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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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und Verlegenheiten nie los und ledig geworden, wenn
er nicht in dem benachbarten Gransee seinen alten Freund
Baruch Hirschfeld gehabt hätte. Dieser Alte, der den
großen Tuchladen am Markt und außerdem die Mode¬
sachen und Damenhüte hatte, hinsichtlich deren es immer
hieß, "Gerson schicke ihm alles zuerst" -- dieser alte
Baruch, ohne das "Geschäftliche" darüber zu vergessen,
hing in der That mit einer Art Zärtlichkeit an dem
Stechliner Schloßherrn, was, wenn es sich mal wieder
um eine neue Schuldverschreibung handelte, regelmäßig
zu heikeln Auseinandersetzungen zwischen Hirschfeld Vater
und Hirschfeld Sohn führte.

"Gott, Isidor, ich weiß, du bist fürs Neue. Aber
was ist das Neue? Das Neue versammelt sich immer
auf unserm Markt, und mal stürmt es uns den Laden
und nimmt uns die Hüte, Stück für Stück, und die
Reiherfedern und die Straußenfedern. Ich bin fürs
Alte und für den guten alten Herrn von Stechlin. Is
doch der Vater von seinem Großvater gefallen in der
großen Schlacht bei Prag und hat gezahlt mit seinem
Leben."

"Ja, der hat gezahlt; wenigstens hat er gezahlt
mit seinem Leben. Aber der von heute ..."

"Der zahlt auch, wenn er kann und wenn er hat.
Und wenn er nicht hat, und ich sage: "Herr von Stech¬
lin, ich werde schreiben siebeneinhalb," dann feilscht er
nicht und dann zwackt er nicht. Und wenn er kippt,
nu, da haben wir das Objekt: Mittelboden und Wald
und Jagd und viel Fischfang. Ich seh' es immer so
ganz klein in der Perspektiv', und ich seh' auch schon
den Kirchturm."

"Aber, Vaterleben, was sollen wir mit'm Kirch¬
turm?"

In dieser Richtung gingen öfters die Gespräche
zwischen Vater und Sohn, und was der Alte vorläufig

und Verlegenheiten nie los und ledig geworden, wenn
er nicht in dem benachbarten Granſee ſeinen alten Freund
Baruch Hirſchfeld gehabt hätte. Dieſer Alte, der den
großen Tuchladen am Markt und außerdem die Mode¬
ſachen und Damenhüte hatte, hinſichtlich deren es immer
hieß, „Gerſon ſchicke ihm alles zuerſt“ — dieſer alte
Baruch, ohne das „Geſchäftliche“ darüber zu vergeſſen,
hing in der That mit einer Art Zärtlichkeit an dem
Stechliner Schloßherrn, was, wenn es ſich mal wieder
um eine neue Schuldverſchreibung handelte, regelmäßig
zu heikeln Auseinanderſetzungen zwiſchen Hirſchfeld Vater
und Hirſchfeld Sohn führte.

„Gott, Iſidor, ich weiß, du biſt fürs Neue. Aber
was iſt das Neue? Das Neue verſammelt ſich immer
auf unſerm Markt, und mal ſtürmt es uns den Laden
und nimmt uns die Hüte, Stück für Stück, und die
Reiherfedern und die Straußenfedern. Ich bin fürs
Alte und für den guten alten Herrn von Stechlin. Is
doch der Vater von ſeinem Großvater gefallen in der
großen Schlacht bei Prag und hat gezahlt mit ſeinem
Leben.“

„Ja, der hat gezahlt; wenigſtens hat er gezahlt
mit ſeinem Leben. Aber der von heute ...“

„Der zahlt auch, wenn er kann und wenn er hat.
Und wenn er nicht hat, und ich ſage: „Herr von Stech¬
lin, ich werde ſchreiben ſiebeneinhalb,“ dann feilſcht er
nicht und dann zwackt er nicht. Und wenn er kippt,
nu, da haben wir das Objekt: Mittelboden und Wald
und Jagd und viel Fiſchfang. Ich ſeh' es immer ſo
ganz klein in der Perſpektiv', und ich ſeh' auch ſchon
den Kirchturm.“

„Aber, Vaterleben, was ſollen wir mit'm Kirch¬
turm?“

In dieſer Richtung gingen öfters die Geſpräche
zwiſchen Vater und Sohn, und was der Alte vorläufig

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[10/0017] und Verlegenheiten nie los und ledig geworden, wenn er nicht in dem benachbarten Granſee ſeinen alten Freund Baruch Hirſchfeld gehabt hätte. Dieſer Alte, der den großen Tuchladen am Markt und außerdem die Mode¬ ſachen und Damenhüte hatte, hinſichtlich deren es immer hieß, „Gerſon ſchicke ihm alles zuerſt“ — dieſer alte Baruch, ohne das „Geſchäftliche“ darüber zu vergeſſen, hing in der That mit einer Art Zärtlichkeit an dem Stechliner Schloßherrn, was, wenn es ſich mal wieder um eine neue Schuldverſchreibung handelte, regelmäßig zu heikeln Auseinanderſetzungen zwiſchen Hirſchfeld Vater und Hirſchfeld Sohn führte. „Gott, Iſidor, ich weiß, du biſt fürs Neue. Aber was iſt das Neue? Das Neue verſammelt ſich immer auf unſerm Markt, und mal ſtürmt es uns den Laden und nimmt uns die Hüte, Stück für Stück, und die Reiherfedern und die Straußenfedern. Ich bin fürs Alte und für den guten alten Herrn von Stechlin. Is doch der Vater von ſeinem Großvater gefallen in der großen Schlacht bei Prag und hat gezahlt mit ſeinem Leben.“ „Ja, der hat gezahlt; wenigſtens hat er gezahlt mit ſeinem Leben. Aber der von heute ...“ „Der zahlt auch, wenn er kann und wenn er hat. Und wenn er nicht hat, und ich ſage: „Herr von Stech¬ lin, ich werde ſchreiben ſiebeneinhalb,“ dann feilſcht er nicht und dann zwackt er nicht. Und wenn er kippt, nu, da haben wir das Objekt: Mittelboden und Wald und Jagd und viel Fiſchfang. Ich ſeh' es immer ſo ganz klein in der Perſpektiv', und ich ſeh' auch ſchon den Kirchturm.“ „Aber, Vaterleben, was ſollen wir mit'm Kirch¬ turm?“ In dieſer Richtung gingen öfters die Geſpräche zwiſchen Vater und Sohn, und was der Alte vorläufig

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/17>, abgerufen am 26.04.2024.