Ich bin seit mehreren Wochen nicht ganz wohl. Ich schlafe schlecht, und zwar in den unruhigsten Träu¬ men, vom Abend bis zum Morgen, wo ich mich in sehr verschiedenartigen Zuständen sehe, allerlei Gespräche mit bekannten und unbekannten Personen führe, mich herumstreite und zanke, und zwar Alles so lebendig, daß ich mir jeder Einzelnheit am andern Morgen noch deutlich bewußt bin. Dieses Traumleben aber zehrt von den Kräften meines Gehirns, so daß ich mich am Tage schlaff und abgespannt fühle, zu jeder geistigen Thätig¬ keit ohne Lust und Gedanken.
Ich hatte Goethen wiederholt meinen Zustand ge¬ klagt und er hatte mich wiederholt getrieben, mich doch meinem Arzte zu vertrauen. "Was Euch fehlt, sagte er, ist gewiß nicht der Mühe werth; wahrscheinlich nichts als eine kleine Stockung, die durch einige Gläser Mi¬ neralwasser oder ein wenig Salz zu heben ist. Aber laßt es nicht länger so fortschlendern, sondern thut dazu!"
Goethe mochte ganz recht haben, und ich sagte mir selber, daß er recht habe; allein jene Unentschlossenheit
III. 15
Dienstag, den 11. März 1828.
Ich bin ſeit mehreren Wochen nicht ganz wohl. Ich ſchlafe ſchlecht, und zwar in den unruhigſten Träu¬ men, vom Abend bis zum Morgen, wo ich mich in ſehr verſchiedenartigen Zuſtänden ſehe, allerlei Geſpräche mit bekannten und unbekannten Perſonen führe, mich herumſtreite und zanke, und zwar Alles ſo lebendig, daß ich mir jeder Einzelnheit am andern Morgen noch deutlich bewußt bin. Dieſes Traumleben aber zehrt von den Kräften meines Gehirns, ſo daß ich mich am Tage ſchlaff und abgeſpannt fühle, zu jeder geiſtigen Thätig¬ keit ohne Luſt und Gedanken.
Ich hatte Goethen wiederholt meinen Zuſtand ge¬ klagt und er hatte mich wiederholt getrieben, mich doch meinem Arzte zu vertrauen. „Was Euch fehlt, ſagte er, iſt gewiß nicht der Mühe werth; wahrſcheinlich nichts als eine kleine Stockung, die durch einige Gläſer Mi¬ neralwaſſer oder ein wenig Salz zu heben iſt. Aber laßt es nicht länger ſo fortſchlendern, ſondern thut dazu!“
Goethe mochte ganz recht haben, und ich ſagte mir ſelber, daß er recht habe; allein jene Unentſchloſſenheit
III. 15
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Dienstag, den 11. März 1828.
Ich bin ſeit mehreren Wochen nicht ganz wohl.
Ich ſchlafe ſchlecht, und zwar in den unruhigſten Träu¬
men, vom Abend bis zum Morgen, wo ich mich in ſehr
verſchiedenartigen Zuſtänden ſehe, allerlei Geſpräche
mit bekannten und unbekannten Perſonen führe, mich
herumſtreite und zanke, und zwar Alles ſo lebendig,
daß ich mir jeder Einzelnheit am andern Morgen noch
deutlich bewußt bin. Dieſes Traumleben aber zehrt von
den Kräften meines Gehirns, ſo daß ich mich am Tage
ſchlaff und abgeſpannt fühle, zu jeder geiſtigen Thätig¬
keit ohne Luſt und Gedanken.
Ich hatte Goethen wiederholt meinen Zuſtand ge¬
klagt und er hatte mich wiederholt getrieben, mich doch
meinem Arzte zu vertrauen. „Was Euch fehlt, ſagte er,
iſt gewiß nicht der Mühe werth; wahrſcheinlich nichts
als eine kleine Stockung, die durch einige Gläſer Mi¬
neralwaſſer oder ein wenig Salz zu heben iſt. Aber
laßt es nicht länger ſo fortſchlendern, ſondern thut
dazu!“
Goethe mochte ganz recht haben, und ich ſagte mir
ſelber, daß er recht habe; allein jene Unentſchloſſenheit
III. 15
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. [225]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/247>, abgerufen am 03.12.2024.
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