Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

eines Versuchs bildeten *. Bei der Zusammensetzung der Silben
wurden ursprünglich, übrigens nicht gerade peinlich, einige
Regeln beobachtet, die eine allzu rasche Wiederkehr ähnlich
klingender Elemente verhindern sollten; später wurde von
diesen abgesehen und nur der Zufall walten gelassen. Die
jedesmal benutzten Silben wurden besonders aufbewahrt, bis
die ganze Masse durchgebraucht war, dann aufs neue gemischt
und wieder verwendet.

Alle mit diesen Silbenreihen angestellten Versuche liefen
schliesslich darauf hinaus, die einzelnen Reihen durch wieder-
holtes lautes Durchlesen soweit einzuprägen, dass sie gerade
eben willkürlich reproduciert werden konnten. Dieses Ziel galt
als erreicht, wenn eine Reihe zum erstenmale, nach ge-
gebenem Anfangsglied, ohne Stocken, in einem
bestimmten Tempo und mit dem Bewusstsein der
Fehlerlosigkeit
auswendig hergesagt werden konnte.

§ 12.
Vorzüge des Materials.

Das beschriebene, völlig sinnlose Material bietet, zum
Teil wegen seiner Sinnlosigkeit, mannigfache Vorteile. Es
ist zuvörderst verhältnismässig einfach und verhältnismässig

benutzt als für den Anlaut, weil eine deutsche Zunge, selbst nach mehr-
jähriger Übung in fremden Sprachen, sich mit der korrekten Aussprache
der mediae am Ende nicht recht befreundet. Aus demselben Grunde
wurde von der Verwendung anderer fremdsprachiger Laute, die ich zur
grösseren Bereicherung des Materials zuerst versuchte, wieder Abstand
genommen.
* Ich werde die hier angedeuteten Bezeichnungen im folgenden bei-
behalten und nenne also "Versuch" eine Gruppe von mehreren "Silben-
reihen" oder "Einzelreihen". Eine Mehrheit von "Versuchen" nenne ich
"Versuchsreihe" oder "Versuchsgruppe".

eines Versuchs bildeten *. Bei der Zusammensetzung der Silben
wurden ursprünglich, übrigens nicht gerade peinlich, einige
Regeln beobachtet, die eine allzu rasche Wiederkehr ähnlich
klingender Elemente verhindern sollten; später wurde von
diesen abgesehen und nur der Zufall walten gelassen. Die
jedesmal benutzten Silben wurden besonders aufbewahrt, bis
die ganze Masse durchgebraucht war, dann aufs neue gemischt
und wieder verwendet.

Alle mit diesen Silbenreihen angestellten Versuche liefen
schlieſslich darauf hinaus, die einzelnen Reihen durch wieder-
holtes lautes Durchlesen soweit einzuprägen, daſs sie gerade
eben willkürlich reproduciert werden konnten. Dieses Ziel galt
als erreicht, wenn eine Reihe zum erstenmale, nach ge-
gebenem Anfangsglied, ohne Stocken, in einem
bestimmten Tempo und mit dem Bewuſstsein der
Fehlerlosigkeit
auswendig hergesagt werden konnte.

§ 12.
Vorzüge des Materials.

Das beschriebene, völlig sinnlose Material bietet, zum
Teil wegen seiner Sinnlosigkeit, mannigfache Vorteile. Es
ist zuvörderst verhältnismäſsig einfach und verhältnismäſsig

