Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

Bild:
<< vorherige Seite
[irrelevantes Material]
Unterm Birnbaum.

(Fortsetzung.)

12.

Eine Woche war vergangen, in der die Tschechiner viel erlebt hatten. Das Wichtigste war: Hradscheck, nachdem er noch ein Küstriner Schlußverhör durchgemacht hatte, war wieder da. Schlicht und unbefangen, ohne Lücken und Widersprüche, waren die Dunkelheiten aufgeklärt worden, sodaß an seiner Unschuld nicht länger zu zweifeln war. Es seien ihm, so hieß es in seiner vor Vowinkel gemachten Aussage, durch Unachtsamkeit, deren er sich selber zu zeihen habe, mehrere große Speckseiten verdorben, und diese möglichst unbemerkt im Garten zu vergraben, hab' er an jenem Tage vorgehabt. Er sei denn auch, gleich nachdem seine Gäste die Weinstube verlassen hätten, ans Werk gegangen und habe, genauso wie's die Jeschke gesehn und erzählt, an dem alten Birnbaum ein Loch zu graben versucht, als er aber erkannt habe, daß da was verscharrt liege, ja, dem Anscheine nach ein Todter, hab' ihn eine furchtbare Angst gepackt, in Folge deren er nicht weiter gegraben, sondern das Loch rasch wieder zugeschüttet habe. Der Koffer aber, den die Jeschke gesehen haben wolle, das seien eben jene Speckseiten gewesen, die, dicht übereinander gepackt, an der Gartenthür gelegen hätten. "Aber wozu die Heimlichkeit und die Nacht?" hatte Vowinkel nach dieser Erklärung etwas spitz gefragt, worauf Hradscheck, in seiner Erzählung fortfahrend, ohne Verlegenheit und Unruhe geantwortet hatte: "Zu dieser Heimlichkeit seien für ihn zwei Gründe gewesen. Erstens hab' er sich die Vorwürfe seiner Frau, die nur zu geneigt sei, von seiner Unachtsamkeit in Geschäftsdingen zu sprechen, ersparen wollen. Und er dürfe wohl hinzusetzen, wer verheirathet sei, der kenne das und wisse nur zu gut, wie gerne man sich solchen Anklagen und Streitscenen entziehe. Der zweite Grund aber sei noch wichtiger gewesen: die Rücksicht auf die Kundschaft. Die Bauern, wie der Herr Justizrath ja wisse, seien die schwierigsten Leute von der Welt, ewig voll Mißtrauen, und wenn sie derlei Dinge, wie Schinken und Speck, auch freilich nicht in seinem Laden zu kaufen pflegten, weil sie ja genug davon im eignen Rauch hätten, so zögen sie doch gleich Schlüsse vom einen aufs andre. Dergleichen hab er mehr als einmal durchgemacht und dann wochenlang aller Ecken und Enden hören müssen, er passe nicht auf. Ja, noch letzten Herbst, als ihm ganz ohne seine Schuld eine Tonne Heringe thranig geworden sei, habe Schneidigel überall im Dorfe geputscht und unter anderm zu Quaas und Kunicke gesagt: "Uns wird er damit nicht kommen; aber die kleinen Leute; die, die ..."

Der Justizrath hatte hierbei gelächelt und zustimmend genickt, weil er die Bauern fast so gut wie Hradscheck kannte, so daß, nach Erledigung auch dieses Punktes, eigentlich nichts übriggeblieben war als die Frage, "was denn nun, unter so bewandten Umständen, aus dem durchaus zu beseitigenden Speck

[irrelevantes Material]
Unterm Birnbaum.

(Fortsetzung.)

12.

