Moskoviens Bär mit eisbehangnen Haaren Dürstete Friedrichs Blut. Christian Fr. Daniel Schubart.
Mit Vergunst, Der Will' ist eins, ein andres ist die Kunst.
Eine halbe Meile nördlich von Tamsel liegt Zorndorf. Der Weg führt zunächst durch eine tiefe Schlucht hindurch, die hier, unmittelbar im Rücken des Dorfes, die Hügelkette (das alte Ufer der Warthe) wie ein Thor durchbricht und immer ansteigend, nach Norden hin, auf ein Plateau von mäßiger Höhe mündet. Die Fahrt, die sehr malerisch beginnt, mit Berglehnen und Laubholz verliert sehr bald diesen Charakter; Sand und Baumwurzeln treten an die Stelle, bis endlich das glau und freundlich daliegende Zorndorf wieder die ziemlich reizlose Oede unterbricht.
Zorndorf ist hübsch und wohlhabend, wie fast alle Dörfer, wo Schlachten geschlagen wurden. Ob es lediglich darin liegt, daß die während des Kampfes zerstörten Dörfer besser und freundlicher wieder aufgebaut werden, oder ob die Schlachtfelder, wie große Kirchhöfe, einen reicheren Acker schaffen, wer mag es sagen? Wahr- scheinlich wirkt beides zusammen. Vielleicht aber kommt noch ein Drittes hinzu: das Auferbauen aus Trümmern schafft nicht nur einfach ein neues Dorf, es schafft auch, in nöthig gewordener An- spannung aller Kräfte, ein rührigeres Geschlecht; und Fleiß und Energie, einmal wach gerufen, vererben sich nunmehr wie ein Se- gen von Vater auf Sohn.
Zorndorf.
Moskoviens Bär mit eisbehangnen Haaren Dürſtete Friedrichs Blut. Chriſtian Fr. Daniel Schubart.
Mit Vergunſt, Der Will’ iſt eins, ein andres iſt die Kunſt.
Eine halbe Meile nördlich von Tamſel liegt Zorndorf. Der Weg führt zunächſt durch eine tiefe Schlucht hindurch, die hier, unmittelbar im Rücken des Dorfes, die Hügelkette (das alte Ufer der Warthe) wie ein Thor durchbricht und immer anſteigend, nach Norden hin, auf ein Plateau von mäßiger Höhe mündet. Die Fahrt, die ſehr maleriſch beginnt, mit Berglehnen und Laubholz verliert ſehr bald dieſen Charakter; Sand und Baumwurzeln treten an die Stelle, bis endlich das glau und freundlich daliegende Zorndorf wieder die ziemlich reizloſe Oede unterbricht.
Zorndorf iſt hübſch und wohlhabend, wie faſt alle Dörfer, wo Schlachten geſchlagen wurden. Ob es lediglich darin liegt, daß die während des Kampfes zerſtörten Dörfer beſſer und freundlicher wieder aufgebaut werden, oder ob die Schlachtfelder, wie große Kirchhöfe, einen reicheren Acker ſchaffen, wer mag es ſagen? Wahr- ſcheinlich wirkt beides zuſammen. Vielleicht aber kommt noch ein Drittes hinzu: das Auferbauen aus Trümmern ſchafft nicht nur einfach ein neues Dorf, es ſchafft auch, in nöthig gewordener An- ſpannung aller Kräfte, ein rührigeres Geſchlecht; und Fleiß und Energie, einmal wach gerufen, vererben ſich nunmehr wie ein Se- gen von Vater auf Sohn.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0072"n="[60]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Zorndorf.</hi></head><lb/><cit><quoterendition="#et"> Moskoviens Bär mit eisbehangnen Haaren<lb/>
