cheint, erscheint ihnen grob. Das Große ist ihnen unbequem, sie haben keine Ader es zu verehren, sie können es nicht dulden."
Donnerstag Abend den 4. Januar 1827.
Goethe lobte sehr die Gedichte von Victor Hugo. "Er ist ein entschiedenes Talent, sagte er, auf den die deutsche Literatur Einfluß gehabt. Seine poetische Ju¬ gend ist ihm leider durch die Pedanterie der classischen Partey verkümmert; doch jetzt hat er den Globe auf seiner Seite und so hat er gewonnen Spiel. Ich möchte ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives und erscheint mir vollkommen so bedeutend als die Her¬ ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht betrachte, so sehe ich wohl, wo er und andere frische Talente seines Gleichen herkommen. Von Chateau¬ briand kommen sie her, der freylich ein sehr bedeuten¬ des rhetorisch-poetisches Talent ist. Damit Sie nun aber sehen, in welcher Art Victor Hugo schreibt, so lesen Sie nur dieß Gedicht über Napoleon: Les deux eisles."
Goethe legte mir das Buch vor und stellte sich an den Ofen. Ich las. "Hat er nicht treffliche Bilder? sagte Goethe, und hat er seinen Gegenstand nicht mit sehr freyem Geiste behandelt?" Er trat wieder zu mir.
cheint, erſcheint ihnen grob. Das Große iſt ihnen unbequem, ſie haben keine Ader es zu verehren, ſie koͤnnen es nicht dulden.“
Donnerstag Abend den 4. Januar 1827.
Goethe lobte ſehr die Gedichte von Victor Hugo. „Er iſt ein entſchiedenes Talent, ſagte er, auf den die deutſche Literatur Einfluß gehabt. Seine poetiſche Ju¬ gend iſt ihm leider durch die Pedanterie der claſſiſchen Partey verkuͤmmert; doch jetzt hat er den Globe auf ſeiner Seite und ſo hat er gewonnen Spiel. Ich moͤchte ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives und erſcheint mir vollkommen ſo bedeutend als die Her¬ ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht betrachte, ſo ſehe ich wohl, wo er und andere friſche Talente ſeines Gleichen herkommen. Von Chateau¬ briand kommen ſie her, der freylich ein ſehr bedeuten¬ des rhetoriſch-poetiſches Talent iſt. Damit Sie nun aber ſehen, in welcher Art Victor Hugo ſchreibt, ſo leſen Sie nur dieß Gedicht uͤber Napoleon: Les deux îsles.“
Goethe legte mir das Buch vor und ſtellte ſich an den Ofen. Ich las. „Hat er nicht treffliche Bilder? ſagte Goethe, und hat er ſeinen Gegenſtand nicht mit ſehr freyem Geiſte behandelt?“ Er trat wieder zu mir.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0298"n="278"/>
cheint, erſcheint ihnen grob. Das Große iſt ihnen<lb/>
unbequem, ſie haben keine Ader es zu verehren, ſie<lb/>
koͤnnen es nicht dulden.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><datelinerendition="#right">Donnerstag Abend den 4. Januar 1827.<lb/></dateline><p>Goethe lobte ſehr die Gedichte von Victor Hugo.<lb/>„Er iſt ein entſchiedenes Talent, ſagte er, auf den die<lb/>
deutſche Literatur Einfluß gehabt. Seine poetiſche Ju¬<lb/>
gend iſt ihm leider durch die Pedanterie der claſſiſchen<lb/>
Partey verkuͤmmert; doch jetzt hat er den <hirendition="#g">Globe</hi> auf<lb/>ſeiner Seite und ſo hat er gewonnen Spiel. Ich moͤchte<lb/>
ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives<lb/>
und erſcheint mir vollkommen ſo bedeutend als die Her¬<lb/>
ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht<lb/>
betrachte, ſo ſehe ich wohl, wo er und andere friſche<lb/>
Talente ſeines Gleichen herkommen. Von <hirendition="#g">Chateau¬<lb/>
briand</hi> kommen ſie her, der freylich ein ſehr bedeuten¬<lb/>
des rhetoriſch-poetiſches Talent iſt. Damit Sie nun<lb/>
aber ſehen, in welcher Art Victor Hugo ſchreibt, ſo<lb/>
leſen Sie nur dieß Gedicht uͤber Napoleon: <hirendition="#aq">Les deux<lb/>
îsles</hi>.“</p><lb/><p>Goethe legte mir das Buch vor und ſtellte ſich an den<lb/>
Ofen. Ich las. „Hat er nicht treffliche Bilder? ſagte<lb/>
Goethe, und hat er ſeinen Gegenſtand nicht mit ſehr<lb/>
freyem Geiſte behandelt?“ Er trat wieder zu mir.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[278/0298]
cheint, erſcheint ihnen grob. Das Große iſt ihnen
unbequem, ſie haben keine Ader es zu verehren, ſie
koͤnnen es nicht dulden.“
Donnerstag Abend den 4. Januar 1827.
Goethe lobte ſehr die Gedichte von Victor Hugo.
„Er iſt ein entſchiedenes Talent, ſagte er, auf den die
deutſche Literatur Einfluß gehabt. Seine poetiſche Ju¬
gend iſt ihm leider durch die Pedanterie der claſſiſchen
Partey verkuͤmmert; doch jetzt hat er den Globe auf
ſeiner Seite und ſo hat er gewonnen Spiel. Ich moͤchte
ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives
und erſcheint mir vollkommen ſo bedeutend als die Her¬
ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht
betrachte, ſo ſehe ich wohl, wo er und andere friſche
Talente ſeines Gleichen herkommen. Von Chateau¬
briand kommen ſie her, der freylich ein ſehr bedeuten¬
des rhetoriſch-poetiſches Talent iſt. Damit Sie nun
aber ſehen, in welcher Art Victor Hugo ſchreibt, ſo
leſen Sie nur dieß Gedicht uͤber Napoleon: Les deux
îsles.“
Goethe legte mir das Buch vor und ſtellte ſich an den
Ofen. Ich las. „Hat er nicht treffliche Bilder? ſagte
Goethe, und hat er ſeinen Gegenſtand nicht mit ſehr
freyem Geiſte behandelt?“ Er trat wieder zu mir.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/298>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.