Eine Woche war vergangen, in der die Tschechiner viel erlebt hatten. Das Wichtigste war: Hradscheck, nachdem er noch ein Küstriner Schlußverhör durchgemacht hatte, war wieder da. Schlicht und unbefangen, ohne Lücken und Widersprüche, waren die Dunkelheiten aufgeklärt worden, sodaß an seiner Unschuld nicht länger zu zweifeln war. Es seien ihm, so hieß es in seiner vor Vowinkel gemachten Aussage, durch Unachtsamkeit, deren er sich selber zu zeihen habe, mehrere große Speckseiten verdorben, und diese möglichst unbemerkt im Garten zu vergraben, hab’ er an jenem Tage vorgehabt. Er sei denn auch, gleich nachdem seine Gäste die Weinstube verlassen hätten, ans Werk gegangen und habe, genauso wie’s die Jeschke gesehn und erzählt, an dem alten Birnbaum ein Loch zu graben versucht, als er aber erkannt habe, daß da was verscharrt liege, ja, dem Anscheine nach ein Todter, hab’ ihn eine furchtbare Angst gepackt, in Folge deren er nicht weiter gegraben, sondern das Loch rasch wieder zugeschüttet habe. Der Koffer aber, den die Jeschke gesehen haben wolle, das seien eben jene Speckseiten gewesen, die, dicht übereinander gepackt, an der Gartenthür gelegen hätten. „Aber wozu die Heimlichkeit und die Nacht?“ hatte Vowinkel nach dieser Erklärung etwas spitz gefragt, worauf Hradscheck, in seiner Erzählung fortfahrend, ohne Verlegenheit und Unruhe geantwortet hatte: „Zu dieser Heimlichkeit seien für ihn zwei Gründe gewesen. Erstens hab’ er sich die Vorwürfe seiner Frau, die nur zu geneigt sei, von seiner Unachtsamkeit in Geschäftsdingen zu sprechen, ersparen wollen. Und er dürfe wohl hinzusetzen, wer verheirathet sei, der kenne das und wisse nur zu gut, wie gerne man sich solchen Anklagen und Streitscenen entziehe. Der zweite Grund aber sei noch wichtiger gewesen: die Rücksicht auf die Kundschaft. Die Bauern, wie der Herr Justizrath ja wisse, seien die schwierigsten Leute von der Welt, ewig voll Mißtrauen, und wenn sie derlei Dinge, wie Schinken und Speck, auch freilich nicht in seinem Laden zu kaufen pflegten, weil sie ja genug davon im eignen Rauch hätten, so zögen sie doch gleich Schlüsse vom einen aufs andre. Dergleichen hab er mehr als einmal durchgemacht und dann wochenlang aller Ecken und Enden hören müssen, er passe nicht auf. Ja, noch letzten Herbst, als ihm ganz ohne seine Schuld eine Tonne Heringe thranig geworden sei, habe Schneidigel überall im Dorfe geputscht und unter anderm zu Quaas und Kunicke gesagt: „Uns wird er damit nicht kommen; aber die kleinen Leute; die, die …“

Der Justizrath hatte hierbei gelächelt und zustimmend genickt, weil er die Bauern fast so gut wie Hradscheck kannte, so daß, nach Erledigung auch dieses Punktes, eigentlich nichts übriggeblieben war als die Frage, „was denn nun, unter so bewandten Umständen, aus dem durchaus zu beseitigenden Speck

