für jene Person überhaupt 2) das Bewustseyn dieser Verbindlichkeit bey der Willensbestim- mung zu der Handlung oder Unterlassung, aus welcher der rechtswidrige Effect entstan- den ist, 3 die Erkenntniss, dass die unternom- mene Handlung oder Unterlassung unter der Verbindlichkeit stehe, 4) die physische Möglich- keit, die Handlung zu thun oder unterlassen und den gesetzwidrigen Effect zu verhüthen. Wo Eins dieser Requisite mangelt, ist das Ver- brechen unverschuldet, weil nur unter diesen Bedingungen eine Gesetzwidrigkeit des Be- gehrens in Rücksicht auf Culpa denkbar ist. *)
§. 64.
Die Culpa zerfällt in Rücksicht der Hand- lungen oder Unterlassungen, welche die Uebertretung ohne Absicht der Person be- gründen können, in vier Arten. Diese Hand- lungen können I. innere Handlungen, und zwar unterlassener Gebrauch des Erkenntnissvermö- gens seyn. Gebrauchte die Person mit Ernst ihre Erkenntnisskräfte, um die Erkenntniss zu erlangen, aus derem Nichtdaseyn die Ue- bertretung entsprang, so war ihre Unwissen- heit oder ihr Irrthum unverschuldet (error- ignorantia invincibilis), wenn sie die Erkennt- niss überhaupt oder die wahre Erkenntniss dennoch nicht erlangte. Denn die Culpa setzt physische Möglichkeit voraus (§. 63.). Es war aber der Person (subjective) unmöglich die wahre Erkenntniss zu erlangen, wenn sie sie
erhal-
*) Vergl. die Betrachtungen über Dolus und Culpa. Betr. III. -- IX.
I. Buch. II. Theil. I. Titel. V. Abſchnitt.
für jene Perſon überhaupt 2) das Bewuſtſeyn dieſer Verbindlichkeit bey der Willensbeſtim- mung zu der Handlung oder Unterlaſſung, aus welcher der rechtswidrige Effect entſtan- den iſt, 3 die Erkenntniſs, daſs die unternom- mene Handlung oder Unterlaſſung unter der Verbindlichkeit ſtehe, 4) die phyſiſche Möglich- keit, die Handlung zu thun oder unterlaſſen und den geſetzwidrigen Effect zu verhüthen. Wo Eins dieſer Requiſite mangelt, iſt das Ver- brechen unverſchuldet, weil nur unter dieſen Bedingungen eine Geſetzwidrigkeit des Be- gehrens in Rückſicht auf Culpa denkbar iſt. *)
§. 64.
Die Culpa zerfällt in Rückſicht der Hand- lungen oder Unterlaſſungen, welche die Uebertretung ohne Abſicht der Perſon be- gründen können, in vier Arten. Dieſe Hand- lungen können I. innere Handlungen, und zwar unterlaſſener Gebrauch des Erkenntniſsvermö- gens ſeyn. Gebrauchte die Perſon mit Ernſt ihre Erkenntniſskräfte, um die Erkenntniſs zu erlangen, aus derem Nichtdaſeyn die Ue- bertretung entſprang, ſo war ihre Unwiſſen- heit oder ihr Irrthum unverſchuldet (error- ignorantia invincibilis), wenn ſie die Erkennt- niſs überhaupt oder die wahre Erkenntniſs dennoch nicht erlangte. Denn die Culpa ſetzt phyſiſche Möglichkeit voraus (§. 63.). Es war aber der Perſon (ſubjective) unmöglich die wahre Erkenntniſs zu erlangen, wenn ſie ſie
erhal-
*) Vergl. die Betrachtungen über Dolus und Culpa. Betr. III. — IX.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0076"n="48"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#i">I. Buch. II. Theil. I. Titel. V. Abſchnitt.</hi></fw><lb/>
für jene Perſon überhaupt 2) das <hirendition="#i">Bewuſtſeyn<lb/>
dieſer Verbindlichkeit</hi> bey der Willensbeſtim-<lb/>
mung zu der Handlung oder Unterlaſſung,<lb/>
aus welcher der rechtswidrige Effect entſtan-<lb/>
