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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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Natter, die sich selbst verwundete, mein vom Baume ge-
fall'ner Pinienapfel."

"Unverschämter!" rief die entrüstete Königstochter.

"Jch danke Dir," antwortete der lächelnde Unhold.

"Jch werde mich über Dein Betragen beschweren,"
drohte Nitetis.

"Wie liebenswürdig Du bist!" erwiederte Boges.

"Fort aus meinen Augen!" rief die Aegypterin.

"Jch gehorche Deinen holden Winken," flüsterte der
Eunuch, als wenn er ihr ein Liebesgeheimniß in's Ohr
zu raunen habe.

Sie wich, angewidert und entsetzt über diesen Hohn,
dessen Furchtbarkeit sie wohl erkannte, zurück, und wandte
Boges, indem sie dem Hause zueilte, den Rücken; er aber
rief ihr nach "Denke meiner, schöne Königin, denke mein!
Alles, was Dir in den nächsten Tagen begegnen wird, ist
eine Liebesgabe des armen, verachteten Boges!"

Sobald die Aegypterin verschwunden war, änderte er
seinen Ton und befahl den Wächtern in strenger, befehls-
haberischer Weise, die hängenden Gärten sorgsam zu be-
wachen. "Wer von euch einem andern Menschen, als
mir, diesen Ort zu betreten gestattet, ist des Todes schul-
dig! Niemand, hört ihr, Niemand; am wenigsten Boten
von der Mutter des Königs, von Atossa oder anderen
Großen dürfen den Fuß auf diese Treppe setzen. Wenn
Krösus oder Oropastes die Aegypterin zu sprechen begehren,
so weist ihr sie bestimmt zurück! Verstanden? -- Hier-
mit wiederhol' ich, daß ihr Alle ohne Unterschied am
längsten gelebt haben sollt, wenn ihr euch durch Bitten
oder Geschenke zum Ungehorsam verleiten laßt. Niemand,
Niemand darf diese Gärten ohne meinen ausdrücklichen,
mündlichen Befehl betreten! Jch denke, daß ihr mich kennt!

Natter, die ſich ſelbſt verwundete, mein vom Baume ge-
fall’ner Pinienapfel.“

„Unverſchämter!“ rief die entrüſtete Königstochter.

„Jch danke Dir,“ antwortete der lächelnde Unhold.

„Jch werde mich über Dein Betragen beſchweren,“
drohte Nitetis.

„Wie liebenswürdig Du biſt!“ erwiederte Boges.

„Fort aus meinen Augen!“ rief die Aegypterin.

„Jch gehorche Deinen holden Winken,“ flüſterte der
Eunuch, als wenn er ihr ein Liebesgeheimniß in’s Ohr
zu raunen habe.

Sie wich, angewidert und entſetzt über dieſen Hohn,
deſſen Furchtbarkeit ſie wohl erkannte, zurück, und wandte
Boges, indem ſie dem Hauſe zueilte, den Rücken; er aber
rief ihr nach „Denke meiner, ſchöne Königin, denke mein!
Alles, was Dir in den nächſten Tagen begegnen wird, iſt
eine Liebesgabe des armen, verachteten Boges!“

Sobald die Aegypterin verſchwunden war, änderte er
ſeinen Ton und befahl den Wächtern in ſtrenger, befehls-
haberiſcher Weiſe, die hängenden Gärten ſorgſam zu be-
wachen. „Wer von euch einem andern Menſchen, als
mir, dieſen Ort zu betreten geſtattet, iſt des Todes ſchul-
dig! Niemand, hört ihr, Niemand; am wenigſten Boten
von der Mutter des Königs, von Atoſſa oder anderen
Großen dürfen den Fuß auf dieſe Treppe ſetzen. Wenn
Kröſus oder Oropaſtes die Aegypterin zu ſprechen begehren,
ſo weist ihr ſie beſtimmt zurück! Verſtanden? — Hier-
mit wiederhol’ ich, daß ihr Alle ohne Unterſchied am
längſten gelebt haben ſollt, wenn ihr euch durch Bitten
oder Geſchenke zum Ungehorſam verleiten laßt. Niemand,
Niemand darf dieſe Gärten ohne meinen ausdrücklichen,
mündlichen Befehl betreten! Jch denke, daß ihr mich kennt!

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[126/0128] Natter, die ſich ſelbſt verwundete, mein vom Baume ge- fall’ner Pinienapfel.“ „Unverſchämter!“ rief die entrüſtete Königstochter. „Jch danke Dir,“ antwortete der lächelnde Unhold. „Jch werde mich über Dein Betragen beſchweren,“ drohte Nitetis. „Wie liebenswürdig Du biſt!“ erwiederte Boges. „Fort aus meinen Augen!“ rief die Aegypterin. „Jch gehorche Deinen holden Winken,“ flüſterte der Eunuch, als wenn er ihr ein Liebesgeheimniß in’s Ohr zu raunen habe. Sie wich, angewidert und entſetzt über dieſen Hohn, deſſen Furchtbarkeit ſie wohl erkannte, zurück, und wandte Boges, indem ſie dem Hauſe zueilte, den Rücken; er aber rief ihr nach „Denke meiner, ſchöne Königin, denke mein! Alles, was Dir in den nächſten Tagen begegnen wird, iſt eine Liebesgabe des armen, verachteten Boges!“ Sobald die Aegypterin verſchwunden war, änderte er ſeinen Ton und befahl den Wächtern in ſtrenger, befehls- haberiſcher Weiſe, die hängenden Gärten ſorgſam zu be- wachen. „Wer von euch einem andern Menſchen, als mir, dieſen Ort zu betreten geſtattet, iſt des Todes ſchul- dig! Niemand, hört ihr, Niemand; am wenigſten Boten von der Mutter des Königs, von Atoſſa oder anderen Großen dürfen den Fuß auf dieſe Treppe ſetzen. Wenn Kröſus oder Oropaſtes die Aegypterin zu ſprechen begehren, ſo weist ihr ſie beſtimmt zurück! Verſtanden? — Hier- mit wiederhol’ ich, daß ihr Alle ohne Unterſchied am längſten gelebt haben ſollt, wenn ihr euch durch Bitten oder Geſchenke zum Ungehorſam verleiten laßt. Niemand, Niemand darf dieſe Gärten ohne meinen ausdrücklichen, mündlichen Befehl betreten! Jch denke, daß ihr mich kennt!

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/128>, abgerufen am 26.04.2024.