkennen, und wurden sichtbarlich gesund, frisch und stark, während unsers
*) Man würde sehr unrecht thun, wenn man den Herren Schifs-Capitains der Ost-Indi- schen Compagnie, den Charakter andrer Seefahrer beylegen wollte. Ihre Freygebigkeit und Menschenliebe unterscheiden sie mehrentheils von den sogenannten See-Ungeheuern.
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Eilftes Hauptſtuͤck. Zweeter Aufenthalt am Vorgebuͤrge der guten Hof- nung. — Lauf von da nach St. Helena und Aſcenſions- Eiland.
Wir fanden viele Schiffe in der Tafel-Bay, darunter auch ein Engliſches1775. Maͤrz. India-Schif, die Ceres, Capt. Newt, befindlich war. Sobald wir die Einfahrt der Bay erreicht, und an unſerm gebleichten Tauwerk, und veral- terten Anblick erkannt wurden, ſchickte Cap. Newt einen ſeiner Steuermaͤnner, mit einer Ladung von friſchen Lebensmitteln, und dem Anerbieten ſeiner Dienſte, falls unſre Mannſchaft krank waͤre. Da wir ſo lange zur See geweſen, ruͤhrte uns dies edle Betragen, und wir fuͤhlten mit dem groͤßten Vergnuͤgen, daß wir wieder mit Menſchen zu thun haͤtten *). Wir giengen bald drauf ans Land, legten beym Gouverneur, und den vornehmſten Bedienten der Compagnie un- ſern Beſuch ab, und kehrten endlich bey Herrn Brand ein, woſelbſt wir mit derjenigen Aufrichtigkeit bewillkommt wurden, bey der man allen National-Cha- rakter vergißt und einſehen lernt, daß wahres Verdienſt nicht auf gewiſſe Erd- ſtriche oder Voͤlker eingeſchraͤnkt iſt. Das Wetter war ſo erſtaunlich heiß, als wirs auf der ganzen Reiſe noch nicht empfunden hatten. Demohngeachtet ſpeis- ten wir nach Hollaͤndiſcher Gewohnheit, gegen ein Uhr, das iſt, gerade da die Hitze am unleidlichſten war, und fraßen mit einer Gierigkeit, die unſere lange Faſten und alles ausgeſtandne Ungemach weit lebhafter mahlte, als die beſte Be- ſchreibung. Jedoch, weil es unſern ausgehungerten ſchwachen Magen haͤtte ſchaͤdlich ſeyn koͤnnen, zu viel zu eſſen, ließen wir’s uns gefallen, noch mit guten Appetit von Tiſche zu gehen. Wir lernten gar bald den Vortheil dieſer Vorſicht erkennen, und wurden ſichtbarlich geſund, friſch und ſtark, waͤhrend unſers
*) Man wuͤrde ſehr unrecht thun, wenn man den Herren Schifs-Capitains der Oſt-Indi- ſchen Compagnie, den Charakter andrer Seefahrer beylegen wollte. Ihre Freygebigkeit und Menſchenliebe unterſcheiden ſie mehrentheils von den ſogenannten See-Ungeheuern.
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in den Jahren 1772 bis 1775.
Eilftes Hauptſtuͤck.
Zweeter Aufenthalt am Vorgebuͤrge der guten Hof-
nung. — Lauf von da nach St. Helena und Aſcenſions-
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Wir fanden viele Schiffe in der Tafel-Bay, darunter auch ein Engliſches
India-Schif, die Ceres, Capt. Newt, befindlich war. Sobald wir
die Einfahrt der Bay erreicht, und an unſerm gebleichten Tauwerk, und veral-
terten Anblick erkannt wurden, ſchickte Cap. Newt einen ſeiner Steuermaͤnner,
mit einer Ladung von friſchen Lebensmitteln, und dem Anerbieten ſeiner Dienſte,
falls unſre Mannſchaft krank waͤre. Da wir ſo lange zur See geweſen, ruͤhrte
uns dies edle Betragen, und wir fuͤhlten mit dem groͤßten Vergnuͤgen, daß wir
wieder mit Menſchen zu thun haͤtten *). Wir giengen bald drauf ans Land,
legten beym Gouverneur, und den vornehmſten Bedienten der Compagnie un-
ſern Beſuch ab, und kehrten endlich bey Herrn Brand ein, woſelbſt wir mit
derjenigen Aufrichtigkeit bewillkommt wurden, bey der man allen National-Cha-
rakter vergißt und einſehen lernt, daß wahres Verdienſt nicht auf gewiſſe Erd-
ſtriche oder Voͤlker eingeſchraͤnkt iſt. Das Wetter war ſo erſtaunlich heiß, als
wirs auf der ganzen Reiſe noch nicht empfunden hatten. Demohngeachtet ſpeis-
ten wir nach Hollaͤndiſcher Gewohnheit, gegen ein Uhr, das iſt, gerade da die
Hitze am unleidlichſten war, und fraßen mit einer Gierigkeit, die unſere lange
Faſten und alles ausgeſtandne Ungemach weit lebhafter mahlte, als die beſte Be-
ſchreibung. Jedoch, weil es unſern ausgehungerten ſchwachen Magen haͤtte
ſchaͤdlich ſeyn koͤnnen, zu viel zu eſſen, ließen wir’s uns gefallen, noch mit guten
Appetit von Tiſche zu gehen. Wir lernten gar bald den Vortheil dieſer Vorſicht
erkennen, und wurden ſichtbarlich geſund, friſch und ſtark, waͤhrend unſers
1775.
Maͤrz.
*) Man wuͤrde ſehr unrecht thun, wenn man den Herren Schifs-Capitains der Oſt-Indi-
ſchen Compagnie, den Charakter andrer Seefahrer beylegen wollte. Ihre Freygebigkeit
und Menſchenliebe unterſcheiden ſie mehrentheils von den ſogenannten See-Ungeheuern.
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/445>, abgerufen am 03.03.2025.
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