Goethe zeigte mir sodann das Blatt von Neureu¬ ther zu seiner Legende vom Hufeisen. Der Künstler, sagte ich, hat dem Heiland nur acht Jünger beygegeben. "Und schon diese acht, fiel Goethe ein, waren ihm zu viel, und er hat sehr klug getrachtet, sie durch zwey Gruppen zu trennen und die Monotonie eines geistlosen Zuges zu vermeiden."
Mittwoch, den 24. März 1830.
Bey Goethe zu Tisch in den heitersten Gesprächen. Er erzählt mir von einem französischen Gedicht, das als Manuscript in der Sammlung von David mitge¬ kommen, unter dem Titel: le rire de Mirabeau. "Das Gedicht ist voller Geist und Verwegenheit, sagte Goethe, und Sie müssen es sehen. Es ist als hätte der Me¬ phistopheles dem Poeten dazu die Tinte präparirt. Es ist groß, wenn er es geschrieben, ohne den Faust gele¬ sen zu haben, und eben so groß, wenn er ihn ge¬ lesen."
Goethe zeigte mir ſodann das Blatt von Neureu¬ ther zu ſeiner Legende vom Hufeiſen. Der Kuͤnſtler, ſagte ich, hat dem Heiland nur acht Juͤnger beygegeben. „Und ſchon dieſe acht, fiel Goethe ein, waren ihm zu viel, und er hat ſehr klug getrachtet, ſie durch zwey Gruppen zu trennen und die Monotonie eines geiſtloſen Zuges zu vermeiden.“
Mittwoch, den 24. Maͤrz 1830.
Bey Goethe zu Tiſch in den heiterſten Geſpraͤchen. Er erzaͤhlt mir von einem franzoͤſiſchen Gedicht, das als Manuſcript in der Sammlung von David mitge¬ kommen, unter dem Titel: le rire de Mirabeau. „Das Gedicht iſt voller Geiſt und Verwegenheit, ſagte Goethe, und Sie muͤſſen es ſehen. Es iſt als haͤtte der Me¬ phiſtopheles dem Poeten dazu die Tinte praͤparirt. Es iſt groß, wenn er es geſchrieben, ohne den Fauſt gele¬ ſen zu haben, und eben ſo groß, wenn er ihn ge¬ leſen.“
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[205/0215]
Goethe zeigte mir ſodann das Blatt von Neureu¬
ther zu ſeiner Legende vom Hufeiſen. Der Kuͤnſtler,
ſagte ich, hat dem Heiland nur acht Juͤnger beygegeben.
„Und ſchon dieſe acht, fiel Goethe ein, waren ihm zu
viel, und er hat ſehr klug getrachtet, ſie durch zwey
Gruppen zu trennen und die Monotonie eines geiſtloſen
Zuges zu vermeiden.“
Mittwoch, den 24. Maͤrz 1830.
Bey Goethe zu Tiſch in den heiterſten Geſpraͤchen.
Er erzaͤhlt mir von einem franzoͤſiſchen Gedicht, das
als Manuſcript in der Sammlung von David mitge¬
kommen, unter dem Titel: le rire de Mirabeau. „Das
Gedicht iſt voller Geiſt und Verwegenheit, ſagte Goethe,
und Sie muͤſſen es ſehen. Es iſt als haͤtte der Me¬
phiſtopheles dem Poeten dazu die Tinte praͤparirt. Es
iſt groß, wenn er es geſchrieben, ohne den Fauſt gele¬
ſen zu haben, und eben ſo groß, wenn er ihn ge¬
leſen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/215>, abgerufen am 21.11.2024.
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