Dürſtete Friedrichs Blut.</quote><lb/><bibl><hirendition="#b">Chriſtian Fr. Daniel Schubart.</hi></bibl></cit><lb/><lgtype="poem"><l>Mit Vergunſt,</l><lb/><l>Der Will’ iſt eins, ein andres iſt die Kunſt.</l></lg><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>ine halbe Meile nördlich von Tamſel liegt <hirendition="#g">Zorndorf</hi>. Der<lb/>
Weg führt zunächſt durch eine tiefe Schlucht hindurch, die hier,<lb/>
unmittelbar im Rücken des Dorfes, die Hügelkette (das alte Ufer<lb/>
der Warthe) wie ein Thor durchbricht und immer anſteigend, nach<lb/>
Norden hin, auf ein Plateau von mäßiger Höhe mündet. Die<lb/>
Fahrt, die ſehr maleriſch beginnt, mit Berglehnen und Laubholz<lb/>
verliert ſehr bald dieſen Charakter; Sand und Baumwurzeln treten<lb/>
an die Stelle, bis endlich das glau und freundlich daliegende<lb/>
Zorndorf wieder die ziemlich reizloſe Oede unterbricht.</p><lb/><p>Zorndorf iſt hübſch und wohlhabend, wie faſt alle Dörfer,<lb/>
wo Schlachten geſchlagen wurden. Ob es lediglich darin liegt,<lb/>
daß die während des Kampfes zerſtörten Dörfer beſſer und freundlicher<lb/>
wieder aufgebaut werden, oder ob die Schlachtfelder, wie große<lb/>
Kirchhöfe, einen reicheren Acker ſchaffen, wer mag es ſagen? Wahr-<lb/>ſcheinlich wirkt beides zuſammen. Vielleicht aber kommt noch ein<lb/>
Drittes hinzu: das Auferbauen aus Trümmern ſchafft nicht nur<lb/>
einfach ein neues Dorf, es ſchafft auch, in nöthig gewordener An-<lb/>ſpannung aller Kräfte, ein rührigeres Geſchlecht; und Fleiß und<lb/>
Energie, einmal wach gerufen, vererben ſich nunmehr wie ein Se-<lb/>
gen von Vater auf Sohn.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[[60]/0072]
Zorndorf.
Moskoviens Bär mit eisbehangnen Haaren
Dürſtete Friedrichs Blut.
Chriſtian Fr. Daniel Schubart.
Mit Vergunſt,
Der Will’ iſt eins, ein andres iſt die Kunſt.
Eine halbe Meile nördlich von Tamſel liegt Zorndorf. Der
Weg führt zunächſt durch eine tiefe Schlucht hindurch, die hier,
unmittelbar im Rücken des Dorfes, die Hügelkette (das alte Ufer
der Warthe) wie ein Thor durchbricht und immer anſteigend, nach
Norden hin, auf ein Plateau von mäßiger Höhe mündet. Die
Fahrt, die ſehr maleriſch beginnt, mit Berglehnen und Laubholz
verliert ſehr bald dieſen Charakter; Sand und Baumwurzeln treten
an die Stelle, bis endlich das glau und freundlich daliegende
Zorndorf wieder die ziemlich reizloſe Oede unterbricht.
Zorndorf iſt hübſch und wohlhabend, wie faſt alle Dörfer,
wo Schlachten geſchlagen wurden. Ob es lediglich darin liegt,
daß die während des Kampfes zerſtörten Dörfer beſſer und freundlicher
wieder aufgebaut werden, oder ob die Schlachtfelder, wie große
Kirchhöfe, einen reicheren Acker ſchaffen, wer mag es ſagen? Wahr-
ſcheinlich wirkt beides zuſammen. Vielleicht aber kommt noch ein
Drittes hinzu: das Auferbauen aus Trümmern ſchafft nicht nur
einfach ein neues Dorf, es ſchafft auch, in nöthig gewordener An-
ſpannung aller Kräfte, ein rührigeres Geſchlecht; und Fleiß und
Energie, einmal wach gerufen, vererben ſich nunmehr wie ein Se-
gen von Vater auf Sohn.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. [60]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/72>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.