Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Goethe sprach mit mir über die Fortsetzung seiner Le¬
bensgeschichte, mit deren Ausarbeitung er sich gegen¬
wärtig beschäftigt. Es kam zur Erwähnung, daß diese
Epoche seines spätern Lebens nicht die Ausführlichkeit
des Details haben könne, wie die Jugendepoche von
Wahrheit und Dichtung.

"Ich muß, sagte Goethe, diese späteren Jahre mehr
als Annalen behandeln; es kann darin weniger mein
Leben als meine Thätigkeit zur Erscheinung kommen.
Überhaupt ist die bedeutendste Epoche eines Individuums
die der Entwickelung, welche sich in meinem Fall mit
den ausführlichen Bänden von Wahrheit und Dichtung
abschließt. Später beginnt der Conflict mit der Welt,
und dieser hat nur insofern Interesse als etwas dabey
herauskommt."

"Und dann, das Leben eines deutschen Gelehrten,
was ist es? Was in meinem Fall daran etwa Gutes
seyn möchte, ist nicht mitzutheilen, und das Mittheil¬

Goethe ſprach mit mir uͤber die Fortſetzung ſeiner Le¬
bensgeſchichte, mit deren Ausarbeitung er ſich gegen¬
waͤrtig beſchaͤftigt. Es kam zur Erwaͤhnung, daß dieſe
Epoche ſeines ſpaͤtern Lebens nicht die Ausfuͤhrlichkeit
des Details haben koͤnne, wie die Jugendepoche von
Wahrheit und Dichtung.

„Ich muß, ſagte Goethe, dieſe ſpaͤteren Jahre mehr
als Annalen behandeln; es kann darin weniger mein
Leben als meine Thaͤtigkeit zur Erſcheinung kommen.
Überhaupt iſt die bedeutendſte Epoche eines Individuums
die der Entwickelung, welche ſich in meinem Fall mit
den ausfuͤhrlichen Baͤnden von Wahrheit und Dichtung
abſchließt. Spaͤter beginnt der Conflict mit der Welt,
und dieſer hat nur inſofern Intereſſe als etwas dabey
herauskommt.“

„Und dann, das Leben eines deutſchen Gelehrten,
was iſt es? Was in meinem Fall daran etwa Gutes
ſeyn moͤchte, iſt nicht mitzutheilen, und das Mittheil¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0125" n="[105]"/>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Dien&#x017F;tag den 27. Januar 1824.<lb/></dateline>
          <p><hi rendition="#in">G</hi>oethe &#x017F;prach mit mir u&#x0364;ber die Fort&#x017F;etzung &#x017F;einer Le¬<lb/>
bensge&#x017F;chichte, mit deren Ausarbeitung er &#x017F;ich gegen¬<lb/>
wa&#x0364;rtig be&#x017F;cha&#x0364;ftigt. Es kam zur Erwa&#x0364;hnung, daß die&#x017F;e<lb/>
Epoche &#x017F;eines &#x017F;pa&#x0364;tern Lebens nicht die Ausfu&#x0364;hrlichkeit<lb/>
des Details haben ko&#x0364;nne, wie die Jugendepoche von<lb/><hi rendition="#g">Wahrheit</hi> und <hi rendition="#g">Dichtung</hi>.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich muß, &#x017F;agte Goethe, die&#x017F;e &#x017F;pa&#x0364;teren Jahre mehr<lb/>
als Annalen behandeln; es kann darin weniger mein<lb/>
Leben als meine Tha&#x0364;tigkeit zur Er&#x017F;cheinung kommen.<lb/>
Überhaupt i&#x017F;t die bedeutend&#x017F;te Epoche eines Individuums<lb/>
die der Entwickelung, welche &#x017F;ich in meinem Fall mit<lb/>
den ausfu&#x0364;hrlichen Ba&#x0364;nden von Wahrheit und Dichtung<lb/>
ab&#x017F;chließt. Spa&#x0364;ter beginnt der Conflict mit der Welt,<lb/>
und die&#x017F;er hat nur in&#x017F;ofern Intere&#x017F;&#x017F;e als etwas dabey<lb/>
herauskommt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und dann, das Leben eines deut&#x017F;chen Gelehrten,<lb/>
was i&#x017F;t es? Was in meinem Fall daran etwa Gutes<lb/>
&#x017F;eyn mo&#x0364;chte, i&#x017F;t nicht mitzutheilen, und das Mittheil¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[105]/0125] Dienſtag den 27. Januar 1824. Goethe ſprach mit mir uͤber die Fortſetzung ſeiner Le¬ bensgeſchichte, mit deren Ausarbeitung er ſich gegen¬ waͤrtig beſchaͤftigt. Es kam zur Erwaͤhnung, daß dieſe Epoche ſeines ſpaͤtern Lebens nicht die Ausfuͤhrlichkeit des Details haben koͤnne, wie die Jugendepoche von Wahrheit und Dichtung. „Ich muß, ſagte Goethe, dieſe ſpaͤteren Jahre mehr als Annalen behandeln; es kann darin weniger mein Leben als meine Thaͤtigkeit zur Erſcheinung kommen. Überhaupt iſt die bedeutendſte Epoche eines Individuums die der Entwickelung, welche ſich in meinem Fall mit den ausfuͤhrlichen Baͤnden von Wahrheit und Dichtung abſchließt. Spaͤter beginnt der Conflict mit der Welt, und dieſer hat nur inſofern Intereſſe als etwas dabey herauskommt.“ „Und dann, das Leben eines deutſchen Gelehrten, was iſt es? Was in meinem Fall daran etwa Gutes ſeyn moͤchte, iſt nicht mitzutheilen, und das Mittheil¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/125
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. [105]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/125>, abgerufen am 22.12.2024.