Hofrath Rehbein. Goethe war heute besonders lebhaft. Er zeigte mir prächtige Lithographien aus Stuttgart, etwas so Vollkommenes in dieser Art, wie ich noch nicht gesehen. Darauf sprachen wir über wissenschaft¬ liche Dinge, besonders über die Fortschritte der Chemie. Das Jod und das Chlor beschäftigten Goethe vorzugs¬ weise; er sprach über diese Substanzen mit einem Erstaunen, als ob ihn die neuen Entdeckungen der Chemie ganz unvermuthet überrascht hätten. Er ließ sich etwas Jod hereinbringen und verflüchtigte es vor unsern Augen an der Flamme einer Wachskerze, wobei er nicht verfehlte, uns den violetten Dunst bewundern zu lassen, als freudige Bestätigung eines Gesetzes seiner Theorie der Farben.
Dienstag, den 1. October 1822*.
Bei Goethe zu einer Abendgesellschaft. Ich fand unter den Anwesenden auch Herrn Canzler v. Müller, Präsidenten Peucer, Dr. Stephan Schütze, und Regie¬ rungsrath Schmidt, welcher letztere einige Sonaten von Beethoven mit einer seltenen Vollkommenheit vortrug. Hohen Genuß gewährte mir auch die Unter¬ haltung Goethes und seiner Schwiegertochter, die, jugend¬ lich heiter, mit einem liebenswürdigen Naturell unendlich viel Geist verbindet.
Hofrath Rehbein. Goethe war heute beſonders lebhaft. Er zeigte mir prächtige Lithographien aus Stuttgart, etwas ſo Vollkommenes in dieſer Art, wie ich noch nicht geſehen. Darauf ſprachen wir über wiſſenſchaft¬ liche Dinge, beſonders über die Fortſchritte der Chemie. Das Jod und das Chlor beſchäftigten Goethe vorzugs¬ weiſe; er ſprach über dieſe Subſtanzen mit einem Erſtaunen, als ob ihn die neuen Entdeckungen der Chemie ganz unvermuthet überraſcht hätten. Er ließ ſich etwas Jod hereinbringen und verflüchtigte es vor unſern Augen an der Flamme einer Wachskerze, wobei er nicht verfehlte, uns den violetten Dunſt bewundern zu laſſen, als freudige Beſtätigung eines Geſetzes ſeiner Theorie der Farben.
Dienstag, den 1. October 1822*.
Bei Goethe zu einer Abendgeſellſchaft. Ich fand unter den Anweſenden auch Herrn Canzler v. Müller, Präſidenten Peucer, Dr. Stephan Schütze, und Regie¬ rungsrath Schmidt, welcher letztere einige Sonaten von Beethoven mit einer ſeltenen Vollkommenheit vortrug. Hohen Genuß gewährte mir auch die Unter¬ haltung Goethes und ſeiner Schwiegertochter, die, jugend¬ lich heiter, mit einem liebenswürdigen Naturell unendlich viel Geiſt verbindet.
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Hofrath Rehbein. Goethe war heute beſonders lebhaft.
Er zeigte mir prächtige Lithographien aus Stuttgart,
etwas ſo Vollkommenes in dieſer Art, wie ich noch
nicht geſehen. Darauf ſprachen wir über wiſſenſchaft¬
liche Dinge, beſonders über die Fortſchritte der Chemie.
Das Jod und das Chlor beſchäftigten Goethe vorzugs¬
weiſe; er ſprach über dieſe Subſtanzen mit einem
Erſtaunen, als ob ihn die neuen Entdeckungen der
Chemie ganz unvermuthet überraſcht hätten. Er ließ
ſich etwas Jod hereinbringen und verflüchtigte es vor
unſern Augen an der Flamme einer Wachskerze, wobei
er nicht verfehlte, uns den violetten Dunſt bewundern
zu laſſen, als freudige Beſtätigung eines Geſetzes ſeiner
Theorie der Farben.
Dienstag, den 1. October 1822*.
Bei Goethe zu einer Abendgeſellſchaft. Ich fand
unter den Anweſenden auch Herrn Canzler v. Müller,
Präſidenten Peucer, Dr. Stephan Schütze, und Regie¬
rungsrath Schmidt, welcher letztere einige Sonaten
von Beethoven mit einer ſeltenen Vollkommenheit
vortrug. Hohen Genuß gewährte mir auch die Unter¬
haltung Goethes und ſeiner Schwiegertochter, die, jugend¬
lich heiter, mit einem liebenswürdigen Naturell unendlich
viel Geiſt verbindet.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/26>, abgerufen am 21.11.2024.
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