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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Ihm ist, als fühl' er noch die Hand die seinen Federzug
geleitet,
Als fühle er den Nadelstich, der seines Blutes Quell be¬
reitet,
Und leise zitternd tastet er zum Gurte, -- hörst du nicht
ein Knirren,
Viel schrillender als Uhrgetick, viel zarter als der Spange
Klirren? --
O, seine Heimath, still umlaubt!
O, seines Vaters graues Haupt!
Bewußtlos an des Engels Knie drückt er die Stirn, klemmt
er die Hände,
Der todten Gäule Klingeln hört er schleichen durch die
Fichtenwände;
Genüber ihm am Horizonte schleifen schwarze Wolkenspalten,
Wie lässig eine träge Hand zum Sarge schleift des Bahr¬
tuchs Falten;
Er streicht das Auge, reckt sich auf,
Und schaut zum Aetherdom hinauf.
Noch hängt die Mondesampel klar am goldgestickten Kuppel¬
ringe,
Noch leuchtet von Sankt Thomas Thurm das Kreuz wie
eine Doppelklinge,
Noch ist die Stunde nicht, wo sich der Hahn auf seiner Stange
schüttelt,
O eilig, eilig, eh die Uhr das letzte Sandkorn hat gerüttelt!
Er wendet sich, da -- horch, ein Klang,
Und wieder einer, schwer und bang!
Ihm iſt, als fühl' er noch die Hand die ſeinen Federzug
geleitet,
Als fühle er den Nadelſtich, der ſeines Blutes Quell be¬
reitet,
Und leiſe zitternd taſtet er zum Gurte, — hörſt du nicht
ein Knirren,
Viel ſchrillender als Uhrgetick, viel zarter als der Spange
Klirren? —
O, ſeine Heimath, ſtill umlaubt!
O, ſeines Vaters graues Haupt!
Bewußtlos an des Engels Knie drückt er die Stirn, klemmt
er die Hände,
Der todten Gäule Klingeln hört er ſchleichen durch die
Fichtenwände;
Genüber ihm am Horizonte ſchleifen ſchwarze Wolkenſpalten,
Wie läſſig eine träge Hand zum Sarge ſchleift des Bahr¬
tuchs Falten;
Er ſtreicht das Auge, reckt ſich auf,
Und ſchaut zum Aetherdom hinauf.
Noch hängt die Mondesampel klar am goldgeſtickten Kuppel¬
ringe,
Noch leuchtet von Sankt Thomas Thurm das Kreuz wie
eine Doppelklinge,
Noch iſt die Stunde nicht, wo ſich der Hahn auf ſeiner Stange
ſchüttelt,
O eilig, eilig, eh die Uhr das letzte Sandkorn hat gerüttelt!
Er wendet ſich, da — horch, ein Klang,
Und wieder einer, ſchwer und bang!
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[380/0394] Ihm iſt, als fühl' er noch die Hand die ſeinen Federzug geleitet, Als fühle er den Nadelſtich, der ſeines Blutes Quell be¬ reitet, Und leiſe zitternd taſtet er zum Gurte, — hörſt du nicht ein Knirren, Viel ſchrillender als Uhrgetick, viel zarter als der Spange Klirren? — O, ſeine Heimath, ſtill umlaubt! O, ſeines Vaters graues Haupt! Bewußtlos an des Engels Knie drückt er die Stirn, klemmt er die Hände, Der todten Gäule Klingeln hört er ſchleichen durch die Fichtenwände; Genüber ihm am Horizonte ſchleifen ſchwarze Wolkenſpalten, Wie läſſig eine träge Hand zum Sarge ſchleift des Bahr¬ tuchs Falten; Er ſtreicht das Auge, reckt ſich auf, Und ſchaut zum Aetherdom hinauf. Noch hängt die Mondesampel klar am goldgeſtickten Kuppel¬ ringe, Noch leuchtet von Sankt Thomas Thurm das Kreuz wie eine Doppelklinge, Noch iſt die Stunde nicht, wo ſich der Hahn auf ſeiner Stange ſchüttelt, O eilig, eilig, eh die Uhr das letzte Sandkorn hat gerüttelt! Er wendet ſich, da — horch, ein Klang, Und wieder einer, ſchwer und bang!

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/394>, abgerufen am 26.04.2024.