den iſt, 3 die Erkenntniſs, daſs <hirendition="#i">die unternom-<lb/>
mene Handlung oder Unterlaſſung unter der<lb/>
Verbindlichkeit</hi>ſtehe, 4) die <hirendition="#i">phyſiſche Möglich-<lb/>
keit</hi>, die Handlung zu thun oder unterlaſſen<lb/>
und den geſetzwidrigen Effect zu verhüthen.<lb/>
Wo Eins dieſer Requiſite mangelt, iſt das Ver-<lb/>
brechen <hirendition="#i">unverſchuldet</hi>, weil nur unter dieſen<lb/>
Bedingungen eine Geſetzwidrigkeit des Be-<lb/>
gehrens in Rückſicht auf Culpa denkbar iſt. <noteplace="foot"n="*)">Vergl. <hirendition="#i">die Betrachtungen über</hi> D<hirendition="#i">olus und Culpa.</hi> Betr.<lb/>
III. — IX.</note></p></div><lb/><divn="7"><head>§. 64.</head><lb/><p>Die Culpa zerfällt in Rückſicht der Hand-<lb/>
lungen oder Unterlaſſungen, welche die<lb/>
Uebertretung ohne Abſicht der Perſon be-<lb/>
gründen können, in vier Arten. Dieſe Hand-<lb/>
lungen können I. <hirendition="#i">innere Handlungen</hi>, und zwar<lb/>
unterlaſſener Gebrauch des <hirendition="#i">Erkenntniſsvermö-<lb/>
gens</hi>ſeyn. Gebrauchte die Perſon mit Ernſt<lb/>
ihre Erkenntniſskräfte, um die Erkenntniſs<lb/>
zu erlangen, aus derem Nichtdaſeyn die Ue-<lb/>
bertretung entſprang, ſo war ihre <hirendition="#i">Unwiſſen-<lb/>
heit</hi> oder ihr <hirendition="#i">Irrthum unverſchuldet</hi> (error-<lb/>
ignorantia invincibilis), wenn ſie die Erkennt-<lb/>
niſs überhaupt oder die wahre Erkenntniſs<lb/>
dennoch nicht erlangte. Denn die Culpa ſetzt<lb/><hirendition="#i">phyſiſche Möglichkeit</hi> voraus (§. 63.). Es war<lb/>
aber der Perſon (ſubjective) unmöglich die<lb/>
wahre Erkenntniſs zu erlangen, wenn ſie ſie<lb/><fwplace="bottom"type="catch">erhal-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[48/0076]
I. Buch. II. Theil. I. Titel. V. Abſchnitt.
für jene Perſon überhaupt 2) das Bewuſtſeyn
dieſer Verbindlichkeit bey der Willensbeſtim-
mung zu der Handlung oder Unterlaſſung,
aus welcher der rechtswidrige Effect entſtan-
den iſt, 3 die Erkenntniſs, daſs die unternom-
mene Handlung oder Unterlaſſung unter der
Verbindlichkeit ſtehe, 4) die phyſiſche Möglich-
keit, die Handlung zu thun oder unterlaſſen
und den geſetzwidrigen Effect zu verhüthen.
Wo Eins dieſer Requiſite mangelt, iſt das Ver-
brechen unverſchuldet, weil nur unter dieſen
Bedingungen eine Geſetzwidrigkeit des Be-
gehrens in Rückſicht auf Culpa denkbar iſt. *)
§. 64.
Die Culpa zerfällt in Rückſicht der Hand-
lungen oder Unterlaſſungen, welche die
Uebertretung ohne Abſicht der Perſon be-
gründen können, in vier Arten. Dieſe Hand-
lungen können I. innere Handlungen, und zwar
unterlaſſener Gebrauch des Erkenntniſsvermö-
gens ſeyn. Gebrauchte die Perſon mit Ernſt
ihre Erkenntniſskräfte, um die Erkenntniſs
zu erlangen, aus derem Nichtdaſeyn die Ue-
bertretung entſprang, ſo war ihre Unwiſſen-
heit oder ihr Irrthum unverſchuldet (error-
ignorantia invincibilis), wenn ſie die Erkennt-
niſs überhaupt oder die wahre Erkenntniſs
dennoch nicht erlangte. Denn die Culpa ſetzt
phyſiſche Möglichkeit voraus (§. 63.). Es war
aber der Perſon (ſubjective) unmöglich die
wahre Erkenntniſs zu erlangen, wenn ſie ſie
erhal-
*) Vergl. die Betrachtungen über Dolus und Culpa. Betr.
III. — IX.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/76>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.