Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht Die Zinnen streckt der Felsenbau, In seiner Trümmer Irrgeflecht Ein Thal sich lagert, eng und rauh. Da harrt es nun in ew'gem Lauschen, Nicht Vogelsang, nicht Blätterrauschen, Nein, wie die Stürme Seufzer tauschen. Inmitten schwärzlich ruht der See, Der des verlornen Strahles Weh Gefesselt hält in seinen Flächen, So dort gleich dem Gefangnen liegt, Sich angstvoll an die Decke schmiegt, Den glas'gen Kerker zu durchbrechen. Und nah dem unwirthbaren Strand Das Hospital steigt in die Höh' So schlicht wie eine Klippenwand, Der Wandrer unterscheidet's nicht. Nur wenn ein Klang die Stille bricht, Vom Hochaltar das ew'ge Licht Wenn's durch die Nacht den blassen Schein Wirft in das Schneegefild' hinein, Lenkt er zur Schwelle seinen Schritt, Der wahrlich sonst vorüber glitt. Denn in der Dämmrung ungestalt Erscheint es wie ein Felsengrat Rings eingekerbt von weitem Spalt.
Zweiter Geſang.
Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht Die Zinnen ſtreckt der Felſenbau, In ſeiner Trümmer Irrgeflecht Ein Thal ſich lagert, eng und rauh. Da harrt es nun in ew'gem Lauſchen, Nicht Vogelſang, nicht Blätterrauſchen, Nein, wie die Stürme Seufzer tauſchen. Inmitten ſchwärzlich ruht der See, Der des verlornen Strahles Weh Gefeſſelt hält in ſeinen Flächen, So dort gleich dem Gefangnen liegt, Sich angſtvoll an die Decke ſchmiegt, Den glaſ'gen Kerker zu durchbrechen. Und nah dem unwirthbaren Strand Das Hospital ſteigt in die Höh' So ſchlicht wie eine Klippenwand, Der Wandrer unterſcheidet's nicht. Nur wenn ein Klang die Stille bricht, Vom Hochaltar das ew'ge Licht Wenn's durch die Nacht den blaſſen Schein Wirft in das Schneegefild' hinein, Lenkt er zur Schwelle ſeinen Schritt, Der wahrlich ſonſt vorüber glitt. Denn in der Dämmrung ungeſtalt Erſcheint es wie ein Felſengrat Rings eingekerbt von weitem Spalt.
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Zweiter Geſang.
Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht
Die Zinnen ſtreckt der Felſenbau,
In ſeiner Trümmer Irrgeflecht
Ein Thal ſich lagert, eng und rauh.
Da harrt es nun in ew'gem Lauſchen,
Nicht Vogelſang, nicht Blätterrauſchen,
Nein, wie die Stürme Seufzer tauſchen.
Inmitten ſchwärzlich ruht der See,
Der des verlornen Strahles Weh
Gefeſſelt hält in ſeinen Flächen,
So dort gleich dem Gefangnen liegt,
Sich angſtvoll an die Decke ſchmiegt,
Den glaſ'gen Kerker zu durchbrechen.
Und nah dem unwirthbaren Strand
Das Hospital ſteigt in die Höh'
So ſchlicht wie eine Klippenwand,
Der Wandrer unterſcheidet's nicht.
Nur wenn ein Klang die Stille bricht,
Vom Hochaltar das ew'ge Licht
Wenn's durch die Nacht den blaſſen Schein
Wirft in das Schneegefild' hinein,
Lenkt er zur Schwelle ſeinen Schritt,
Der wahrlich ſonſt vorüber glitt.
Denn in der Dämmrung ungeſtalt
Erſcheint es wie ein Felſengrat
Rings eingekerbt von weitem Spalt.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/442>, abgerufen am 22.02.2025.
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