stern Stube die Lade aufmacht und einem die Mor¬ gensonne auf einmal über die Augen blitzt, es war -- die schöne gnädige Frau! -- sie stand in einem schwar¬ zen Sammt-Kleide im Garten, und hob mit der einen Hand den Schleier vom Gesicht und sah still und freundlich in eine weite prächtige Gegend hinaus. Je länger ich hinsah, je mehr kam es mir vor, als wäre es der Garten am Schlosse, und die Blumen und Zweige wiegten sich leise im Winde, und unten in der Tiefe sähe ich mein Zollhäuschen und die Landstraße weit durchs Grüne, und die Donau und die fernen blauen Berge.
"Sie ist's, sie ist's!" rief ich endlich, erwischte mei¬ nen Hut, und rannte rasch zur Thür hinaus, die vielen Treppen hinunter, und hörte nur noch, daß mir der verwunderte Maler nachschrie, ich sollte gegen Abend wieder kommen, da könnten wir vielleicht mehr er¬ fahren!
Achtes Kapitel.
Ich lief mit großer Eilfertigkeit durch die Stadt, um mich sogleich wieder in dem Gartenhause zu mel¬ den, wo die schöne Frau gestern Abend gesungen hatte. Auf den Straßen war unterdeß alles lebendig gewor¬ den, Herren und Damen zogen im Sonnenschein und neigten sich und grüßten bunt durcheinander, prächtige Karossen rasselten dazwischen, und von allen Thürmen
ſtern Stube die Lade aufmacht und einem die Mor¬ genſonne auf einmal uͤber die Augen blitzt, es war — die ſchoͤne gnaͤdige Frau! — ſie ſtand in einem ſchwar¬ zen Sammt-Kleide im Garten, und hob mit der einen Hand den Schleier vom Geſicht und ſah ſtill und freundlich in eine weite praͤchtige Gegend hinaus. Je laͤnger ich hinſah, je mehr kam es mir vor, als waͤre es der Garten am Schloſſe, und die Blumen und Zweige wiegten ſich leiſe im Winde, und unten in der Tiefe ſaͤhe ich mein Zollhaͤuschen und die Landſtraße weit durchs Gruͤne, und die Donau und die fernen blauen Berge.
„Sie iſt's, ſie iſt's!“ rief ich endlich, erwiſchte mei¬ nen Hut, und rannte raſch zur Thuͤr hinaus, die vielen Treppen hinunter, und hoͤrte nur noch, daß mir der verwunderte Maler nachſchrie, ich ſollte gegen Abend wieder kommen, da koͤnnten wir vielleicht mehr er¬ fahren!
Achtes Kapitel.
Ich lief mit großer Eilfertigkeit durch die Stadt, um mich ſogleich wieder in dem Gartenhauſe zu mel¬ den, wo die ſchoͤne Frau geſtern Abend geſungen hatte. Auf den Straßen war unterdeß alles lebendig gewor¬ den, Herren und Damen zogen im Sonnenſchein und neigten ſich und gruͤßten bunt durcheinander, praͤchtige Karoſſen raſſelten dazwiſchen, und von allen Thuͤrmen
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ſtern Stube die Lade aufmacht und einem die Mor¬
genſonne auf einmal uͤber die Augen blitzt, es war —
die ſchoͤne gnaͤdige Frau! — ſie ſtand in einem ſchwar¬
zen Sammt-Kleide im Garten, und hob mit der einen
Hand den Schleier vom Geſicht und ſah ſtill und
freundlich in eine weite praͤchtige Gegend hinaus. Je
laͤnger ich hinſah, je mehr kam es mir vor, als waͤre
es der Garten am Schloſſe, und die Blumen und
Zweige wiegten ſich leiſe im Winde, und unten in der
Tiefe ſaͤhe ich mein Zollhaͤuschen und die Landſtraße
weit durchs Gruͤne, und die Donau und die fernen
blauen Berge.
„Sie iſt's, ſie iſt's!“ rief ich endlich, erwiſchte mei¬
nen Hut, und rannte raſch zur Thuͤr hinaus, die vielen
Treppen hinunter, und hoͤrte nur noch, daß mir der
verwunderte Maler nachſchrie, ich ſollte gegen Abend
wieder kommen, da koͤnnten wir vielleicht mehr er¬
fahren!
Achtes Kapitel.
Ich lief mit großer Eilfertigkeit durch die Stadt,
um mich ſogleich wieder in dem Gartenhauſe zu mel¬
den, wo die ſchoͤne Frau geſtern Abend geſungen hatte.
Auf den Straßen war unterdeß alles lebendig gewor¬
den, Herren und Damen zogen im Sonnenſchein und
neigten ſich und gruͤßten bunt durcheinander, praͤchtige
Karoſſen raſſelten dazwiſchen, und von allen Thuͤrmen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/101>, abgerufen am 22.02.2025.
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