Schlage geworden zu seyn. Er erschien in gleichem Niveau mit allen vornehmen geistreichen Weltleuten, von denen er sich durch nichts auszeichnete als durch sein großes Talent der Darstellung, so daß er denn auch als ihr redendes Organ betrachtet werden konnte.
Und so empfand ich denn beym Lesen des Beppo: Lord Byron habe zu viel Empirie, und zwar nicht, weil er zu viel wirkliches Leben uns vor die Augen führte, sondern weil seine höhere poetische Natur zu schweigen, ja von einer empirischen Denkungsweise aus¬ getrieben zu seyn schien.
Mittwoch den 29. November 1826.
Lord Byrons Deformed Transformed hatte ich nun auch gelesen und sprach mit Goethe darüber nach Tisch.
"Nicht wahr? sagte er, die ersten Scenen sind groß und zwar poetisch groß. Das Übrige, wo es ausein¬ ander und zur Belagerung Rom's geht, will ich nicht als poetisch rühmen, allein man muß gestehen, daß es geistreich ist."
Im höchsten Grade, sagte ich; aber es ist keine Kunst geistreich zu seyn, wenn man vor nichts Respect hat.
Goethe lachte. "Sie haben nicht ganz Unrecht,
Schlage geworden zu ſeyn. Er erſchien in gleichem Niveau mit allen vornehmen geiſtreichen Weltleuten, von denen er ſich durch nichts auszeichnete als durch ſein großes Talent der Darſtellung, ſo daß er denn auch als ihr redendes Organ betrachtet werden konnte.
Und ſo empfand ich denn beym Leſen des Beppo: Lord Byron habe zu viel Empirie, und zwar nicht, weil er zu viel wirkliches Leben uns vor die Augen fuͤhrte, ſondern weil ſeine hoͤhere poetiſche Natur zu ſchweigen, ja von einer empiriſchen Denkungsweiſe aus¬ getrieben zu ſeyn ſchien.
Mittwoch den 29. November 1826.
Lord Byrons Deformed Transformed hatte ich nun auch geleſen und ſprach mit Goethe daruͤber nach Tiſch.
„Nicht wahr? ſagte er, die erſten Scenen ſind groß und zwar poetiſch groß. Das Übrige, wo es ausein¬ ander und zur Belagerung Rom's geht, will ich nicht als poetiſch ruͤhmen, allein man muß geſtehen, daß es geiſtreich iſt.“
Im hoͤchſten Grade, ſagte ich; aber es iſt keine Kunſt geiſtreich zu ſeyn, wenn man vor nichts Reſpect hat.
Goethe lachte. „Sie haben nicht ganz Unrecht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0276"n="256"/>
Schlage geworden zu ſeyn. Er erſchien in gleichem<lb/>
Niveau mit allen vornehmen geiſtreichen Weltleuten,<lb/>
von denen er ſich durch nichts auszeichnete als durch<lb/>ſein großes Talent der Darſtellung, ſo daß er denn auch<lb/>
als ihr redendes Organ betrachtet werden konnte.</p><lb/><p>Und ſo empfand ich denn beym Leſen des Beppo:<lb/>
Lord Byron habe zu viel Empirie, und zwar nicht,<lb/>
weil er zu viel wirkliches Leben uns vor die Augen<lb/>
fuͤhrte, ſondern weil ſeine hoͤhere poetiſche Natur zu<lb/>ſchweigen, ja von einer empiriſchen Denkungsweiſe aus¬<lb/>
getrieben zu ſeyn ſchien.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><datelinerendition="#right">Mittwoch den 29. November 1826.<lb/></dateline><p>Lord Byrons <hirendition="#aq">Deformed Transformed</hi> hatte ich<lb/>
nun auch geleſen und ſprach mit Goethe daruͤber nach<lb/>
Tiſch.</p><lb/><p>„Nicht wahr? ſagte er, die erſten Scenen ſind groß<lb/>
und zwar poetiſch groß. Das Übrige, wo es ausein¬<lb/>
ander und zur Belagerung Rom's geht, will ich nicht<lb/>
als poetiſch ruͤhmen, allein man muß geſtehen, daß es<lb/>
geiſtreich iſt.“</p><lb/><p>Im hoͤchſten Grade, ſagte ich; aber es iſt keine<lb/>
Kunſt geiſtreich zu ſeyn, wenn man vor nichts Reſpect<lb/>
hat.</p><lb/><p>Goethe lachte. „Sie haben nicht ganz Unrecht,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[256/0276]
Schlage geworden zu ſeyn. Er erſchien in gleichem
Niveau mit allen vornehmen geiſtreichen Weltleuten,
von denen er ſich durch nichts auszeichnete als durch
ſein großes Talent der Darſtellung, ſo daß er denn auch
als ihr redendes Organ betrachtet werden konnte.
Und ſo empfand ich denn beym Leſen des Beppo:
Lord Byron habe zu viel Empirie, und zwar nicht,
weil er zu viel wirkliches Leben uns vor die Augen
fuͤhrte, ſondern weil ſeine hoͤhere poetiſche Natur zu
ſchweigen, ja von einer empiriſchen Denkungsweiſe aus¬
getrieben zu ſeyn ſchien.
Mittwoch den 29. November 1826.
Lord Byrons Deformed Transformed hatte ich
nun auch geleſen und ſprach mit Goethe daruͤber nach
Tiſch.
„Nicht wahr? ſagte er, die erſten Scenen ſind groß
und zwar poetiſch groß. Das Übrige, wo es ausein¬
ander und zur Belagerung Rom's geht, will ich nicht
als poetiſch ruͤhmen, allein man muß geſtehen, daß es
geiſtreich iſt.“
Im hoͤchſten Grade, ſagte ich; aber es iſt keine
Kunſt geiſtreich zu ſeyn, wenn man vor nichts Reſpect
hat.
Goethe lachte. „Sie haben nicht ganz Unrecht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/276>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.