"Ich habe unter meinen Papieren ein Blatt gefun¬ den, sagte Goethe heute, wo ich die Baukunst eine er¬ starrte Musik nenne. Und wirklich, es hat etwas; die Stimmung, die von der Baukunst ausgeht, kommt dem Effect der Musik nahe."
"Prächtige Gebäude und Zimmer sind für Fürsten und Reiche. Wenn man darin lebt, fühlt man sich be¬ ruhigt, man ist zufrieden und will nichts weiter."
"Meiner Natur ist es ganz zuwider. Ich bin in einer prächtigen Wohnung, wie ich sie in Carlsbad ge¬ habt, sogleich faul und unthätig. Geringe Wohnung dagegen, wie dieses schlechte Zimmer worin wir sind, ein wenig unordentlich ordentlich, ein wenig zigeuner¬ haft, ist für mich das Rechte; es läßt meiner inneren Naur volle Freyheit thätig zu seyn und aus mir selber zu schaffen."
Wir sprachen von Schillers Briefen und dem Leben, das sie mit einander geführt, und wie sie sich täglich zu gegenseitigen Arbeiten gehetzt und getrieben. Auch an dem Faust, sagte ich, schien Schiller ein großes Interesse zu nehmen; es ist hübsch wie er Sie treibt, und sehr liebenswürdig wie er sich durch seine Idee verlei¬ ten läßt, selber am Faust fortzuerfinden. Ich habe dabey bemerkt, daß etwas Voreilendes in seiner Natur lag.
"Sie haben Recht, sagte Goethe, er war so, wie alle Menschen, die zu sehr von der Idee ausgehen.
Montag, den 23. Maͤrz 1829.
„Ich habe unter meinen Papieren ein Blatt gefun¬ den, ſagte Goethe heute, wo ich die Baukunſt eine er¬ ſtarrte Muſik nenne. Und wirklich, es hat etwas; die Stimmung, die von der Baukunſt ausgeht, kommt dem Effect der Muſik nahe.“
„Praͤchtige Gebaͤude und Zimmer ſind fuͤr Fuͤrſten und Reiche. Wenn man darin lebt, fuͤhlt man ſich be¬ ruhigt, man iſt zufrieden und will nichts weiter.“
„Meiner Natur iſt es ganz zuwider. Ich bin in einer praͤchtigen Wohnung, wie ich ſie in Carlsbad ge¬ habt, ſogleich faul und unthaͤtig. Geringe Wohnung dagegen, wie dieſes ſchlechte Zimmer worin wir ſind, ein wenig unordentlich ordentlich, ein wenig zigeuner¬ haft, iſt fuͤr mich das Rechte; es laͤßt meiner inneren Naur volle Freyheit thaͤtig zu ſeyn und aus mir ſelber zu ſchaffen.“
Wir ſprachen von Schillers Briefen und dem Leben, das ſie mit einander gefuͤhrt, und wie ſie ſich taͤglich zu gegenſeitigen Arbeiten gehetzt und getrieben. Auch an dem Fauſt, ſagte ich, ſchien Schiller ein großes Intereſſe zu nehmen; es iſt huͤbſch wie er Sie treibt, und ſehr liebenswuͤrdig wie er ſich durch ſeine Idee verlei¬ ten laͤßt, ſelber am Fauſt fortzuerfinden. Ich habe dabey bemerkt, daß etwas Voreilendes in ſeiner Natur lag.
„Sie haben Recht, ſagte Goethe, er war ſo, wie alle Menſchen, die zu ſehr von der Idee ausgehen.
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Montag, den 23. Maͤrz 1829.
„Ich habe unter meinen Papieren ein Blatt gefun¬
den, ſagte Goethe heute, wo ich die Baukunſt eine er¬
ſtarrte Muſik nenne. Und wirklich, es hat etwas; die
Stimmung, die von der Baukunſt ausgeht, kommt dem
Effect der Muſik nahe.“
„Praͤchtige Gebaͤude und Zimmer ſind fuͤr Fuͤrſten
und Reiche. Wenn man darin lebt, fuͤhlt man ſich be¬
ruhigt, man iſt zufrieden und will nichts weiter.“
„Meiner Natur iſt es ganz zuwider. Ich bin in
einer praͤchtigen Wohnung, wie ich ſie in Carlsbad ge¬
habt, ſogleich faul und unthaͤtig. Geringe Wohnung
dagegen, wie dieſes ſchlechte Zimmer worin wir ſind,
ein wenig unordentlich ordentlich, ein wenig zigeuner¬
haft, iſt fuͤr mich das Rechte; es laͤßt meiner inneren
Naur volle Freyheit thaͤtig zu ſeyn und aus mir
ſelber zu ſchaffen.“
Wir ſprachen von Schillers Briefen und dem Leben,
das ſie mit einander gefuͤhrt, und wie ſie ſich taͤglich
zu gegenſeitigen Arbeiten gehetzt und getrieben. Auch
an dem Fauſt, ſagte ich, ſchien Schiller ein großes
Intereſſe zu nehmen; es iſt huͤbſch wie er Sie treibt,
und ſehr liebenswuͤrdig wie er ſich durch ſeine Idee verlei¬
ten laͤßt, ſelber am Fauſt fortzuerfinden. Ich habe dabey
bemerkt, daß etwas Voreilendes in ſeiner Natur lag.
„Sie haben Recht, ſagte Goethe, er war ſo, wie
alle Menſchen, die zu ſehr von der Idee ausgehen.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/98>, abgerufen am 22.02.2025.
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