Der heutige Tag war für Weimar ein Tag der Trauer; die Großherzogin Luise starb diesen Mittag halb zwei Uhr. Die regierende Frau Großherzogin befahl mir, bei Fräulein v. Waldner und Goethe in Ihrem Namen einen Condolenzbesuch zu machen.
Ich ging zuerst zu Fräulein v. Waldner. Ich fand sie in Thränen und tiefer Betrübniß, und sich ganz dem Gefühl ihres erlittenen Verlustes überlassend. "Ich war, sagte sie, seit länger als fünfzig Jahren im Dienst der verewigten Fürstin. Sie hatte mich selbst zu ihrer Ehrendame erwählt, und diese freie Wahl ihrerseits war mein Stolz und mein Glück. Ich habe mein Va¬ terland verlassen, um ihrem Dienste zu leben. Hätte sie mich doch auch jetzt mit sich genommen, damit ich nicht nach einer Wiedervereinigung mit ihr so lange zu seufzen brauchte!"
Ich ging darauf zu Goethe. Aber wie ganz anders waren die Zustände bei ihm! -- Er fühlte den ihn betroffenen Verlust gewiß nicht weniger tief; allein er schien seiner Empfindungen auf alle Weise Herr bleiben zu wollen. Ich fand ihn noch mit einem guten Freunde bei Tische sitzen und eine Flasche Wein trinken. Er sprach lebhaft und schien überall in sehr heiterer Stim¬ mung. "Wohlan! sagte er, als er mich sah, kommen Sie her, nehmen Sie Platz! Der Schlag, der uns lange gedroht, hat endlich getroffen, und wir haben
19*
Sonntag, den 14. Februar 1830*.
Der heutige Tag war für Weimar ein Tag der Trauer; die Großherzogin Luiſe ſtarb dieſen Mittag halb zwei Uhr. Die regierende Frau Großherzogin befahl mir, bei Fräulein v. Waldner und Goethe in Ihrem Namen einen Condolenzbeſuch zu machen.
Ich ging zuerſt zu Fräulein v. Waldner. Ich fand ſie in Thränen und tiefer Betrübniß, und ſich ganz dem Gefühl ihres erlittenen Verluſtes überlaſſend. „Ich war, ſagte ſie, ſeit länger als fünfzig Jahren im Dienſt der verewigten Fürſtin. Sie hatte mich ſelbſt zu ihrer Ehrendame erwählt, und dieſe freie Wahl ihrerſeits war mein Stolz und mein Glück. Ich habe mein Va¬ terland verlaſſen, um ihrem Dienſte zu leben. Hätte ſie mich doch auch jetzt mit ſich genommen, damit ich nicht nach einer Wiedervereinigung mit ihr ſo lange zu ſeufzen brauchte!“
Ich ging darauf zu Goethe. Aber wie ganz anders waren die Zuſtände bei ihm! — Er fühlte den ihn betroffenen Verluſt gewiß nicht weniger tief; allein er ſchien ſeiner Empfindungen auf alle Weiſe Herr bleiben zu wollen. Ich fand ihn noch mit einem guten Freunde bei Tiſche ſitzen und eine Flaſche Wein trinken. Er ſprach lebhaft und ſchien überall in ſehr heiterer Stim¬ mung. „Wohlan! ſagte er, als er mich ſah, kommen Sie her, nehmen Sie Platz! Der Schlag, der uns lange gedroht, hat endlich getroffen, und wir haben
19*
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0313"n="291"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Sonntag, den 14. Februar 1830*.<lb/></dateline><p>Der heutige Tag war für Weimar ein Tag der<lb/>
Trauer; die Großherzogin Luiſe ſtarb dieſen Mittag<lb/>
halb zwei Uhr. Die regierende Frau Großherzogin<lb/>
befahl mir, bei Fräulein v. Waldner und Goethe in<lb/>
Ihrem Namen einen Condolenzbeſuch zu machen.</p><lb/><p>Ich ging zuerſt zu Fräulein v. Waldner. Ich fand<lb/>ſie in Thränen und tiefer Betrübniß, und ſich ganz<lb/>
dem Gefühl ihres erlittenen Verluſtes überlaſſend. „Ich<lb/>
war, ſagte ſie, ſeit länger als fünfzig Jahren im Dienſt<lb/>
der verewigten Fürſtin. Sie hatte mich ſelbſt zu ihrer<lb/>
Ehrendame erwählt, und dieſe freie Wahl ihrerſeits<lb/>
war mein Stolz und mein Glück. Ich habe mein Va¬<lb/>
terland verlaſſen, um ihrem Dienſte zu leben. Hätte<lb/>ſie mich doch auch jetzt mit ſich genommen, damit ich<lb/>
nicht nach einer Wiedervereinigung mit ihr ſo lange zu<lb/>ſeufzen brauchte!“</p><lb/><p>Ich ging darauf zu Goethe. Aber wie ganz anders<lb/>
waren die Zuſtände bei ihm! — Er fühlte den ihn<lb/>
betroffenen Verluſt gewiß nicht weniger tief; allein er<lb/>ſchien ſeiner Empfindungen auf alle Weiſe Herr bleiben<lb/>
zu wollen. Ich fand ihn noch mit einem guten Freunde<lb/>
bei Tiſche ſitzen und eine Flaſche Wein trinken. Er<lb/>ſprach lebhaft und ſchien überall in ſehr heiterer Stim¬<lb/>
mung. „Wohlan! ſagte er, als er mich ſah, kommen<lb/>
Sie her, nehmen Sie Platz! Der Schlag, der uns<lb/>
lange gedroht, hat endlich getroffen, und wir haben<lb/><fwplace="bottom"type="sig">19*<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[291/0313]
Sonntag, den 14. Februar 1830*.
Der heutige Tag war für Weimar ein Tag der
Trauer; die Großherzogin Luiſe ſtarb dieſen Mittag
halb zwei Uhr. Die regierende Frau Großherzogin
befahl mir, bei Fräulein v. Waldner und Goethe in
Ihrem Namen einen Condolenzbeſuch zu machen.
Ich ging zuerſt zu Fräulein v. Waldner. Ich fand
ſie in Thränen und tiefer Betrübniß, und ſich ganz
dem Gefühl ihres erlittenen Verluſtes überlaſſend. „Ich
war, ſagte ſie, ſeit länger als fünfzig Jahren im Dienſt
der verewigten Fürſtin. Sie hatte mich ſelbſt zu ihrer
Ehrendame erwählt, und dieſe freie Wahl ihrerſeits
war mein Stolz und mein Glück. Ich habe mein Va¬
terland verlaſſen, um ihrem Dienſte zu leben. Hätte
ſie mich doch auch jetzt mit ſich genommen, damit ich
nicht nach einer Wiedervereinigung mit ihr ſo lange zu
ſeufzen brauchte!“
Ich ging darauf zu Goethe. Aber wie ganz anders
waren die Zuſtände bei ihm! — Er fühlte den ihn
betroffenen Verluſt gewiß nicht weniger tief; allein er
ſchien ſeiner Empfindungen auf alle Weiſe Herr bleiben
zu wollen. Ich fand ihn noch mit einem guten Freunde
bei Tiſche ſitzen und eine Flaſche Wein trinken. Er
ſprach lebhaft und ſchien überall in ſehr heiterer Stim¬
mung. „Wohlan! ſagte er, als er mich ſah, kommen
Sie her, nehmen Sie Platz! Der Schlag, der uns
lange gedroht, hat endlich getroffen, und wir haben
19*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/313>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.