Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Der metaphysische Zusammenhang der Welt.
der logischen Selbstbesinnung begründet war. So ist die Meta-
physik die nothwendige Grundlage der Wissenschaften des Kosmos
geworden und sie zuerst hat ihnen verstandesmäßig präparirte
Grundbegriffe geliehen. In dem Inneren dieser Metaphysik be-
reitete sich alsdann der kritische Standpunkt vor; denn erst die
verstandesmäßige Zergliederung der allgemeinen Bestandtheile des
Wirklichen ermöglichte, in ihnen Bewußtseinsthatsachen aufzufassen.
In ihrem Schooße hat sich auch vorbereitet, was die Erkenntniß-
theorie vielleicht über Kant hinausführen kann. Denn wenn die
Unmöglichkeit sich herausstellen sollte, diesen Bestandtheilen der
Wirklichkeit eine logisch klare Form zu geben, dann öffnete sich
unserer geschichtlichen und psychologischen Betrachtung der Blick in
einen Ursprung derselben, welcher nicht in dem abstrakten Verstande
liegen könnte.

Der metaphysische Zusammenhang der Welt.

Diese metaphysische Analysis vollbringt als erste große
Leistung die Auffindung und gedankenmäßige Darstellung der
allgemeinen Bestandtheile der Wirklichkeit, wie dieselben der Unter-
suchung des Aristoteles sich ergaben. Solche Elemente oder
Prinzipien, welche im realen Zusammenhang des Kosmos überall
wiedergefunden werden, bieten sich dem gewöhnlichen Vorstellen
schon in der Realität, dem Ding und seinen Eigenschaften, dem
Wirken und Leiden dar. Aristoteles hat diese allgemeinen Be-
standtheile, welche in den Kosmos verwebt sind, zuerst isolirt und
wie einfache Körper darzustellen versucht. Wir sind hier nicht
genöthigt, das sehr dunkle und schwierige Verhältniß zu unter-
suchen, in welchem die von ihm aufgefundenen Kategorien zu
seinen metaphysischen Prinzipien stehen; uns genügt der klare
Thatbestand seiner Ergebnisse.

Das tragische Schicksal dieser großen und immer fortgehenden
Arbeit der Metaphysik, welche unablässig darauf gerichtet ist, die
allgemeinen Bestandtheile der Wirklichkeit so zu entwickeln, daß
eine reale und objektive Erkenntniß des Weltzusammenhangs mög-
lich sei, beginnt, sich nunmehr Akt auf Akt vor uns zu enthüllen!

Der metaphyſiſche Zuſammenhang der Welt.
der logiſchen Selbſtbeſinnung begründet war. So iſt die Meta-
phyſik die nothwendige Grundlage der Wiſſenſchaften des Kosmos
geworden und ſie zuerſt hat ihnen verſtandesmäßig präparirte
Grundbegriffe geliehen. In dem Inneren dieſer Metaphyſik be-
reitete ſich alsdann der kritiſche Standpunkt vor; denn erſt die
verſtandesmäßige Zergliederung der allgemeinen Beſtandtheile des
Wirklichen ermöglichte, in ihnen Bewußtſeinsthatſachen aufzufaſſen.
In ihrem Schooße hat ſich auch vorbereitet, was die Erkenntniß-
theorie vielleicht über Kant hinausführen kann. Denn wenn die
Unmöglichkeit ſich herausſtellen ſollte, dieſen Beſtandtheilen der
Wirklichkeit eine logiſch klare Form zu geben, dann öffnete ſich
unſerer geſchichtlichen und pſychologiſchen Betrachtung der Blick in
einen Urſprung derſelben, welcher nicht in dem abſtrakten Verſtande
liegen könnte.

Der metaphyſiſche Zuſammenhang der Welt.

Dieſe metaphyſiſche Analyſis vollbringt als erſte große
Leiſtung die Auffindung und gedankenmäßige Darſtellung der
allgemeinen Beſtandtheile der Wirklichkeit, wie dieſelben der Unter-
ſuchung des Ariſtoteles ſich ergaben. Solche Elemente oder
Prinzipien, welche im realen Zuſammenhang des Kosmos überall
wiedergefunden werden, bieten ſich dem gewöhnlichen Vorſtellen
ſchon in der Realität, dem Ding und ſeinen Eigenſchaften, dem
Wirken und Leiden dar. Ariſtoteles hat dieſe allgemeinen Be-
ſtandtheile, welche in den Kosmos verwebt ſind, zuerſt iſolirt und
wie einfache Körper darzuſtellen verſucht. Wir ſind hier nicht
genöthigt, das ſehr dunkle und ſchwierige Verhältniß zu unter-
ſuchen, in welchem die von ihm aufgefundenen Kategorien zu
ſeinen metaphyſiſchen Prinzipien ſtehen; uns genügt der klare
Thatbeſtand ſeiner Ergebniſſe.

