Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Götter; aber allmächtig wirkt die Phantasie im Bunde mit
dem Herzen. Und dieser Bund der Freiheit der Phantasie mit
der Nothwendigkeit des Herzens ist Christus. Alle Dinge
sind Christo unterthan
; Er ist der Herr der Welt, der mit
ihr macht, was er nur will; aber diese über die Natur unbe-
schränkt gebietende Macht ist selbst wieder unterthan der
Macht des Herzens
: Christus gebietet der tobenden Natur
Stillschweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Noth-
leidenden*).


Der Unterschied des Christenthums vom Heidenthum.

Christus ist die Allmacht der Subjectivität, das von allen
Banden und Gesetzen der Natur erlöste Herz, das mit Aus-
schluß der Welt nur auf sich allein concentrirte Gemüth, die
Realität aller Herzenswünsche, die Himmelfahrt der Phanta-
sie, das Auferstehungsfest des Herzens -- Christus daher
der Unterschied des Christenthums vom Heidenthum
.

Im Christenthum concentrirte sich der Mensch nur auf
sich selbst; erfaßte er sich als das allein berechtigte, allein we-
senhafte Wesen; löste er sich vom Zusammenhang des
Weltganzen los
; machte er sich zu einem selbstgenügsamen
Ganzen, zu einem absoluten, außer- und überweltlichen
Wesen
. Eben dadurch, daß er sich nicht mehr als einen
Theil der Welt ansah, den Zusammenhang mit ihr unterbrach,
fühlte er sich als unbeschränktes Wesen -- denn die Schranke
der Subjectivität ist eben die Welt, die Objectivität -- hatte
er keinen Grund mehr, die Wahrheit und Gültigkeit seiner

*) Ueber den Unterschied von Herz und Gemüth im Anhange.

Götter; aber allmächtig wirkt die Phantaſie im Bunde mit
dem Herzen. Und dieſer Bund der Freiheit der Phantaſie mit
der Nothwendigkeit des Herzens iſt Chriſtus. Alle Dinge
ſind Chriſto unterthan
; Er iſt der Herr der Welt, der mit
ihr macht, was er nur will; aber dieſe über die Natur unbe-
ſchränkt gebietende Macht iſt ſelbſt wieder unterthan der
Macht des Herzens
: Chriſtus gebietet der tobenden Natur
Stillſchweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Noth-
leidenden*).


Der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum.

Chriſtus iſt die Allmacht der Subjectivität, das von allen
Banden und Geſetzen der Natur erlöſte Herz, das mit Aus-
ſchluß der Welt nur auf ſich allein concentrirte Gemüth, die
Realität aller Herzenswünſche, die Himmelfahrt der Phanta-
ſie, das Auferſtehungsfeſt des Herzens — Chriſtus daher
der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum
.

Im Chriſtenthum concentrirte ſich der Menſch nur auf
ſich ſelbſt; erfaßte er ſich als das allein berechtigte, allein we-
ſenhafte Weſen; löſte er ſich vom Zuſammenhang des
Weltganzen los
; machte er ſich zu einem ſelbſtgenügſamen
Ganzen, zu einem abſoluten, außer- und überweltlichen
Weſen
. Eben dadurch, daß er ſich nicht mehr als einen
Theil der Welt anſah, den Zuſammenhang mit ihr unterbrach,
fühlte er ſich als unbeſchränktes Weſen — denn die Schranke
der Subjectivität iſt eben die Welt, die Objectivität — hatte
er keinen Grund mehr, die Wahrheit und Gültigkeit ſeiner

