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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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ewiger Nacht gelebt haben, wenn sie dadurch vermocht hätte,
ihre gestrigen Thaten ungeschehen zu machen.

Das gute aber leichtsinnige Geschöpf wurde nicht müde,
sich eine ruchlose Mörderin zu nennen. Hundertmal nahm
sie sich vor, Alles der Wahrheit gemäß zu gestehen und
Nitetis zu retten; aber jedesmal siegten Lebenslust und
Furcht über die guten Regungen ihres schwachen Herzens.
Wenn sie gestand, so war sie des Todes gewiß, und sie
fühlte sich so ganz für das Leben geschaffen, ihr graute so
sehr vor dem Grabe, sie hoffte so viel von der Zukunft!
Hätte sie nur ewige Gefangenschaft zu befürchten gehabt,
so würde sie vielleicht die volle Wahrheit enthüllt haben;
sterben aber, sterben konnte sie nicht! Und war denn die
Verurtheilte überhaupt durch ein Geständniß zu retten?

Hatte sie denn nicht selbst eine Botschaft derselben
durch den unglücklichen Gärtnerknaben an Bartja bestellen
müssen? Dieser geheime Briefwechsel war entdeckt worden,
und darum wäre Nitetis wohl auch ohne ihre Schuld ver-
loren gewesen! Wir sind niemals geschickter, als wenn es
gilt, das Unrecht, welches wir begehen, vor uns selbst zu
beschönigen.

Mandane kniete, als die Sonne aufging, vor dem La-
ger ihrer Herrin, weinte bitterlich und begriff nicht den
ruhigen Schlaf derselben.



Auch Boges, der Eunuch, hatte eine schlaflose, aber
glückliche Nacht verlebt. Sein Stellvertreter und Amts-
genosse Kandaulos, den er haßte, war seiner Nachlässigkeit,
ja vielleicht Bestechlichkeit wegen, auf Befehl des Königs
sofort hingerichtet worden, und Nitetis nicht nur gestürzt,
sondern auch eines schimpflichen Todes sicher. Der Einfluß

ewiger Nacht gelebt haben, wenn ſie dadurch vermocht hätte,
ihre geſtrigen Thaten ungeſchehen zu machen.

Das gute aber leichtſinnige Geſchöpf wurde nicht müde,
ſich eine ruchloſe Mörderin zu nennen. Hundertmal nahm
ſie ſich vor, Alles der Wahrheit gemäß zu geſtehen und
Nitetis zu retten; aber jedesmal ſiegten Lebensluſt und
Furcht über die guten Regungen ihres ſchwachen Herzens.
Wenn ſie geſtand, ſo war ſie des Todes gewiß, und ſie
fühlte ſich ſo ganz für das Leben geſchaffen, ihr graute ſo
ſehr vor dem Grabe, ſie hoffte ſo viel von der Zukunft!
Hätte ſie nur ewige Gefangenſchaft zu befürchten gehabt,
ſo würde ſie vielleicht die volle Wahrheit enthüllt haben;
ſterben aber, ſterben konnte ſie nicht! Und war denn die
Verurtheilte überhaupt durch ein Geſtändniß zu retten?

Hatte ſie denn nicht ſelbſt eine Botſchaft derſelben
durch den unglücklichen Gärtnerknaben an Bartja beſtellen
müſſen? Dieſer geheime Briefwechſel war entdeckt worden,
und darum wäre Nitetis wohl auch ohne ihre Schuld ver-
loren geweſen! Wir ſind niemals geſchickter, als wenn es
gilt, das Unrecht, welches wir begehen, vor uns ſelbſt zu
beſchönigen.

Mandane kniete, als die Sonne aufging, vor dem La-
ger ihrer Herrin, weinte bitterlich und begriff nicht den
ruhigen Schlaf derſelben.



Auch Boges, der Eunuch, hatte eine ſchlafloſe, aber
glückliche Nacht verlebt. Sein Stellvertreter und Amts-
genoſſe Kandaulos, den er haßte, war ſeiner Nachläſſigkeit,
ja vielleicht Beſtechlichkeit wegen, auf Befehl des Königs
ſofort hingerichtet worden, und Nitetis nicht nur geſtürzt,
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[189/0191] ewiger Nacht gelebt haben, wenn ſie dadurch vermocht hätte, ihre geſtrigen Thaten ungeſchehen zu machen. Das gute aber leichtſinnige Geſchöpf wurde nicht müde, ſich eine ruchloſe Mörderin zu nennen. Hundertmal nahm ſie ſich vor, Alles der Wahrheit gemäß zu geſtehen und Nitetis zu retten; aber jedesmal ſiegten Lebensluſt und Furcht über die guten Regungen ihres ſchwachen Herzens. Wenn ſie geſtand, ſo war ſie des Todes gewiß, und ſie fühlte ſich ſo ganz für das Leben geſchaffen, ihr graute ſo ſehr vor dem Grabe, ſie hoffte ſo viel von der Zukunft! Hätte ſie nur ewige Gefangenſchaft zu befürchten gehabt, ſo würde ſie vielleicht die volle Wahrheit enthüllt haben; ſterben aber, ſterben konnte ſie nicht! Und war denn die Verurtheilte überhaupt durch ein Geſtändniß zu retten? Hatte ſie denn nicht ſelbſt eine Botſchaft derſelben durch den unglücklichen Gärtnerknaben an Bartja beſtellen müſſen? Dieſer geheime Briefwechſel war entdeckt worden, und darum wäre Nitetis wohl auch ohne ihre Schuld ver- loren geweſen! Wir ſind niemals geſchickter, als wenn es gilt, das Unrecht, welches wir begehen, vor uns ſelbſt zu beſchönigen. Mandane kniete, als die Sonne aufging, vor dem La- ger ihrer Herrin, weinte bitterlich und begriff nicht den ruhigen Schlaf derſelben. Auch Boges, der Eunuch, hatte eine ſchlafloſe, aber glückliche Nacht verlebt. Sein Stellvertreter und Amts- genoſſe Kandaulos, den er haßte, war ſeiner Nachläſſigkeit, ja vielleicht Beſtechlichkeit wegen, auf Befehl des Königs ſofort hingerichtet worden, und Nitetis nicht nur geſtürzt, ſondern auch eines ſchimpflichen Todes ſicher. Der Einfluß

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/191>, abgerufen am 26.04.2024.