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0023" n="613"/>
      <div xml:id="Heft_38">
        <gap reason="insignificant"/><lb/>
        <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#larger"> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#b">Unterm Birnbaum.</hi> </hi> </hi> </hi> </head>
        <byline> <hi rendition="#c">Von <hi rendition="#b">Th. Fontane.</hi></hi> </byline><lb/>
        <p> <hi rendition="#c">(Fortsetzung.)</hi> </p><lb/>
        <div type="chapter">
          <head> <hi rendition="#c">12.</hi> </head><lb/>
          <p>Eine Woche war vergangen, in der die Tschechiner viel erlebt hatten. Das Wichtigste war: Hradscheck, nachdem er noch ein Küstriner Schlußverhör durchgemacht hatte, war wieder da. Schlicht und unbefangen, ohne Lücken und Widersprüche, waren die Dunkelheiten aufgeklärt worden, sodaß an seiner Unschuld nicht länger zu zweifeln war. Es seien ihm, so hieß es in seiner vor Vowinkel gemachten Aussage, durch Unachtsamkeit, deren er sich selber zu zeihen habe, mehrere große Speckseiten verdorben, und diese möglichst unbemerkt im Garten zu vergraben, hab&#x2019; er an jenem Tage vorgehabt. Er sei denn auch, gleich nachdem seine Gäste die Weinstube verlassen hätten, ans Werk gegangen und habe, genauso wie&#x2019;s die Jeschke gesehn und erzählt, an dem alten Birnbaum ein Loch zu graben versucht, als er aber erkannt habe, daß da was verscharrt liege, ja, dem Anscheine nach ein Todter, hab&#x2019; ihn eine furchtbare Angst gepackt, in Folge deren er nicht weiter gegraben, sondern das Loch rasch wieder zugeschüttet habe. Der Koffer aber, den die Jeschke gesehen haben wolle, das seien eben jene Speckseiten gewesen, die, dicht übereinander gepackt, an der Gartenthür gelegen hätten. &#x201E;Aber wozu die Heimlichkeit und die Nacht?&#x201C; hatte Vowinkel nach dieser Erklärung etwas spitz gefragt, worauf Hradscheck, in seiner Erzählung fortfahrend, ohne Verlegenheit und Unruhe geantwortet hatte: &#x201E;Zu dieser Heimlichkeit seien für ihn zwei Gründe gewesen. Erstens hab&#x2019; er sich die Vorwürfe seiner Frau, die nur zu geneigt sei, von seiner Unachtsamkeit in Geschäftsdingen zu sprechen, ersparen wollen. Und er dürfe wohl hinzusetzen, wer verheirathet sei, der kenne das und wisse nur zu gut, wie gerne man sich solchen Anklagen und Streitscenen entziehe. Der zweite Grund aber sei noch wichtiger gewesen: die Rücksicht auf die Kundschaft. Die Bauern, wie der Herr Justizrath ja wisse, seien die schwierigsten Leute von der Welt, ewig voll Mißtrauen, und wenn sie derlei Dinge, wie Schinken und Speck, auch freilich nicht in seinem Laden zu kaufen pflegten, weil sie ja genug davon im eignen Rauch hätten, so zögen sie doch gleich Schlüsse vom einen aufs andre. Dergleichen hab er mehr als einmal durchgemacht und dann wochenlang aller Ecken und Enden hören müssen, er passe nicht auf. Ja, noch letzten Herbst, als ihm ganz ohne seine Schuld eine Tonne Heringe thranig geworden sei, habe Schneidigel überall im Dorfe geputscht und unter anderm zu Quaas und Kunicke gesagt: &#x201E;Uns wird er damit nicht kommen; aber die kleinen Leute; die, die &#x2026;&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Justizrath hatte hierbei gelächelt und zustimmend genickt, weil er die Bauern fast so gut wie Hradscheck kannte, so daß, nach Erledigung auch <hi rendition="#g">dieses</hi> Punktes, eigentlich nichts übriggeblieben war als die Frage, &#x201E;was denn nun, unter so bewandten Umständen, aus dem durchaus zu beseitigenden Speck
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[613/0023] _ Unterm Birnbaum. Von Th. Fontane. (Fortsetzung.) 12. Eine Woche war vergangen, in der die Tschechiner viel erlebt hatten. Das Wichtigste war: Hradscheck, nachdem er noch ein Küstriner Schlußverhör durchgemacht hatte, war wieder da. Schlicht und unbefangen, ohne Lücken und Widersprüche, waren die Dunkelheiten aufgeklärt worden, sodaß an seiner Unschuld nicht länger zu zweifeln war. Es seien ihm, so hieß es in seiner vor Vowinkel gemachten Aussage, durch Unachtsamkeit, deren er sich selber zu zeihen habe, mehrere große Speckseiten verdorben, und diese möglichst unbemerkt im Garten zu vergraben, hab’ er an jenem Tage vorgehabt. Er sei denn auch, gleich nachdem seine Gäste die Weinstube verlassen hätten, ans Werk gegangen und habe, genauso wie’s die Jeschke gesehn und erzählt, an dem alten Birnbaum ein Loch zu graben versucht, als er aber erkannt habe, daß da was verscharrt liege, ja, dem Anscheine nach ein Todter, hab’ ihn eine furchtbare Angst gepackt, in Folge deren er nicht weiter gegraben, sondern das Loch rasch wieder zugeschüttet habe. Der Koffer aber, den die Jeschke gesehen haben wolle, das seien eben jene Speckseiten gewesen, die, dicht übereinander gepackt, an der Gartenthür gelegen hätten. „Aber wozu die Heimlichkeit und die Nacht?“ hatte Vowinkel nach dieser Erklärung etwas spitz gefragt, worauf Hradscheck, in seiner Erzählung fortfahrend, ohne Verlegenheit und Unruhe geantwortet hatte: „Zu dieser Heimlichkeit seien für ihn zwei Gründe gewesen. Erstens hab’ er sich die Vorwürfe seiner Frau, die nur zu geneigt sei, von seiner Unachtsamkeit in Geschäftsdingen zu sprechen, ersparen wollen. Und er dürfe wohl hinzusetzen, wer verheirathet sei, der kenne das und wisse nur zu gut, wie gerne man sich solchen Anklagen und Streitscenen entziehe. Der zweite Grund aber sei noch wichtiger gewesen: die Rücksicht auf die Kundschaft. Die Bauern, wie der Herr Justizrath ja wisse, seien die schwierigsten Leute von der Welt, ewig voll Mißtrauen, und wenn sie derlei Dinge, wie Schinken und Speck, auch freilich nicht in seinem Laden zu kaufen pflegten, weil sie ja genug davon im eignen Rauch hätten, so zögen sie doch gleich Schlüsse vom einen aufs andre. Dergleichen hab er mehr als einmal durchgemacht und dann wochenlang aller Ecken und Enden hören müssen, er passe nicht auf. Ja, noch letzten Herbst, als ihm ganz ohne seine Schuld eine Tonne Heringe thranig geworden sei, habe Schneidigel überall im Dorfe geputscht und unter anderm zu Quaas und Kunicke gesagt: „Uns wird er damit nicht kommen; aber die kleinen Leute; die, die …“ Der Justizrath hatte hierbei gelächelt und zustimmend genickt, weil er die Bauern fast so gut wie Hradscheck kannte, so daß, nach Erledigung auch dieses Punktes, eigentlich nichts übriggeblieben war als die Frage, „was denn nun, unter so bewandten Umständen, aus dem durchaus zu beseitigenden Speck

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-12T12:36:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
  • I/J in Fraktur: wie Vorlage;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
  • Spaltenumbrüche markiert: nein;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/23
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/23>, abgerufen am 23.11.2024.