Und nun ist der Gottesdienst aus, und steif und stattlich gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe sind charaktervoll, aber nicht hübsch; ihre Haltung voll Würde. Wir warteten die letzten ab und kehrten dann erst in unsern Gasthof zurück, wo wir uns eine halbe Stunde später durch Cantor Klinge- stein -- eine Spreewalds-Autorität, an die wir von Berlin her empfohlen waren -- begrüßt sahen.
Er übernahm unsere Führung.
2. Lehde.
Er übernahm unsere Führung sagt' ich, und nach kurzem Gange durch Stadt und Park erreichten wir den Haupt-Spreearm, auf dem die für uns bestimmte Gondel bereits im Schatten eines Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polster und Rücklehne ver- sprachen möglichste Bequemlichkeit, während ein Flaschenkorb von bemerkenswerthem Umfang -- aus dem, so oft der Wind das Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verschiedene roth und gelb gesiegelte Flaschen hervorlugten -- auch noch für mehr als bloße Bequemlichkeit sorgen zu wollen schien. Am Stern des Bootes, das lange Ruder in der Hand, stand Christian Birkig, ein Funf- ziger mit hohen Backenknochen und eingedrückten Schläfen, dem für gewöhnlich die nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der Ruder- und Steuermannsdienst in unserem Spreeboot oblag.
Wir stiegen ein und die Fahrt begann. Gleich die erste halbe Meile ist ein landschaftliches Kabinetstück und wird in so- weit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Besonderheit des Spreewaldes: seinen Netz- und Insel-Charakter, am deut- lichsten zeigt. Dieser Netz- und Insel-Charakter ist freilich überall vorhanden, aber er verbirgt sich vielfach, und nur Derjenige, der in einem Luftballon über das vieldurchschnittene Terrain hinweg- flöge, würde die zu Maschen geschlungenen Flußfäden allerorten in ähnlicher Deutlichkeit wie zwischen Lübbenau und Lehde zu seinen Füßen sehen.
Und nun iſt der Gottesdienſt aus, und ſteif und ſtattlich gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe ſind charaktervoll, aber nicht hübſch; ihre Haltung voll Würde. Wir warteten die letzten ab und kehrten dann erſt in unſern Gaſthof zurück, wo wir uns eine halbe Stunde ſpäter durch Cantor Klinge- ſtein — eine Spreewalds-Autorität, an die wir von Berlin her empfohlen waren — begrüßt ſahen.
Er übernahm unſere Führung.
2. Lehde.
Er übernahm unſere Führung ſagt’ ich, und nach kurzem Gange durch Stadt und Park erreichten wir den Haupt-Spreearm, auf dem die für uns beſtimmte Gondel bereits im Schatten eines Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polſter und Rücklehne ver- ſprachen möglichſte Bequemlichkeit, während ein Flaſchenkorb von bemerkenswerthem Umfang — aus dem, ſo oft der Wind das Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verſchiedene roth und gelb geſiegelte Flaſchen hervorlugten — auch noch für mehr als bloße Bequemlichkeit ſorgen zu wollen ſchien. Am Stern des Bootes, das lange Ruder in der Hand, ſtand Chriſtian Birkig, ein Funf- ziger mit hohen Backenknochen und eingedrückten Schläfen, dem für gewöhnlich die nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der Ruder- und Steuermannsdienſt in unſerem Spreeboot oblag.
