junger Künstler, sagte ich, sich nicht nach ihm bilden können?
"Wer ein ähnliches Gemüth hätte, antwortete Goethe, würde ohne Frage sich an Claude Lorrain auf das treff¬ lichste entwickeln. Allein wen die Natur mit ähnlichen Gaben der Seele im Stiche gelassen, würde diesem Meister höchstens nur Einzelnheiten absehen und sich deren nur als Phrase bedienen."
Sonnabend, den 11. April 1829.
Ich fand heute den Tisch im langen Saale gedeckt und zwar für mehrere Personen. Goethe und Frau v. Goethe empfingen mich sehr freundlich. Es traten nach und nach herein: Madame Schopenhauer, der junge Graf Reinhard von der französischen Gesandt¬ schaft, dessen Schwager Herr v. D., aus einer Durch¬ reise begriffen, um gegen die Türken in russische Dienste zu gehen; Fräulein Ulrike, und zuletzt Hofrath Vogel.
Goethe war in besonders heiterer Stimmung; er unterhielt die Anwesenden, ehe man sich zu Tisch setzte, mit einigen guten Frankfurter Späßen, besonders zwi¬ schen Rothschild und Bethmann, wie der Eine dem Andern die Speculationen verdorben.
Graf Reinhard ging an Hof, wir Andern setzten
junger Kuͤnſtler, ſagte ich, ſich nicht nach ihm bilden koͤnnen?
„Wer ein aͤhnliches Gemuͤth haͤtte, antwortete Goethe, wuͤrde ohne Frage ſich an Claude Lorrain auf das treff¬ lichſte entwickeln. Allein wen die Natur mit aͤhnlichen Gaben der Seele im Stiche gelaſſen, wuͤrde dieſem Meiſter hoͤchſtens nur Einzelnheiten abſehen und ſich deren nur als Phraſe bedienen.“
Sonnabend, den 11. April 1829.
Ich fand heute den Tiſch im langen Saale gedeckt und zwar fuͤr mehrere Perſonen. Goethe und Frau v. Goethe empfingen mich ſehr freundlich. Es traten nach und nach herein: Madame Schopenhauer, der junge Graf Reinhard von der franzoͤſiſchen Geſandt¬ ſchaft, deſſen Schwager Herr v. D., aus einer Durch¬ reiſe begriffen, um gegen die Tuͤrken in ruſſiſche Dienſte zu gehen; Fraͤulein Ulrike, und zuletzt Hofrath Vogel.
Goethe war in beſonders heiterer Stimmung; er unterhielt die Anweſenden, ehe man ſich zu Tiſch ſetzte, mit einigen guten Frankfurter Spaͤßen, beſonders zwi¬ ſchen Rothſchild und Bethmann, wie der Eine dem Andern die Speculationen verdorben.
Graf Reinhard ging an Hof, wir Andern ſetzten
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0145"n="135"/>
junger Kuͤnſtler, ſagte ich, ſich nicht nach ihm bilden<lb/>
koͤnnen?</p><lb/><p>„Wer ein aͤhnliches Gemuͤth haͤtte, antwortete Goethe,<lb/>
wuͤrde ohne Frage ſich an Claude Lorrain auf das treff¬<lb/>
lichſte entwickeln. Allein wen die Natur mit aͤhnlichen<lb/>
Gaben der Seele im Stiche gelaſſen, wuͤrde dieſem<lb/>
Meiſter hoͤchſtens nur Einzelnheiten abſehen und ſich<lb/>
deren nur als Phraſe bedienen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Sonnabend, den 11. April 1829.<lb/></dateline><p>Ich fand heute den Tiſch im langen Saale gedeckt<lb/>
und zwar fuͤr mehrere Perſonen. Goethe und Frau<lb/>
v. <hirendition="#g">Goethe</hi> empfingen mich ſehr freundlich. Es traten<lb/>
nach und nach herein: Madame <hirendition="#g">Schopenhauer</hi>, der<lb/>
junge Graf <hirendition="#g">Reinhard</hi> von der franzoͤſiſchen Geſandt¬<lb/>ſchaft, deſſen Schwager Herr v. D., aus einer Durch¬<lb/>
reiſe begriffen, um gegen die Tuͤrken in ruſſiſche Dienſte<lb/>
zu gehen; Fraͤulein <hirendition="#g">Ulrike</hi>, und zuletzt Hofrath <hirendition="#g">Vogel</hi>.</p><lb/><p>Goethe war in beſonders heiterer Stimmung; er<lb/>
unterhielt die Anweſenden, ehe man ſich zu Tiſch ſetzte,<lb/>
mit einigen guten Frankfurter Spaͤßen, beſonders zwi¬<lb/>ſchen <hirendition="#g">Rothſchild</hi> und <hirendition="#g">Bethmann</hi>, wie der Eine<lb/>
dem Andern die Speculationen verdorben.</p><lb/><p>Graf Reinhard ging an Hof, wir Andern ſetzten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[135/0145]
junger Kuͤnſtler, ſagte ich, ſich nicht nach ihm bilden
koͤnnen?
„Wer ein aͤhnliches Gemuͤth haͤtte, antwortete Goethe,
wuͤrde ohne Frage ſich an Claude Lorrain auf das treff¬
lichſte entwickeln. Allein wen die Natur mit aͤhnlichen
Gaben der Seele im Stiche gelaſſen, wuͤrde dieſem
Meiſter hoͤchſtens nur Einzelnheiten abſehen und ſich
deren nur als Phraſe bedienen.“
Sonnabend, den 11. April 1829.
Ich fand heute den Tiſch im langen Saale gedeckt
und zwar fuͤr mehrere Perſonen. Goethe und Frau
v. Goethe empfingen mich ſehr freundlich. Es traten
nach und nach herein: Madame Schopenhauer, der
junge Graf Reinhard von der franzoͤſiſchen Geſandt¬
ſchaft, deſſen Schwager Herr v. D., aus einer Durch¬
reiſe begriffen, um gegen die Tuͤrken in ruſſiſche Dienſte
zu gehen; Fraͤulein Ulrike, und zuletzt Hofrath Vogel.
Goethe war in beſonders heiterer Stimmung; er
unterhielt die Anweſenden, ehe man ſich zu Tiſch ſetzte,
mit einigen guten Frankfurter Spaͤßen, beſonders zwi¬
ſchen Rothſchild und Bethmann, wie der Eine
dem Andern die Speculationen verdorben.
Graf Reinhard ging an Hof, wir Andern ſetzten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/145>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.