benutzt als für den Anlaut, weil eine deutsche Zunge, selbst nach mehr-
jähriger Übung in fremden Sprachen, sich mit der korrekten Aussprache
der mediae am Ende nicht recht befreundet. Aus demselben Grunde
wurde von der Verwendung anderer fremdsprachiger Laute, die ich zur
gröſseren Bereicherung des Materials zuerst versuchte, wieder Abstand
genommen.
* Ich werde die hier angedeuteten Bezeichnungen im folgenden bei-
behalten und nenne also „Versuch“ eine Gruppe von mehreren „Silben-
reihen“ oder „Einzelreihen“. Eine Mehrheit von „Versuchen“ nenne ich
„Versuchsreihe“ oder „Versuchsgruppe“.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0047" n="31"/>
eines <hi rendition="#i">Versuchs</hi> bildeten <note place="foot" n="*">Ich werde die hier angedeuteten Bezeichnungen im folgenden bei-<lb/>
behalten und nenne also &#x201E;Versuch&#x201C; eine Gruppe von mehreren &#x201E;Silben-<lb/>
reihen&#x201C; oder &#x201E;Einzelreihen&#x201C;. Eine Mehrheit von &#x201E;Versuchen&#x201C; nenne ich<lb/>
&#x201E;Versuchsreihe&#x201C; oder &#x201E;Versuchsgruppe&#x201C;.</note>. Bei der Zusammensetzung der Silben<lb/>
wurden ursprünglich, übrigens nicht gerade peinlich, einige<lb/>
Regeln beobachtet, die eine allzu rasche Wiederkehr ähnlich<lb/>
klingender Elemente verhindern sollten; später wurde von<lb/>
diesen abgesehen und nur der Zufall walten gelassen. Die<lb/>
jedesmal benutzten Silben wurden besonders aufbewahrt, bis<lb/>
die ganze Masse durchgebraucht war, dann aufs neue gemischt<lb/>
und wieder verwendet.</p><lb/>
          <p>Alle mit diesen Silbenreihen angestellten Versuche liefen<lb/>
schlie&#x017F;slich darauf hinaus, die einzelnen Reihen durch wieder-<lb/>
holtes lautes Durchlesen soweit einzuprägen, da&#x017F;s sie gerade<lb/>
eben willkürlich reproduciert werden konnten. Dieses Ziel galt<lb/>
als erreicht, wenn eine Reihe <hi rendition="#g">zum erstenmale, nach ge-<lb/>
gebenem Anfangsglied, ohne Stocken, in einem<lb/>
bestimmten Tempo und mit dem Bewu&#x017F;stsein der<lb/>
Fehlerlosigkeit</hi> auswendig hergesagt werden konnte.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§ 12.<lb/><hi rendition="#b">Vorzüge des Materials.</hi></head><lb/>
          <p>Das beschriebene, völlig sinnlose Material bietet, zum<lb/>
Teil wegen seiner Sinnlosigkeit, mannigfache Vorteile. Es<lb/>
ist zuvörderst verhältnismä&#x017F;sig einfach und verhältnismä&#x017F;sig<lb/><note xml:id="note-0047" prev="#note-0046" place="foot" n="*">benutzt als für den Anlaut, weil eine deutsche Zunge, selbst nach mehr-<lb/>
jähriger Übung in fremden Sprachen, sich mit der korrekten Aussprache<lb/>
der mediae am Ende nicht recht befreundet. Aus demselben Grunde<lb/>
wurde von der Verwendung anderer fremdsprachiger Laute, die ich zur<lb/>
grö&#x017F;seren Bereicherung des Materials zuerst versuchte, wieder Abstand<lb/>
genommen.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0047] eines Versuchs bildeten *. Bei der Zusammensetzung der Silben wurden ursprünglich, übrigens nicht gerade peinlich, einige Regeln beobachtet, die eine allzu rasche Wiederkehr ähnlich klingender Elemente verhindern sollten; später wurde von diesen abgesehen und nur der Zufall walten gelassen. Die jedesmal benutzten Silben wurden besonders aufbewahrt, bis die ganze Masse durchgebraucht war, dann aufs neue gemischt und wieder verwendet. Alle mit diesen Silbenreihen angestellten Versuche liefen schlieſslich darauf hinaus, die einzelnen Reihen durch wieder- holtes lautes Durchlesen soweit einzuprägen, daſs sie gerade eben willkürlich reproduciert werden konnten. Dieses Ziel galt als erreicht, wenn eine Reihe zum erstenmale, nach ge- gebenem Anfangsglied, ohne Stocken, in einem bestimmten Tempo und mit dem Bewuſstsein der Fehlerlosigkeit auswendig hergesagt werden konnte. § 12. Vorzüge des Materials. Das beschriebene, völlig sinnlose Material bietet, zum Teil wegen seiner Sinnlosigkeit, mannigfache Vorteile. Es ist zuvörderst verhältnismäſsig einfach und verhältnismäſsig * * Ich werde die hier angedeuteten Bezeichnungen im folgenden bei- behalten und nenne also „Versuch“ eine Gruppe von mehreren „Silben- reihen“ oder „Einzelreihen“. Eine Mehrheit von „Versuchen“ nenne ich „Versuchsreihe“ oder „Versuchsgruppe“. * benutzt als für den Anlaut, weil eine deutsche Zunge, selbst nach mehr- jähriger Übung in fremden Sprachen, sich mit der korrekten Aussprache der mediae am Ende nicht recht befreundet. Aus demselben Grunde wurde von der Verwendung anderer fremdsprachiger Laute, die ich zur gröſseren Bereicherung des Materials zuerst versuchte, wieder Abstand genommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/47
Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/47>, abgerufen am 03.12.2024.