*) Ueber den Unterſchied von Herz und Gemüth im Anhange.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="197"/>
Götter; aber allmächtig wirkt die Phanta&#x017F;ie im Bunde mit<lb/>
dem Herzen. Und die&#x017F;er Bund der Freiheit der Phanta&#x017F;ie mit<lb/>
der Nothwendigkeit des Herzens i&#x017F;t Chri&#x017F;tus. <hi rendition="#g">Alle Dinge<lb/>
&#x017F;ind Chri&#x017F;to unterthan</hi>; Er i&#x017F;t der Herr der Welt, der mit<lb/>
ihr macht, was er nur will; aber die&#x017F;e über die Natur unbe-<lb/>
&#x017F;chränkt gebietende Macht i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t wieder unterthan <hi rendition="#g">der<lb/>
Macht des Herzens</hi>: Chri&#x017F;tus gebietet der tobenden Natur<lb/>
Still&#x017F;chweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Noth-<lb/>
leidenden<note place="foot" n="*)">Ueber den Unter&#x017F;chied von <hi rendition="#g">Herz</hi> und <hi rendition="#g">Gemüth</hi> im Anhange.</note>.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der Unter&#x017F;chied des Chri&#x017F;tenthums vom Heidenthum.</hi> </head><lb/>
          <p>Chri&#x017F;tus i&#x017F;t die Allmacht der Subjectivität, das von allen<lb/>
Banden und Ge&#x017F;etzen der Natur erlö&#x017F;te Herz, das mit Aus-<lb/>
&#x017F;chluß der Welt nur auf &#x017F;ich allein concentrirte Gemüth, die<lb/>
Realität aller Herzenswün&#x017F;che, die Himmelfahrt der Phanta-<lb/>
&#x017F;ie, das Aufer&#x017F;tehungsfe&#x017F;t des Herzens &#x2014; <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tus daher<lb/>
der Unter&#x017F;chied des Chri&#x017F;tenthums vom Heidenthum</hi>.</p><lb/>
          <p>Im Chri&#x017F;tenthum concentrirte &#x017F;ich der Men&#x017F;ch nur auf<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t; erfaßte er &#x017F;ich als das allein berechtigte, allein we-<lb/>
&#x017F;enhafte We&#x017F;en; lö&#x017F;te er &#x017F;ich vom <hi rendition="#g">Zu&#x017F;ammenhang des<lb/>
Weltganzen los</hi>; machte er &#x017F;ich zu einem &#x017F;elb&#x017F;tgenüg&#x017F;amen<lb/>
Ganzen, zu einem <hi rendition="#g">ab&#x017F;oluten, außer- und überweltlichen<lb/>
We&#x017F;en</hi>. Eben dadurch, daß er &#x017F;ich nicht mehr als einen<lb/>
Theil der Welt an&#x017F;ah, den Zu&#x017F;ammenhang mit ihr unterbrach,<lb/>
fühlte er &#x017F;ich als <hi rendition="#g">unbe&#x017F;chränktes We&#x017F;en</hi> &#x2014; denn die Schranke<lb/>
der Subjectivität i&#x017F;t eben die Welt, die Objectivität &#x2014; hatte<lb/>
er keinen Grund mehr, die Wahrheit und Gültigkeit &#x017F;einer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0215] Götter; aber allmächtig wirkt die Phantaſie im Bunde mit dem Herzen. Und dieſer Bund der Freiheit der Phantaſie mit der Nothwendigkeit des Herzens iſt Chriſtus. Alle Dinge ſind Chriſto unterthan; Er iſt der Herr der Welt, der mit ihr macht, was er nur will; aber dieſe über die Natur unbe- ſchränkt gebietende Macht iſt ſelbſt wieder unterthan der Macht des Herzens: Chriſtus gebietet der tobenden Natur Stillſchweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Noth- leidenden *). Der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum. Chriſtus iſt die Allmacht der Subjectivität, das von allen Banden und Geſetzen der Natur erlöſte Herz, das mit Aus- ſchluß der Welt nur auf ſich allein concentrirte Gemüth, die Realität aller Herzenswünſche, die Himmelfahrt der Phanta- ſie, das Auferſtehungsfeſt des Herzens — Chriſtus daher der Unterſchied des Chriſtenthums vom Heidenthum. Im Chriſtenthum concentrirte ſich der Menſch nur auf ſich ſelbſt; erfaßte er ſich als das allein berechtigte, allein we- ſenhafte Weſen; löſte er ſich vom Zuſammenhang des Weltganzen los; machte er ſich zu einem ſelbſtgenügſamen Ganzen, zu einem abſoluten, außer- und überweltlichen Weſen. Eben dadurch, daß er ſich nicht mehr als einen Theil der Welt anſah, den Zuſammenhang mit ihr unterbrach, fühlte er ſich als unbeſchränktes Weſen — denn die Schranke der Subjectivität iſt eben die Welt, die Objectivität — hatte er keinen Grund mehr, die Wahrheit und Gültigkeit ſeiner *) Ueber den Unterſchied von Herz und Gemüth im Anhange.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/215
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/215>, abgerufen am 21.11.2024.