Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.Wissens überhaupt. Es entsteht die Frage: wie verhält §. 4. In wie fern kann die Wissenschaftslehre sicher seyn, das menschliche Wissen überhaupt erschöpft zu haben? Das bisherige wahre oder eingebildete menschliche Stuffe
Wiſſens überhaupt. Es entſteht die Frage: wie verhält §. 4. In wie fern kann die Wiſſenſchaftslehre ſicher ſeyn, das menſchliche Wiſſen überhaupt erſchöpft zu haben? Das bisherige wahre oder eingebildete menſchliche Stuffe
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0042" n="34"/> Wiſſens überhaupt. Es entſteht die Frage: wie verhält<lb/> ſich die Wiſſenſchaft, als Wiſſenſchaft, zu ihrem Gegen-<lb/> ſtande, als ſolchem.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head>§. 4. <hi rendition="#i">In wie fern kann die Wiſſenſchaftslehre<lb/> ſicher ſeyn, das menſchliche Wiſſen überhaupt<lb/> erſchöpft zu haben?</hi></head><lb/> <p>Das <hi rendition="#i">bisherige</hi> wahre oder eingebildete menſchliche<lb/> Wiſſen, iſt nicht das menſchliche Wiſſen überhaupt.<lb/> Geſetzt, ein Philoſoph könnte daſſelbe wirklich umfaſst<lb/> haben, und durch eine vollſtändige Induktion den Be-<lb/> weiſs führen, daſs es in ſeinem Syſtem enthalten ſei,<lb/> ſo hätte er dadurch ſeiner Aufgabe noch bei weitem keine<lb/> Genüge gethan: denn wie wollte er durch ſeine Induk-<lb/> tion aus der bisherigen Erfahrung erweiſen, daſs auch<lb/> in der Zukunft keine Entdeckung gemacht werden könne,<lb/> die nicht unter ſein Syſtem paſſe? — Nicht gründlicher<lb/> würde die Ausflucht ſeyn, daſs er etwa nur das in der<lb/> gegenwärtigen Sphäre der menſchlichen Exiſtenz mög-<lb/> liche Wiſſen habe erſchöpfen wollen; denn wenn ſeine<lb/> Philoſophie nur für dieſe Sphäre gilt, ſo kennt er keine<lb/> mögliche andre, er kennt demnach auch die Grenzen<lb/> derjenigen nicht, die durch ſeine Philoſophie erſchöpft<lb/> werden ſoll; er hat willkürlich eine Grenze gezogen,<lb/> deren Wahrheit er kaum durch etwas anders, als durch<lb/> die bisherige Erfahrung erweiſen kann, welche durch<lb/> eine künftige Erfahrung ſelbſt innerhalb ſeiner vorge-<lb/> gebnen Sphäre immer widerſprochen werden könnte.<lb/> Das menſchliche Wiſſen überhaupt ſoll erſchöpft wer-<lb/> den, heiſst, es ſoll unbedingt und ſchlechthin beſtimmt<lb/> werden, was der Menſch nicht bloſs auf der jetzigen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Stuffe</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0042]
Wiſſens überhaupt. Es entſteht die Frage: wie verhält
ſich die Wiſſenſchaft, als Wiſſenſchaft, zu ihrem Gegen-
ſtande, als ſolchem.
§. 4. In wie fern kann die Wiſſenſchaftslehre
ſicher ſeyn, das menſchliche Wiſſen überhaupt
erſchöpft zu haben?
Das bisherige wahre oder eingebildete menſchliche
Wiſſen, iſt nicht das menſchliche Wiſſen überhaupt.
Geſetzt, ein Philoſoph könnte daſſelbe wirklich umfaſst
haben, und durch eine vollſtändige Induktion den Be-
weiſs führen, daſs es in ſeinem Syſtem enthalten ſei,
ſo hätte er dadurch ſeiner Aufgabe noch bei weitem keine
Genüge gethan: denn wie wollte er durch ſeine Induk-
tion aus der bisherigen Erfahrung erweiſen, daſs auch
in der Zukunft keine Entdeckung gemacht werden könne,
die nicht unter ſein Syſtem paſſe? — Nicht gründlicher
würde die Ausflucht ſeyn, daſs er etwa nur das in der
gegenwärtigen Sphäre der menſchlichen Exiſtenz mög-
liche Wiſſen habe erſchöpfen wollen; denn wenn ſeine
Philoſophie nur für dieſe Sphäre gilt, ſo kennt er keine
mögliche andre, er kennt demnach auch die Grenzen
derjenigen nicht, die durch ſeine Philoſophie erſchöpft
werden ſoll; er hat willkürlich eine Grenze gezogen,
deren Wahrheit er kaum durch etwas anders, als durch
die bisherige Erfahrung erweiſen kann, welche durch
eine künftige Erfahrung ſelbſt innerhalb ſeiner vorge-
gebnen Sphäre immer widerſprochen werden könnte.
Das menſchliche Wiſſen überhaupt ſoll erſchöpft wer-
den, heiſst, es ſoll unbedingt und ſchlechthin beſtimmt
werden, was der Menſch nicht bloſs auf der jetzigen
Stuffe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |