Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuntes Kapitel.


Die Nachricht von dem Vorgefallenen und zu Erwar-
tenden erfüllte, ehe die Sonne die Mittagshöhe erreicht
hatte, ganz Babylon. Die Straßen wimmelten von Men-
schen, welche dem seltsamen Schauspiele, das die Bestrafung
der treulosen Gattin des Königs abzugeben versprach, mit
Ungeduld entgegen sahen. Die Peitschenträger mußten ihr
ganzes Ansehen brauchen, um den Andrang der Gaffer
zurück zu halten. Als sich später das Gerücht von der
bevorstehenden Hinrichtung des Bartja und seiner Freunde
verbreitete, nahm der Jubel des Volks, welches, von dem
am Geburtstagsfeste des Königs und den demselben fol-
genden Tagen freigebig gespendeten Palmenweine berauscht,
seine Aufregung nicht zu zügeln vermochte, eine andre
Gestalt an. Trunkene Männer rotteten sich zusammen und
durchzogen die Straßen mit dem Rufe: "Bartja, der gute
Sohn des Kyros, soll getödtet werden!" Die Frauen
vernahmen diese Worte in ihren stillen Gemächern, ent-
flohen den Wärtern und eilten, den gewohnten Schleier
vergessend, hinaus ins Freie, um den empörten Männern
heulend zu folgen. Die Freude, eine besonders glückliche
Schwester gedemüthigt zu sehn, schwand vor dem Schmerz

Neuntes Kapitel.


Die Nachricht von dem Vorgefallenen und zu Erwar-
tenden erfüllte, ehe die Sonne die Mittagshöhe erreicht
hatte, ganz Babylon. Die Straßen wimmelten von Men-
ſchen, welche dem ſeltſamen Schauſpiele, das die Beſtrafung
der treuloſen Gattin des Königs abzugeben verſprach, mit
Ungeduld entgegen ſahen. Die Peitſchenträger mußten ihr
ganzes Anſehen brauchen, um den Andrang der Gaffer
zurück zu halten. Als ſich ſpäter das Gerücht von der
bevorſtehenden Hinrichtung des Bartja und ſeiner Freunde
verbreitete, nahm der Jubel des Volks, welches, von dem
am Geburtstagsfeſte des Königs und den demſelben fol-
genden Tagen freigebig geſpendeten Palmenweine berauſcht,
ſeine Aufregung nicht zu zügeln vermochte, eine andre
Geſtalt an. Trunkene Männer rotteten ſich zuſammen und
durchzogen die Straßen mit dem Rufe: „Bartja, der gute
Sohn des Kyros, ſoll getödtet werden!“ Die Frauen
vernahmen dieſe Worte in ihren ſtillen Gemächern, ent-
flohen den Wärtern und eilten, den gewohnten Schleier
vergeſſend, hinaus ins Freie, um den empörten Männern
heulend zu folgen. Die Freude, eine beſonders glückliche
Schweſter gedemüthigt zu ſehn, ſchwand vor dem Schmerz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0199" n="[197]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Neuntes Kapitel.</hi> </hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Nachricht von dem Vorgefallenen und zu Erwar-<lb/>
tenden erfüllte, ehe die Sonne die Mittagshöhe erreicht<lb/>
hatte, ganz Babylon. Die Straßen wimmelten von Men-<lb/>
&#x017F;chen, welche dem &#x017F;elt&#x017F;amen Schau&#x017F;piele, das die Be&#x017F;trafung<lb/>
der treulo&#x017F;en Gattin des Königs abzugeben ver&#x017F;prach, mit<lb/>
Ungeduld entgegen &#x017F;ahen. Die Peit&#x017F;chenträger mußten ihr<lb/>
ganzes An&#x017F;ehen brauchen, um den Andrang der Gaffer<lb/>
zurück zu halten. Als &#x017F;ich &#x017F;päter das Gerücht von der<lb/>
bevor&#x017F;tehenden Hinrichtung des Bartja und &#x017F;einer Freunde<lb/>
verbreitete, nahm der Jubel des Volks, welches, von dem<lb/>
am Geburtstagsfe&#x017F;te des Königs und den dem&#x017F;elben fol-<lb/>
genden Tagen freigebig ge&#x017F;pendeten Palmenweine berau&#x017F;cht,<lb/>
&#x017F;eine Aufregung nicht zu zügeln vermochte, eine andre<lb/>
Ge&#x017F;talt an. Trunkene Männer rotteten &#x017F;ich zu&#x017F;ammen und<lb/>
durchzogen die Straßen mit dem Rufe: &#x201E;Bartja, der gute<lb/>
Sohn des Kyros, &#x017F;oll getödtet werden!&#x201C; Die Frauen<lb/>
vernahmen die&#x017F;e Worte in ihren &#x017F;tillen Gemächern, ent-<lb/>
flohen den Wärtern und eilten, den gewohnten Schleier<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;end, hinaus ins Freie, um den empörten Männern<lb/>
heulend zu folgen. Die Freude, eine be&#x017F;onders glückliche<lb/>
Schwe&#x017F;ter gedemüthigt zu &#x017F;ehn, &#x017F;chwand vor dem Schmerz<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[197]/0199] Neuntes Kapitel. Die Nachricht von dem Vorgefallenen und zu Erwar- tenden erfüllte, ehe die Sonne die Mittagshöhe erreicht hatte, ganz Babylon. Die Straßen wimmelten von Men- ſchen, welche dem ſeltſamen Schauſpiele, das die Beſtrafung der treuloſen Gattin des Königs abzugeben verſprach, mit Ungeduld entgegen ſahen. Die Peitſchenträger mußten ihr ganzes Anſehen brauchen, um den Andrang der Gaffer zurück zu halten. Als ſich ſpäter das Gerücht von der bevorſtehenden Hinrichtung des Bartja und ſeiner Freunde verbreitete, nahm der Jubel des Volks, welches, von dem am Geburtstagsfeſte des Königs und den demſelben fol- genden Tagen freigebig geſpendeten Palmenweine berauſcht, ſeine Aufregung nicht zu zügeln vermochte, eine andre Geſtalt an. Trunkene Männer rotteten ſich zuſammen und durchzogen die Straßen mit dem Rufe: „Bartja, der gute Sohn des Kyros, ſoll getödtet werden!“ Die Frauen vernahmen dieſe Worte in ihren ſtillen Gemächern, ent- flohen den Wärtern und eilten, den gewohnten Schleier vergeſſend, hinaus ins Freie, um den empörten Männern heulend zu folgen. Die Freude, eine beſonders glückliche Schweſter gedemüthigt zu ſehn, ſchwand vor dem Schmerz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/199
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. [197]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/199>, abgerufen am 26.04.2024.