Aristoteles gedacht wurde, über welchen sich Goethe also aussprach.
"Aristoteles, sagte er, hat die Natur besser gesehen als irgend ein Neuerer, aber er war zu rasch mit seinen Meinungen. Man muß mit der Natur langsam und läßlich verfahren, wenn man ihr etwas abgewinnen will."
"Wenn ich bey Erforschung naturwissenschaftlicher Gegenstände zu einer Meinung gekommen war, so ver¬ langte ich nicht, daß die Natur mir sogleich Recht geben sollte; vielmehr ging ich ihr in Beobachtungen und Ver¬ suchen prüfend nach, und war zufrieden, wenn sie sich so gefällig erweisen wollte, gelegentlich meine Meinung zu bestätigen. That sie es nicht, so brachte sie mich wohl auf ein anderes Apercü, welchem ich nachging und welches zu bewahrheiten sie sich vielleicht williger fand."
Freitag, den 3. October 1828.
Ich sprach diesen Mittag bey Tisch mit Goethe über Fouque's Sängerkrieg auf der Wartburg, den ich auf seinen Wunsch gelesen. Wir kamen darin über¬ ein, daß dieser Dichter sich zeitlebens mit altdeutschen Studien beschäftiget, und daß am Ende keine Cultur für ihn daraus hervorgegangen.
"Es ist in der altdeutschen düsteren Zeit, sagte Goethe, eben so wenig für uns zu holen, als wir aus
Ariſtoteles gedacht wurde, uͤber welchen ſich Goethe alſo ausſprach.
„Ariſtoteles, ſagte er, hat die Natur beſſer geſehen als irgend ein Neuerer, aber er war zu raſch mit ſeinen Meinungen. Man muß mit der Natur langſam und laͤßlich verfahren, wenn man ihr etwas abgewinnen will.“
„Wenn ich bey Erforſchung naturwiſſenſchaftlicher Gegenſtaͤnde zu einer Meinung gekommen war, ſo ver¬ langte ich nicht, daß die Natur mir ſogleich Recht geben ſollte; vielmehr ging ich ihr in Beobachtungen und Ver¬ ſuchen pruͤfend nach, und war zufrieden, wenn ſie ſich ſo gefaͤllig erweiſen wollte, gelegentlich meine Meinung zu beſtaͤtigen. That ſie es nicht, ſo brachte ſie mich wohl auf ein anderes Aperçuͤ, welchem ich nachging und welches zu bewahrheiten ſie ſich vielleicht williger fand.“
Freitag, den 3. October 1828.
Ich ſprach dieſen Mittag bey Tiſch mit Goethe uͤber Fouqué's Saͤngerkrieg auf der Wartburg, den ich auf ſeinen Wunſch geleſen. Wir kamen darin uͤber¬ ein, daß dieſer Dichter ſich zeitlebens mit altdeutſchen Studien beſchaͤftiget, und daß am Ende keine Cultur fuͤr ihn daraus hervorgegangen.
„Es iſt in der altdeutſchen duͤſteren Zeit, ſagte Goethe, eben ſo wenig fuͤr uns zu holen, als wir aus
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Ariſtoteles gedacht wurde, uͤber welchen ſich Goethe
alſo ausſprach.
„Ariſtoteles, ſagte er, hat die Natur beſſer geſehen
als irgend ein Neuerer, aber er war zu raſch mit ſeinen
Meinungen. Man muß mit der Natur langſam und
laͤßlich verfahren, wenn man ihr etwas abgewinnen will.“
„Wenn ich bey Erforſchung naturwiſſenſchaftlicher
Gegenſtaͤnde zu einer Meinung gekommen war, ſo ver¬
langte ich nicht, daß die Natur mir ſogleich Recht geben
ſollte; vielmehr ging ich ihr in Beobachtungen und Ver¬
ſuchen pruͤfend nach, und war zufrieden, wenn ſie ſich
ſo gefaͤllig erweiſen wollte, gelegentlich meine Meinung
zu beſtaͤtigen. That ſie es nicht, ſo brachte ſie mich
wohl auf ein anderes Aperçuͤ, welchem ich nachging
und welches zu bewahrheiten ſie ſich vielleicht williger
fand.“
Freitag, den 3. October 1828.
Ich ſprach dieſen Mittag bey Tiſch mit Goethe uͤber
Fouqué's Saͤngerkrieg auf der Wartburg, den
ich auf ſeinen Wunſch geleſen. Wir kamen darin uͤber¬
ein, daß dieſer Dichter ſich zeitlebens mit altdeutſchen
Studien beſchaͤftiget, und daß am Ende keine Cultur
fuͤr ihn daraus hervorgegangen.
„Es iſt in der altdeutſchen duͤſteren Zeit, ſagte
Goethe, eben ſo wenig fuͤr uns zu holen, als wir aus
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/23>, abgerufen am 22.02.2025.
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