Wie tiefberauschend ist dein Odem, O Phantasie! was kommt ihm gleich, Wenn über Mauerzinnen bleich Du gleiten läßt den Grabesbrodem! An einem Tage muß es seyn, Wo bläulich steigt der Höhenrauch, Vielleicht auch wenn der Dämmerhauch Mit grauem Staube füllt die Luft, Des Meteores falber Schein, Ein fallend Sternlein, theilt den Duft. Weß Seele würde nicht bewegt, Gedenkt er dann der warmen Hand, Die diesen kalten Stein gelegt, Des Geistes, der die Formen fand, Die, Greise selber, gliedermatt, Wie von dem Baume Blatt um Blatt, Langsam nachrollen in die Gruft. Am Thurme lieb' ich dann zu stehn, Zu lauschen Wetterhahnes Drehn, Mag wandeln um des Städtchens Kreis, Und aus der Mauerscharte weiß Des Grases Finger winken sehn, Die alten Gräben, halb verschüttet, Die Warte bröckelnd, grau, zerrüttet, Und über'm Thor das Fensterlein, Draus öfters trat der Fackel Schein
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 34
Zweiter Geſang.
Wie tiefberauſchend iſt dein Odem, O Phantaſie! was kommt ihm gleich, Wenn über Mauerzinnen bleich Du gleiten läßt den Grabesbrodem! An einem Tage muß es ſeyn, Wo bläulich ſteigt der Höhenrauch, Vielleicht auch wenn der Dämmerhauch Mit grauem Staube füllt die Luft, Des Meteores falber Schein, Ein fallend Sternlein, theilt den Duft. Weß Seele würde nicht bewegt, Gedenkt er dann der warmen Hand, Die dieſen kalten Stein gelegt, Des Geiſtes, der die Formen fand, Die, Greiſe ſelber, gliedermatt, Wie von dem Baume Blatt um Blatt, Langſam nachrollen in die Gruft. Am Thurme lieb' ich dann zu ſtehn, Zu lauſchen Wetterhahnes Drehn, Mag wandeln um des Städtchens Kreis, Und aus der Mauerſcharte weiß Des Graſes Finger winken ſehn, Die alten Gräben, halb verſchüttet, Die Warte bröckelnd, grau, zerrüttet, Und über'm Thor das Fenſterlein, Draus öfters trat der Fackel Schein
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 34
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Zweiter Geſang.
Wie tiefberauſchend iſt dein Odem,
O Phantaſie! was kommt ihm gleich,
Wenn über Mauerzinnen bleich
Du gleiten läßt den Grabesbrodem!
An einem Tage muß es ſeyn,
Wo bläulich ſteigt der Höhenrauch,
Vielleicht auch wenn der Dämmerhauch
Mit grauem Staube füllt die Luft,
Des Meteores falber Schein,
Ein fallend Sternlein, theilt den Duft.
Weß Seele würde nicht bewegt,
Gedenkt er dann der warmen Hand,
Die dieſen kalten Stein gelegt,
Des Geiſtes, der die Formen fand,
Die, Greiſe ſelber, gliedermatt,
Wie von dem Baume Blatt um Blatt,
Langſam nachrollen in die Gruft.
Am Thurme lieb' ich dann zu ſtehn,
Zu lauſchen Wetterhahnes Drehn,
Mag wandeln um des Städtchens Kreis,
Und aus der Mauerſcharte weiß
Des Graſes Finger winken ſehn,
Die alten Gräben, halb verſchüttet,
Die Warte bröckelnd, grau, zerrüttet,
Und über'm Thor das Fenſterlein,
Draus öfters trat der Fackel Schein
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 34
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/543>, abgerufen am 22.02.2025.
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