Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit Goethe zu Tisch in mannigfaltigen Gesprächen.
"Bey Walter Scott, sagte er, ist es eigen, daß
eben sein großes Verdienst in Darstellung des Details
ihn oft zu Fehlern verleitet. So kommt im Ivanhoe
eine Scene vor, wo man Nachts in der Halle eines
Schlosses zu Tische sitzt, und ein Fremder hereintritt.
Nun ist es zwar recht, daß er den Fremden von oben
herab beschrieben hat, wie er aussieht und wie er geklei¬
det ist, allein es ist ein Fehler, daß er auch seine Füße,
seine Schuhe und Strümpfe beschreibt. Wenn man
Abends am Tische sitzt und jemand hereintritt, so sieht
man nur seinen obern Körper. Beschreibe ich aber die
Füße, so tritt sogleich das Licht des Tages herein, und
die Scene verliert ihren nächtlichen Character."

Ich fühlte das Überzeugende solcher Worte, und
merkte sie mir für künftige Fälle.

Goethe fuhr sodann fort, mit großer Bewunderung
über Walter Scott zu reden. Ich ersuchte ihn seine
Ansichten zu Papiere zu bringen, welches er jedoch mit
dem Bemerken ablehnte, daß die Kunst in jenem Schrift¬
steller so hoch stehe, daß es schwer sey, sich darüber
öffentlich mitzutheilen.


Mit Goethe zu Tiſch in mannigfaltigen Geſpraͤchen.
„Bey Walter Scott, ſagte er, iſt es eigen, daß
eben ſein großes Verdienſt in Darſtellung des Details
ihn oft zu Fehlern verleitet. So kommt im Ivanhoe
eine Scene vor, wo man Nachts in der Halle eines
Schloſſes zu Tiſche ſitzt, und ein Fremder hereintritt.
Nun iſt es zwar recht, daß er den Fremden von oben
herab beſchrieben hat, wie er ausſieht und wie er geklei¬
det iſt, allein es iſt ein Fehler, daß er auch ſeine Fuͤße,
ſeine Schuhe und Struͤmpfe beſchreibt. Wenn man
Abends am Tiſche ſitzt und jemand hereintritt, ſo ſieht
man nur ſeinen obern Koͤrper. Beſchreibe ich aber die
Fuͤße, ſo tritt ſogleich das Licht des Tages herein, und
die Scene verliert ihren naͤchtlichen Character.“

Ich fuͤhlte das Überzeugende ſolcher Worte, und
merkte ſie mir fuͤr kuͤnftige Faͤlle.

Goethe fuhr ſodann fort, mit großer Bewunderung
uͤber Walter Scott zu reden. Ich erſuchte ihn ſeine
Anſichten zu Papiere zu bringen, welches er jedoch mit
dem Bemerken ablehnte, daß die Kunſt in jenem Schrift¬
ſteller ſo hoch ſtehe, daß es ſchwer ſey, ſich daruͤber
oͤffentlich mitzutheilen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0318" n="308"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Freytag, den 11. Ma&#x0364;rz 1831.<lb/></dateline>
          <p>Mit Goethe zu Ti&#x017F;ch in mannigfaltigen Ge&#x017F;pra&#x0364;chen.<lb/>
&#x201E;Bey <hi rendition="#g">Walter Scott</hi>, &#x017F;agte er, i&#x017F;t es eigen, daß<lb/>
eben &#x017F;ein großes Verdien&#x017F;t in Dar&#x017F;tellung des Details<lb/>
ihn oft zu Fehlern verleitet. So kommt im Ivanhoe<lb/>
eine Scene vor, wo man Nachts in der Halle eines<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;es zu Ti&#x017F;che &#x017F;itzt, und ein Fremder hereintritt.<lb/>
Nun i&#x017F;t es zwar recht, daß er den Fremden von oben<lb/>
herab be&#x017F;chrieben hat, wie er aus&#x017F;ieht und wie er geklei¬<lb/>
det i&#x017F;t, allein es i&#x017F;t ein Fehler, daß er auch &#x017F;eine Fu&#x0364;ße,<lb/>
&#x017F;eine Schuhe und Stru&#x0364;mpfe be&#x017F;chreibt. Wenn man<lb/>
Abends am Ti&#x017F;che &#x017F;itzt und jemand hereintritt, &#x017F;o &#x017F;ieht<lb/>
man nur &#x017F;einen obern Ko&#x0364;rper. Be&#x017F;chreibe ich aber die<lb/>
Fu&#x0364;ße, &#x017F;o tritt &#x017F;ogleich das Licht des Tages herein, und<lb/>
die Scene verliert ihren na&#x0364;chtlichen Character.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich fu&#x0364;hlte das Überzeugende &#x017F;olcher Worte, und<lb/>
merkte &#x017F;ie mir fu&#x0364;r ku&#x0364;nftige Fa&#x0364;lle.</p><lb/>
          <p>Goethe fuhr &#x017F;odann fort, mit großer Bewunderung<lb/>
u&#x0364;ber Walter Scott zu reden. Ich er&#x017F;uchte ihn &#x017F;eine<lb/>
An&#x017F;ichten zu Papiere zu bringen, welches er jedoch mit<lb/>
dem Bemerken ablehnte, daß die Kun&#x017F;t in jenem Schrift¬<lb/>
&#x017F;teller &#x017F;o hoch &#x017F;tehe, daß es &#x017F;chwer &#x017F;ey, &#x017F;ich daru&#x0364;ber<lb/>
o&#x0364;ffentlich mitzutheilen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0318] Freytag, den 11. Maͤrz 1831. Mit Goethe zu Tiſch in mannigfaltigen Geſpraͤchen. „Bey Walter Scott, ſagte er, iſt es eigen, daß eben ſein großes Verdienſt in Darſtellung des Details ihn oft zu Fehlern verleitet. So kommt im Ivanhoe eine Scene vor, wo man Nachts in der Halle eines Schloſſes zu Tiſche ſitzt, und ein Fremder hereintritt. Nun iſt es zwar recht, daß er den Fremden von oben herab beſchrieben hat, wie er ausſieht und wie er geklei¬ det iſt, allein es iſt ein Fehler, daß er auch ſeine Fuͤße, ſeine Schuhe und Struͤmpfe beſchreibt. Wenn man Abends am Tiſche ſitzt und jemand hereintritt, ſo ſieht man nur ſeinen obern Koͤrper. Beſchreibe ich aber die Fuͤße, ſo tritt ſogleich das Licht des Tages herein, und die Scene verliert ihren naͤchtlichen Character.“ Ich fuͤhlte das Überzeugende ſolcher Worte, und merkte ſie mir fuͤr kuͤnftige Faͤlle. Goethe fuhr ſodann fort, mit großer Bewunderung uͤber Walter Scott zu reden. Ich erſuchte ihn ſeine Anſichten zu Papiere zu bringen, welches er jedoch mit dem Bemerken ablehnte, daß die Kunſt in jenem Schrift¬ ſteller ſo hoch ſtehe, daß es ſchwer ſey, ſich daruͤber oͤffentlich mitzutheilen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/318
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/318>, abgerufen am 22.12.2024.