mit dem Verstande, nur durch freche Willkühr, nur durch schamlose Lügen -- nur durch die Sünde gegen den heiligen Geist die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung bewahrheiten.
Der Widerspruch in dem Wesen Gottes.
Das oberste Princip, der Centralpunkt der christli- chen Sophistik ist der Begriff Gottes. Gott ist das menschliche Wesen und doch soll er ein andres, übermensch- liches Wesen sein. Gott ist das allgemeine, reine Wesen, die Idee des Wesens schlechtweg und doch soll er persönliches, individuelles Wesen sein; oder: Gott ist Person und doch soll er Gott, allgemeines, d. h. kein persönliches Wesen sein. Gott ist; seine Existenz ist gewiß, gewisser als die unsrige; er hat ein abgesondertes, von uns und von den Dingen unter- schiednes, d. i. individuelles Sein, und doch soll sein Sein ein geistiges, d. h. ein nicht als ein besondres wahrnehmbares Sein sein. Im Soll wird immer geläugnet, was im Ist behauptet wird. Der Grundbegriff ist ein Widerspruch, der nur durch Sophismen verdeckt wird. Ein Gott, der sich nicht um uns kümmert, unsere Gebete nicht erhört, uns nicht sieht und liebt, ist kein Gott; es wird also die Menschlichkeit zum wesentlichen Prädicat Gottes gemacht; aber zugleich heißt es wieder: ein Gott, der nicht für sich existirt, außer dem Menschen, über dem Menschen, als ein andres Wesen, ist ein Phantom; es wird also die Un- und Außermenschlich- keit zum wesentlichen Prädicat der Gottheit gemacht. Ein Gott, der nicht ist, wie wir, nicht Bewußtsein, nicht Einsicht, d. h. nicht persönlichen Verstand, persönliches Be-
mit dem Verſtande, nur durch freche Willkühr, nur durch ſchamloſe Lügen — nur durch die Sünde gegen den heiligen Geiſt die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung bewahrheiten.
Der Widerſpruch in dem Weſen Gottes.
Das oberſte Princip, der Centralpunkt der chriſtli- chen Sophiſtik iſt der Begriff Gottes. Gott iſt das menſchliche Weſen und doch ſoll er ein andres, übermenſch- liches Weſen ſein. Gott iſt das allgemeine, reine Weſen, die Idee des Weſens ſchlechtweg und doch ſoll er perſönliches, individuelles Weſen ſein; oder: Gott iſt Perſon und doch ſoll er Gott, allgemeines, d. h. kein perſönliches Weſen ſein. Gott iſt; ſeine Exiſtenz iſt gewiß, gewiſſer als die unſrige; er hat ein abgeſondertes, von uns und von den Dingen unter- ſchiednes, d. i. individuelles Sein, und doch ſoll ſein Sein ein geiſtiges, d. h. ein nicht als ein beſondres wahrnehmbares Sein ſein. Im Soll wird immer geläugnet, was im Iſt behauptet wird. Der Grundbegriff iſt ein Widerſpruch, der nur durch Sophismen verdeckt wird. Ein Gott, der ſich nicht um uns kümmert, unſere Gebete nicht erhört, uns nicht ſieht und liebt, iſt kein Gott; es wird alſo die Menſchlichkeit zum weſentlichen Prädicat Gottes gemacht; aber zugleich heißt es wieder: ein Gott, der nicht für ſich exiſtirt, außer dem Menſchen, über dem Menſchen, als ein andres Weſen, iſt ein Phantom; es wird alſo die Un- und Außermenſchlich- keit zum weſentlichen Prädicat der Gottheit gemacht. Ein Gott, der nicht iſt, wie wir, nicht Bewußtſein, nicht Einſicht, d. h. nicht perſönlichen Verſtand, perſönliches Be-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0308"n="290"/><hirendition="#g">mit dem Verſtande</hi>, nur durch <hirendition="#g">freche Willkühr</hi>, nur<lb/>
durch <hirendition="#g">ſchamloſe Lügen</hi>— nur durch die <hirendition="#g">Sünde</hi> gegen den<lb/>
heiligen Geiſt die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung<lb/>
