Folge politischer Ereignisse zu jener Zeit gewissermaßen als ein neues zu betrachten war, nämlich in Genf, wo denn auch Alles vollkommen gelang und der glück¬ liche Erfolg den Werth des Prinzips an den Tag legte.
"Dumont, erwiederte Goethe, ist eben ein gemäßig¬ ter Liberaler, wie es alle vernünftigen Leute sind und seyn sollen, und wie ich selber es bin und in welchem Sinne zu wirken ich während eines langen Lebens mich bemüht habe."
"Der wahre Liberale, fuhr er fort, sucht mit den Mitteln, die ihm zu Gebote stehen, so viel Gutes zu bewirken, als er nur immer kann; aber er hütet sich, die oft unvermeidlichen Mängel sogleich mit Feuer und Schwert vertilgen zu wollen. Er ist bemüht, durch ein kluges Vorschreiten die öffentlichen Gebrechen nach und nach zu verdrängen, ohne durch gewaltsame Maßregeln zugleich oft eben so viel Gutes mit zu verderben. Er begnügt sich in dieser stets unvollkommenen Welt so lange mit dem Guten, bis ihn, das Bessere zu errei¬ chen, Zeit und Umstände begünstigen."
Sonnabend, den 6. Februar 1830.
Bei Frau v. Goethe zu Tische. Der junge Goethe erzählte einiges Artige von seiner Großmutter, der Frau Rath Goethe zu Frankfurt, die er vor zwanzig Jahren als Student besucht habe, und mit der er eines Mittags beim Fürsten Primas zur Tafel geladen worden.
III. 19
Folge politiſcher Ereigniſſe zu jener Zeit gewiſſermaßen als ein neues zu betrachten war, nämlich in Genf, wo denn auch Alles vollkommen gelang und der glück¬ liche Erfolg den Werth des Prinzips an den Tag legte.
„Dumont, erwiederte Goethe, iſt eben ein gemäßig¬ ter Liberaler, wie es alle vernünftigen Leute ſind und ſeyn ſollen, und wie ich ſelber es bin und in welchem Sinne zu wirken ich während eines langen Lebens mich bemüht habe.“
„Der wahre Liberale, fuhr er fort, ſucht mit den Mitteln, die ihm zu Gebote ſtehen, ſo viel Gutes zu bewirken, als er nur immer kann; aber er hütet ſich, die oft unvermeidlichen Mängel ſogleich mit Feuer und Schwert vertilgen zu wollen. Er iſt bemüht, durch ein kluges Vorſchreiten die öffentlichen Gebrechen nach und nach zu verdrängen, ohne durch gewaltſame Maßregeln zugleich oft eben ſo viel Gutes mit zu verderben. Er begnügt ſich in dieſer ſtets unvollkommenen Welt ſo lange mit dem Guten, bis ihn, das Beſſere zu errei¬ chen, Zeit und Umſtände begünſtigen.“
Sonnabend, den 6. Februar 1830.
Bei Frau v. Goethe zu Tiſche. Der junge Goethe erzählte einiges Artige von ſeiner Großmutter, der Frau Rath Goethe zu Frankfurt, die er vor zwanzig Jahren als Student beſucht habe, und mit der er eines Mittags beim Fürſten Primas zur Tafel geladen worden.
III. 19
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0311"n="289"/>
Folge politiſcher Ereigniſſe zu jener Zeit gewiſſermaßen<lb/>
als ein <hirendition="#g">neues</hi> zu betrachten war, nämlich in Genf,<lb/>
wo denn auch Alles vollkommen gelang und der glück¬<lb/>
liche Erfolg den Werth des Prinzips an den Tag legte.</p><lb/><p>„Dumont, erwiederte Goethe, iſt eben ein gemäßig¬<lb/>
ter Liberaler, wie es alle vernünftigen Leute ſind und<lb/>ſeyn ſollen, und wie ich ſelber es bin und in welchem<lb/>
Sinne zu wirken ich während eines langen Lebens mich<lb/>
bemüht habe.“</p><lb/><p>„Der wahre Liberale, fuhr er fort, ſucht mit den<lb/>
Mitteln, die ihm zu Gebote ſtehen, ſo viel Gutes zu<lb/>
bewirken, als er nur immer kann; aber er hütet ſich,<lb/>
die oft unvermeidlichen Mängel ſogleich mit Feuer und<lb/>
Schwert vertilgen zu wollen. Er iſt bemüht, durch ein<lb/>
kluges Vorſchreiten die öffentlichen Gebrechen nach und<lb/>
nach zu verdrängen, ohne durch gewaltſame Maßregeln<lb/>
zugleich oft eben ſo viel Gutes mit zu verderben. Er<lb/>
begnügt ſich in dieſer ſtets unvollkommenen Welt ſo<lb/>
lange mit dem Guten, bis ihn, das Beſſere zu errei¬<lb/>
chen, Zeit und Umſtände begünſtigen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Sonnabend, den 6. Februar 1830.<lb/></dateline><p>Bei Frau v. Goethe zu Tiſche. Der junge Goethe<lb/>
erzählte einiges Artige von ſeiner Großmutter, der <hirendition="#g">Frau<lb/>
Rath Goethe zu Frankfurt</hi>, die er vor zwanzig<lb/>
Jahren als Student beſucht habe, und mit der er eines<lb/>
Mittags beim Fürſten Primas zur Tafel geladen worden.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">III.</hi> 19<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[289/0311]
Folge politiſcher Ereigniſſe zu jener Zeit gewiſſermaßen
als ein neues zu betrachten war, nämlich in Genf,
wo denn auch Alles vollkommen gelang und der glück¬
liche Erfolg den Werth des Prinzips an den Tag legte.
„Dumont, erwiederte Goethe, iſt eben ein gemäßig¬
ter Liberaler, wie es alle vernünftigen Leute ſind und
ſeyn ſollen, und wie ich ſelber es bin und in welchem
Sinne zu wirken ich während eines langen Lebens mich
bemüht habe.“
„Der wahre Liberale, fuhr er fort, ſucht mit den
Mitteln, die ihm zu Gebote ſtehen, ſo viel Gutes zu
bewirken, als er nur immer kann; aber er hütet ſich,
die oft unvermeidlichen Mängel ſogleich mit Feuer und
Schwert vertilgen zu wollen. Er iſt bemüht, durch ein
kluges Vorſchreiten die öffentlichen Gebrechen nach und
nach zu verdrängen, ohne durch gewaltſame Maßregeln
zugleich oft eben ſo viel Gutes mit zu verderben. Er
begnügt ſich in dieſer ſtets unvollkommenen Welt ſo
lange mit dem Guten, bis ihn, das Beſſere zu errei¬
chen, Zeit und Umſtände begünſtigen.“
Sonnabend, den 6. Februar 1830.
Bei Frau v. Goethe zu Tiſche. Der junge Goethe
erzählte einiges Artige von ſeiner Großmutter, der Frau
Rath Goethe zu Frankfurt, die er vor zwanzig
Jahren als Student beſucht habe, und mit der er eines
Mittags beim Fürſten Primas zur Tafel geladen worden.
III. 19
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/311>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.