Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite
Neunundzwanzigstes Kapitel.

Am Abend desselben Tages traf Innstetten
wieder in Berlin ein. Er war mit dem Wagen, den
er innerhalb der Dünen an dem Querwege zurück¬
gelassen hatte, direkt nach der Bahnstation gefahren,
ohne Kessin noch einmal zu berühren, dabei den
beiden Sekundanten die Meldung an die Behörden
überlassend. Unterwegs (er war allein im Coupe)
hing er, alles noch 'mal überdenkend, dem Geschehenen
nach; es waren dieselben Gedanken wie zwei Tage
zuvor, nur daß sie jetzt den umgekehrten Gang gingen
und mit der Überzeugtheit von seinem Recht und
seiner Pflicht anfingen, um mit Zweifeln daran auf¬
zuhören. "Schuld, wenn sie überhaupt 'was ist, ist
nicht an Ort und Stunde gebunden und kann nicht
hinfällig werden von heute auf morgen. Schuld
verlangt Sühne; das hat einen Sinn. Aber Ver¬
jährung ist etwas Halbes, etwas Schwächliches, zum
mindesten 'was Prosaisches." Und er richtete sich

Neunundzwanzigſtes Kapitel.

Am Abend desſelben Tages traf Innſtetten
wieder in Berlin ein. Er war mit dem Wagen, den
er innerhalb der Dünen an dem Querwege zurück¬
gelaſſen hatte, direkt nach der Bahnſtation gefahren,
ohne Keſſin noch einmal zu berühren, dabei den
beiden Sekundanten die Meldung an die Behörden
überlaſſend. Unterwegs (er war allein im Coupé)
hing er, alles noch 'mal überdenkend, dem Geſchehenen
nach; es waren dieſelben Gedanken wie zwei Tage
zuvor, nur daß ſie jetzt den umgekehrten Gang gingen
und mit der Überzeugtheit von ſeinem Recht und
ſeiner Pflicht anfingen, um mit Zweifeln daran auf¬
zuhören. „Schuld, wenn ſie überhaupt 'was iſt, iſt
nicht an Ort und Stunde gebunden und kann nicht
hinfällig werden von heute auf morgen. Schuld
verlangt Sühne; das hat einen Sinn. Aber Ver¬
jährung iſt etwas Halbes, etwas Schwächliches, zum
mindeſten 'was Proſaiſches.“ Und er richtete ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0434" n="[425]"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g">Neunundzwanzig&#x017F;tes Kapitel</hi>.<lb/></head>
        <p>Am Abend des&#x017F;elben Tages traf Inn&#x017F;tetten<lb/>
wieder in Berlin ein. Er war mit dem Wagen, den<lb/>
er innerhalb der Dünen an dem Querwege zurück¬<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en hatte, direkt nach der Bahn&#x017F;tation gefahren,<lb/>
ohne Ke&#x017F;&#x017F;in noch einmal zu berühren, dabei den<lb/>
beiden Sekundanten die Meldung an die Behörden<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;end. Unterwegs (er war allein im Coup<hi rendition="#aq">é</hi>)<lb/>
hing er, alles noch 'mal überdenkend, dem Ge&#x017F;chehenen<lb/>
nach; es waren die&#x017F;elben Gedanken wie zwei Tage<lb/>
zuvor, nur daß &#x017F;ie jetzt den umgekehrten Gang gingen<lb/>
und mit der Überzeugtheit von &#x017F;einem Recht und<lb/>
&#x017F;einer Pflicht anfingen, um mit Zweifeln daran auf¬<lb/>
zuhören. &#x201E;Schuld, wenn &#x017F;ie überhaupt 'was i&#x017F;t, i&#x017F;t<lb/>
nicht an Ort und Stunde gebunden und kann nicht<lb/>
hinfällig werden von heute auf morgen. Schuld<lb/>
verlangt Sühne; das hat einen Sinn. Aber Ver¬<lb/>
jährung i&#x017F;t etwas Halbes, etwas Schwächliches, zum<lb/>
minde&#x017F;ten 'was Pro&#x017F;ai&#x017F;ches.&#x201C; Und er richtete &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[425]/0434] Neunundzwanzigſtes Kapitel. Am Abend desſelben Tages traf Innſtetten wieder in Berlin ein. Er war mit dem Wagen, den er innerhalb der Dünen an dem Querwege zurück¬ gelaſſen hatte, direkt nach der Bahnſtation gefahren, ohne Keſſin noch einmal zu berühren, dabei den beiden Sekundanten die Meldung an die Behörden überlaſſend. Unterwegs (er war allein im Coupé) hing er, alles noch 'mal überdenkend, dem Geſchehenen nach; es waren dieſelben Gedanken wie zwei Tage zuvor, nur daß ſie jetzt den umgekehrten Gang gingen und mit der Überzeugtheit von ſeinem Recht und ſeiner Pflicht anfingen, um mit Zweifeln daran auf¬ zuhören. „Schuld, wenn ſie überhaupt 'was iſt, iſt nicht an Ort und Stunde gebunden und kann nicht hinfällig werden von heute auf morgen. Schuld verlangt Sühne; das hat einen Sinn. Aber Ver¬ jährung iſt etwas Halbes, etwas Schwächliches, zum mindeſten 'was Proſaiſches.“ Und er richtete ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/434
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. [425]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/434>, abgerufen am 22.12.2024.