bewahrheiten.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Der Widerſpruch in dem Weſen Gottes.</hi></head><lb/><p>Das oberſte Princip, der <hirendition="#g">Centralpunkt</hi> der <hirendition="#g">chriſtli-<lb/>
chen Sophiſtik</hi> iſt der <hirendition="#g">Begriff Gottes</hi>. Gott iſt das<lb/>
menſchliche Weſen und doch <hirendition="#g">ſoll</hi> er ein <hirendition="#g">andres, übermenſch-<lb/>
liches</hi> Weſen ſein. Gott iſt das allgemeine, reine Weſen,<lb/>
die Idee des Weſens ſchlechtweg und doch ſoll er perſönliches,<lb/>
individuelles Weſen ſein; oder: Gott iſt Perſon und doch ſoll<lb/>
er Gott, allgemeines, d. h. kein <hirendition="#g">perſönliches</hi> Weſen ſein.<lb/>
Gott iſt; ſeine Exiſtenz iſt gewiß, gewiſſer als die unſrige; er<lb/>
hat ein abgeſondertes, von uns und von den Dingen unter-<lb/>ſchiednes, d. i. individuelles Sein, und doch ſoll ſein Sein ein<lb/>
geiſtiges, d. h. ein nicht <hirendition="#g">als ein beſondres</hi> wahrnehmbares<lb/>
Sein ſein. Im Soll wird immer geläugnet, was im Iſt<lb/>
behauptet wird. Der Grundbegriff iſt ein Widerſpruch, der<lb/>
nur durch Sophismen verdeckt wird. Ein Gott, der ſich nicht<lb/>
um uns kümmert, unſere Gebete nicht erhört, uns nicht ſieht<lb/>
und liebt, iſt kein Gott; es wird alſo die <hirendition="#g">Menſchlichkeit</hi> zum<lb/>
weſentlichen Prädicat Gottes gemacht; aber zugleich heißt es<lb/>
wieder: ein Gott, der nicht für ſich exiſtirt, außer dem<lb/>
Menſchen, über dem Menſchen, als ein <hirendition="#g">andres</hi> Weſen, iſt<lb/>
ein Phantom; es wird alſo die <hirendition="#g">Un-</hi> und <hirendition="#g">Außermenſchlich-<lb/>
keit</hi> zum weſentlichen Prädicat der Gottheit gemacht. Ein<lb/>
Gott, der nicht iſt, <hirendition="#g">wie wir</hi>, nicht Bewußtſein, nicht Einſicht,<lb/>
d. h. nicht <hirendition="#g">perſönlichen Verſtand, perſönliches Be-<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[290/0308]
mit dem Verſtande, nur durch freche Willkühr, nur
durch ſchamloſe Lügen — nur durch die Sünde gegen den
heiligen Geiſt die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung
bewahrheiten.
Der Widerſpruch in dem Weſen Gottes.
Das oberſte Princip, der Centralpunkt der chriſtli-
chen Sophiſtik iſt der Begriff Gottes. Gott iſt das
menſchliche Weſen und doch ſoll er ein andres, übermenſch-
liches Weſen ſein. Gott iſt das allgemeine, reine Weſen,
die Idee des Weſens ſchlechtweg und doch ſoll er perſönliches,
individuelles Weſen ſein; oder: Gott iſt Perſon und doch ſoll
er Gott, allgemeines, d. h. kein perſönliches Weſen ſein.
Gott iſt; ſeine Exiſtenz iſt gewiß, gewiſſer als die unſrige; er
hat ein abgeſondertes, von uns und von den Dingen unter-
ſchiednes, d. i. individuelles Sein, und doch ſoll ſein Sein ein
geiſtiges, d. h. ein nicht als ein beſondres wahrnehmbares
Sein ſein. Im Soll wird immer geläugnet, was im Iſt
behauptet wird. Der Grundbegriff iſt ein Widerſpruch, der
nur durch Sophismen verdeckt wird. Ein Gott, der ſich nicht
um uns kümmert, unſere Gebete nicht erhört, uns nicht ſieht
und liebt, iſt kein Gott; es wird alſo die Menſchlichkeit zum
weſentlichen Prädicat Gottes gemacht; aber zugleich heißt es
wieder: ein Gott, der nicht für ſich exiſtirt, außer dem
Menſchen, über dem Menſchen, als ein andres Weſen, iſt
ein Phantom; es wird alſo die Un- und Außermenſchlich-
keit zum weſentlichen Prädicat der Gottheit gemacht. Ein
Gott, der nicht iſt, wie wir, nicht Bewußtſein, nicht Einſicht,
d. h. nicht perſönlichen Verſtand, perſönliches Be-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/308>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.