Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Fundator.
Im Westen schwimmt ein falber Strich,
Der Abendstern entzündet sich
Grad' über'm Sankt Georg am Thore;
Schwer haucht der Dunst vom nahen Moore.
Schlaftrunkne Schwäne kreisen sacht
Um's Eiland, wo die graue Wacht
Sich hebt aus Wasserbins' und Rohre.
Auf ihrem Dach die Fledermaus,
Sie schaukelt sich, sie breitet aus
Den Rippenschirm des Schwingenflosses,
Und, mit dem Schwirren des Geschosses,
Entlang den Teich, hinauf, hinab,
Dann klammert sie am Fensterstab,
Und blinzt in das Gemach des Schlosses.
Ein weit Gelaß, im Sammetstaat!
Wo einst der mächtige Prälat
Des Hauses Chronik hat geschrieben.
Frisch ist der Baldachin geblieben,
Der güldne Tisch, an dem er saß,
Und seine Seelenmesse las
Man heut in der Kapelle drüben.
Heut sind es grade hundert Jahr,
Seit er gelegen auf der Bahr'
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 19
Der Fundator.
Im Weſten ſchwimmt ein falber Strich,
Der Abendſtern entzündet ſich
Grad' über'm Sankt Georg am Thore;
Schwer haucht der Dunſt vom nahen Moore.
Schlaftrunkne Schwäne kreiſen ſacht
Um's Eiland, wo die graue Wacht
Sich hebt aus Waſſerbinſ' und Rohre.
Auf ihrem Dach die Fledermaus,
Sie ſchaukelt ſich, ſie breitet aus
Den Rippenſchirm des Schwingenfloſſes,
Und, mit dem Schwirren des Geſchoſſes,
Entlang den Teich, hinauf, hinab,
Dann klammert ſie am Fenſterſtab,
Und blinzt in das Gemach des Schloſſes.
Ein weit Gelaß, im Sammetſtaat!
Wo einſt der mächtige Prälat
Des Hauſes Chronik hat geſchrieben.
Friſch iſt der Baldachin geblieben,
Der güldne Tiſch, an dem er ſaß,
Und ſeine Seelenmeſſe las
Man heut in der Kapelle drüben.
Heut ſind es grade hundert Jahr,
Seit er gelegen auf der Bahr'
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0303" n="289"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der Fundator.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Im We&#x017F;ten &#x017F;chwimmt ein falber Strich,</l><lb/>
              <l>Der Abend&#x017F;tern entzündet &#x017F;ich</l><lb/>
              <l>Grad' über'm Sankt Georg am Thore;</l><lb/>
              <l>Schwer haucht der Dun&#x017F;t vom nahen Moore.</l><lb/>
              <l>Schlaftrunkne Schwäne krei&#x017F;en &#x017F;acht</l><lb/>
              <l>Um's Eiland, wo die graue Wacht</l><lb/>
              <l>Sich hebt aus Wa&#x017F;&#x017F;erbin&#x017F;' und Rohre.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Auf ihrem Dach die Fledermaus,</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;chaukelt &#x017F;ich, &#x017F;ie breitet aus</l><lb/>
              <l>Den Rippen&#x017F;chirm des Schwingenflo&#x017F;&#x017F;es,</l><lb/>
              <l>Und, mit dem Schwirren des Ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;es,</l><lb/>
              <l>Entlang den Teich, hinauf, hinab,</l><lb/>
              <l>Dann klammert &#x017F;ie am Fen&#x017F;ter&#x017F;tab,</l><lb/>
              <l>Und blinzt in das Gemach des Schlo&#x017F;&#x017F;es.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Ein weit Gelaß, im Sammet&#x017F;taat!</l><lb/>
              <l>Wo ein&#x017F;t der mächtige Prälat</l><lb/>
              <l>Des Hau&#x017F;es Chronik hat ge&#x017F;chrieben.</l><lb/>
              <l>Fri&#x017F;ch i&#x017F;t der Baldachin geblieben,</l><lb/>
              <l>Der güldne Ti&#x017F;ch, an dem er &#x017F;aß,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;eine Seelenme&#x017F;&#x017F;e las</l><lb/>
              <l>Man heut in der Kapelle drüben.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>Heut &#x017F;ind es grade hundert Jahr,</l><lb/>
              <l>Seit er gelegen auf der Bahr'</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">v</hi>. <hi rendition="#g">Dro&#x017F;te-Hülshof</hi>, Gedichte. 19<lb/></fw>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0303] Der Fundator. Im Weſten ſchwimmt ein falber Strich, Der Abendſtern entzündet ſich Grad' über'm Sankt Georg am Thore; Schwer haucht der Dunſt vom nahen Moore. Schlaftrunkne Schwäne kreiſen ſacht Um's Eiland, wo die graue Wacht Sich hebt aus Waſſerbinſ' und Rohre. Auf ihrem Dach die Fledermaus, Sie ſchaukelt ſich, ſie breitet aus Den Rippenſchirm des Schwingenfloſſes, Und, mit dem Schwirren des Geſchoſſes, Entlang den Teich, hinauf, hinab, Dann klammert ſie am Fenſterſtab, Und blinzt in das Gemach des Schloſſes. Ein weit Gelaß, im Sammetſtaat! Wo einſt der mächtige Prälat Des Hauſes Chronik hat geſchrieben. Friſch iſt der Baldachin geblieben, Der güldne Tiſch, an dem er ſaß, Und ſeine Seelenmeſſe las Man heut in der Kapelle drüben. Heut ſind es grade hundert Jahr, Seit er gelegen auf der Bahr' v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/303
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/303>, abgerufen am 30.12.2024.