Wir ſtiegen ein und die Fahrt begann. Gleich die erſte halbe Meile iſt ein landſchaftliches Kabinetſtück und wird in ſo- weit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Beſonderheit des Spreewaldes: ſeinen Netz- und Inſel-Charakter, am deut- lichſten zeigt. Dieſer Netz- und Inſel-Charakter iſt freilich überall vorhanden, aber er verbirgt ſich vielfach, und nur Derjenige, der in einem Luftballon über das vieldurchſchnittene Terrain hinweg- flöge, würde die zu Maſchen geſchlungenen Flußfäden allerorten in ähnlicher Deutlichkeit wie zwiſchen Lübbenau und Lehde zu ſeinen Füßen ſehen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0022"n="6"/><p>Und nun iſt der Gottesdienſt aus, und ſteif und ſtattlich<lb/>
gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe ſind<lb/>
charaktervoll, aber nicht hübſch; ihre Haltung voll Würde. Wir<lb/>
warteten die letzten ab und kehrten dann erſt in unſern Gaſthof<lb/>
zurück, wo wir uns eine halbe Stunde ſpäter durch Cantor Klinge-<lb/>ſtein — eine Spreewalds-Autorität, an die wir von Berlin her<lb/>
empfohlen waren — begrüßt ſahen.</p><lb/><p>Er übernahm unſere Führung.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head>2.<lb/><hirendition="#g">Lehde</hi>.</head><lb/><p>Er übernahm unſere Führung ſagt’ ich, und nach kurzem<lb/>
Gange durch Stadt und Park erreichten wir den Haupt-Spreearm,<lb/>
auf dem die für uns beſtimmte Gondel bereits im Schatten eines<lb/>
Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polſter und Rücklehne ver-<lb/>ſprachen möglichſte Bequemlichkeit, während ein Flaſchenkorb von<lb/>
bemerkenswerthem Umfang — aus dem, ſo oft der Wind das<lb/>
Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verſchiedene roth und gelb<lb/>
geſiegelte Flaſchen hervorlugten — auch noch für <hirendition="#g">mehr</hi> als bloße<lb/>
Bequemlichkeit ſorgen zu wollen ſchien. Am Stern des Bootes,<lb/>
das lange Ruder in der Hand, ſtand Chriſtian Birkig, ein Funf-<lb/>
ziger mit hohen Backenknochen und eingedrückten Schläfen, dem<lb/>
für gewöhnlich die nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der<lb/>
Ruder- und Steuermannsdienſt in unſerem Spreeboot oblag.</p><lb/><p>Wir ſtiegen ein und die Fahrt begann. Gleich die erſte<lb/>
halbe Meile iſt ein landſchaftliches Kabinetſtück und wird in ſo-<lb/>
weit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Beſonderheit<lb/>
des Spreewaldes: ſeinen Netz- und Inſel-Charakter, am deut-<lb/>
lichſten zeigt. Dieſer Netz- und Inſel-Charakter iſt freilich <hirendition="#g">überall</hi><lb/>
vorhanden, aber er verbirgt ſich vielfach, und nur Derjenige, der<lb/>
in einem Luftballon über das vieldurchſchnittene Terrain hinweg-<lb/>
flöge, würde die zu Maſchen geſchlungenen Flußfäden allerorten in<lb/>
ähnlicher Deutlichkeit wie zwiſchen Lübbenau und Lehde zu ſeinen<lb/>
Füßen ſehen.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[6/0022]
Und nun iſt der Gottesdienſt aus, und ſteif und ſtattlich
gehen die Männer und Frauen an uns vorüber. Ihre Köpfe ſind
charaktervoll, aber nicht hübſch; ihre Haltung voll Würde. Wir
warteten die letzten ab und kehrten dann erſt in unſern Gaſthof
zurück, wo wir uns eine halbe Stunde ſpäter durch Cantor Klinge-
ſtein — eine Spreewalds-Autorität, an die wir von Berlin her
empfohlen waren — begrüßt ſahen.
Er übernahm unſere Führung.
2.
Lehde.
Er übernahm unſere Führung ſagt’ ich, und nach kurzem
Gange durch Stadt und Park erreichten wir den Haupt-Spreearm,
auf dem die für uns beſtimmte Gondel bereits im Schatten eines
Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polſter und Rücklehne ver-
ſprachen möglichſte Bequemlichkeit, während ein Flaſchenkorb von
bemerkenswerthem Umfang — aus dem, ſo oft der Wind das
Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verſchiedene roth und gelb
geſiegelte Flaſchen hervorlugten — auch noch für mehr als bloße
Bequemlichkeit ſorgen zu wollen ſchien. Am Stern des Bootes,
das lange Ruder in der Hand, ſtand Chriſtian Birkig, ein Funf-
ziger mit hohen Backenknochen und eingedrückten Schläfen, dem
für gewöhnlich die nächtliche Sicherheit Lübbenaus, heut aber der
Ruder- und Steuermannsdienſt in unſerem Spreeboot oblag.
Wir ſtiegen ein und die Fahrt begann. Gleich die erſte
halbe Meile iſt ein landſchaftliches Kabinetſtück und wird in ſo-
weit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Beſonderheit
des Spreewaldes: ſeinen Netz- und Inſel-Charakter, am deut-
lichſten zeigt. Dieſer Netz- und Inſel-Charakter iſt freilich überall
vorhanden, aber er verbirgt ſich vielfach, und nur Derjenige, der
in einem Luftballon über das vieldurchſchnittene Terrain hinweg-
flöge, würde die zu Maſchen geſchlungenen Flußfäden allerorten in
ähnlicher Deutlichkeit wie zwiſchen Lübbenau und Lehde zu ſeinen
Füßen ſehen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/22>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.