gerlich; er kann jetzt nichts mehr helfen. Es ist eigen, fuhr er fort, ich habe doch so mancherley gemacht und doch ist keins von allen meinen Gedichten, das im lu¬ therischen Gesangbuch stehen könnte." Ich lachte und gab ihm Recht, indem ich mir sagte, daß in dieser wunderlichen Äußerung mehr liege als es den Anschein habe.
Sonntag Abend den 12. Januar 1827
Ich fand eine musikalische Abendunterhaltung bey Goethe, die ihm von der Familie Eberwein, nebst eini¬ gen Mitgliedern des Orchesters gewährt wurde. Unter den wenigen Zuhörern waren: der General-Superinten¬ dent Röhr, Hofrath Vogel und einige Damen. Goethe hatte gewünscht, das Quartett eines berühmten jungen Componisten zu hören, welches man zunächst ausführte. Der zwölfjährige Carl Eberwein spielte den Flügel zu Goethe's großer Zufriedenheit und in der That trefflich, so daß denn das Quartett in jeder Hinsicht gut execu¬ tirt vorüberging.
"Es ist wunderlich, sagte Goethe, wohin die aufs höchste gesteigerte Technik und Mechanik die neuesten Componisten führt; ihre Arbeiten bleiben keine Musik mehr, sie gehen über das Niveau der menschlichen Em¬ pfindungen hinaus und man kann solchen Sachen aus
gerlich; er kann jetzt nichts mehr helfen. Es iſt eigen, fuhr er fort, ich habe doch ſo mancherley gemacht und doch iſt keins von allen meinen Gedichten, das im lu¬ theriſchen Geſangbuch ſtehen koͤnnte.“ Ich lachte und gab ihm Recht, indem ich mir ſagte, daß in dieſer wunderlichen Äußerung mehr liege als es den Anſchein habe.
Sonntag Abend den 12. Januar 1827
Ich fand eine muſikaliſche Abendunterhaltung bey Goethe, die ihm von der Familie Eberwein, nebſt eini¬ gen Mitgliedern des Orcheſters gewaͤhrt wurde. Unter den wenigen Zuhoͤrern waren: der General-Superinten¬ dent Roͤhr, Hofrath Vogel und einige Damen. Goethe hatte gewuͤnſcht, das Quartett eines beruͤhmten jungen Componiſten zu hoͤren, welches man zunaͤchſt ausfuͤhrte. Der zwoͤlfjaͤhrige Carl Eberwein ſpielte den Fluͤgel zu Goethe's großer Zufriedenheit und in der That trefflich, ſo daß denn das Quartett in jeder Hinſicht gut execu¬ tirt voruͤberging.
„Es iſt wunderlich, ſagte Goethe, wohin die aufs hoͤchſte geſteigerte Technik und Mechanik die neueſten Componiſten fuͤhrt; ihre Arbeiten bleiben keine Muſik mehr, ſie gehen uͤber das Niveau der menſchlichen Em¬ pfindungen hinaus und man kann ſolchen Sachen aus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0302"n="282"/>
gerlich; er kann jetzt nichts mehr helfen. Es iſt eigen,<lb/>
fuhr er fort, ich habe doch ſo mancherley gemacht und<lb/>
doch iſt keins von allen meinen Gedichten, das im lu¬<lb/>
theriſchen Geſangbuch ſtehen koͤnnte.“ Ich lachte und<lb/>
gab ihm Recht, indem ich mir ſagte, daß in dieſer<lb/>
wunderlichen Äußerung mehr liege als es den Anſchein<lb/>
habe.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><datelinerendition="#right">Sonntag Abend den 12. Januar 1827<lb/></dateline><p>Ich fand eine muſikaliſche Abendunterhaltung bey<lb/>
Goethe, die ihm von der Familie Eberwein, nebſt eini¬<lb/>
gen Mitgliedern des Orcheſters gewaͤhrt wurde. Unter<lb/>
den wenigen Zuhoͤrern waren: der General-Superinten¬<lb/>
dent Roͤhr, Hofrath Vogel und einige Damen. Goethe<lb/>
hatte gewuͤnſcht, das Quartett eines beruͤhmten jungen<lb/>
Componiſten zu hoͤren, welches man zunaͤchſt ausfuͤhrte.<lb/>
Der zwoͤlfjaͤhrige Carl Eberwein ſpielte den Fluͤgel zu<lb/>
Goethe's großer Zufriedenheit und in der That trefflich,<lb/>ſo daß denn das Quartett in jeder Hinſicht gut execu¬<lb/>
tirt voruͤberging.</p><lb/><p>„Es iſt wunderlich, ſagte Goethe, wohin die aufs<lb/>
hoͤchſte geſteigerte Technik und Mechanik die neueſten<lb/>
Componiſten fuͤhrt; ihre Arbeiten bleiben keine Muſik<lb/>
mehr, ſie gehen uͤber das Niveau der menſchlichen Em¬<lb/>
pfindungen hinaus und man kann ſolchen Sachen aus<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[282/0302]
gerlich; er kann jetzt nichts mehr helfen. Es iſt eigen,
fuhr er fort, ich habe doch ſo mancherley gemacht und
doch iſt keins von allen meinen Gedichten, das im lu¬
theriſchen Geſangbuch ſtehen koͤnnte.“ Ich lachte und
gab ihm Recht, indem ich mir ſagte, daß in dieſer
wunderlichen Äußerung mehr liege als es den Anſchein
habe.
Sonntag Abend den 12. Januar 1827
Ich fand eine muſikaliſche Abendunterhaltung bey
Goethe, die ihm von der Familie Eberwein, nebſt eini¬
gen Mitgliedern des Orcheſters gewaͤhrt wurde. Unter
den wenigen Zuhoͤrern waren: der General-Superinten¬
dent Roͤhr, Hofrath Vogel und einige Damen. Goethe
hatte gewuͤnſcht, das Quartett eines beruͤhmten jungen
Componiſten zu hoͤren, welches man zunaͤchſt ausfuͤhrte.
Der zwoͤlfjaͤhrige Carl Eberwein ſpielte den Fluͤgel zu
Goethe's großer Zufriedenheit und in der That trefflich,
ſo daß denn das Quartett in jeder Hinſicht gut execu¬
tirt voruͤberging.
„Es iſt wunderlich, ſagte Goethe, wohin die aufs
hoͤchſte geſteigerte Technik und Mechanik die neueſten
Componiſten fuͤhrt; ihre Arbeiten bleiben keine Muſik
mehr, ſie gehen uͤber das Niveau der menſchlichen Em¬
pfindungen hinaus und man kann ſolchen Sachen aus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/302>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.