Das tragiſche Schickſal dieſer großen und immer fortgehenden
Arbeit der Metaphyſik, welche unabläſſig darauf gerichtet iſt, die
allgemeinen Beſtandtheile der Wirklichkeit ſo zu entwickeln, daß
eine reale und objektive Erkenntniß des Weltzuſammenhangs mög-
lich ſei, beginnt, ſich nunmehr Akt auf Akt vor uns zu enthüllen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0276" n="253"/><fw place="top" type="header">Der metaphy&#x017F;i&#x017F;che Zu&#x017F;ammenhang der Welt.</fw><lb/>
der logi&#x017F;chen Selb&#x017F;tbe&#x017F;innung begründet war. So i&#x017F;t die Meta-<lb/>
phy&#x017F;ik die nothwendige Grundlage der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften des Kosmos<lb/>
geworden und &#x017F;ie zuer&#x017F;t hat ihnen ver&#x017F;tandesmäßig präparirte<lb/>
Grundbegriffe geliehen. In dem Inneren die&#x017F;er Metaphy&#x017F;ik be-<lb/>
reitete &#x017F;ich alsdann der kriti&#x017F;che Standpunkt vor; denn er&#x017F;t die<lb/>
ver&#x017F;tandesmäßige Zergliederung der allgemeinen Be&#x017F;tandtheile des<lb/>
Wirklichen ermöglichte, in ihnen Bewußt&#x017F;einsthat&#x017F;achen aufzufa&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
In ihrem Schooße hat &#x017F;ich auch vorbereitet, was die Erkenntniß-<lb/>
theorie vielleicht über Kant hinausführen kann. Denn wenn die<lb/>
Unmöglichkeit &#x017F;ich heraus&#x017F;tellen &#x017F;ollte, die&#x017F;en Be&#x017F;tandtheilen der<lb/>
Wirklichkeit eine logi&#x017F;ch klare Form zu geben, dann öffnete &#x017F;ich<lb/>
un&#x017F;erer ge&#x017F;chichtlichen und p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Betrachtung der Blick in<lb/>
einen Ur&#x017F;prung der&#x017F;elben, welcher nicht in dem ab&#x017F;trakten Ver&#x017F;tande<lb/>
liegen könnte.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#g">Der metaphy&#x017F;i&#x017F;che Zu&#x017F;ammenhang der Welt.</hi> </head><lb/>
              <p>Die&#x017F;e metaphy&#x017F;i&#x017F;che Analy&#x017F;is vollbringt als er&#x017F;te große<lb/>
Lei&#x017F;tung die Auffindung und gedankenmäßige Dar&#x017F;tellung der<lb/>
allgemeinen Be&#x017F;tandtheile der Wirklichkeit, wie die&#x017F;elben der Unter-<lb/>
&#x017F;uchung des Ari&#x017F;toteles &#x017F;ich ergaben. Solche Elemente oder<lb/>
Prinzipien, welche im realen Zu&#x017F;ammenhang des Kosmos überall<lb/>
wiedergefunden werden, bieten &#x017F;ich dem gewöhnlichen Vor&#x017F;tellen<lb/>
&#x017F;chon in der Realität, dem Ding und &#x017F;einen Eigen&#x017F;chaften, dem<lb/>
Wirken und Leiden dar. Ari&#x017F;toteles hat die&#x017F;e allgemeinen Be-<lb/>
&#x017F;tandtheile, welche in den Kosmos verwebt &#x017F;ind, zuer&#x017F;t i&#x017F;olirt und<lb/>
wie einfache Körper darzu&#x017F;tellen ver&#x017F;ucht. Wir &#x017F;ind hier nicht<lb/>
genöthigt, das &#x017F;ehr dunkle und &#x017F;chwierige Verhältniß zu unter-<lb/>
&#x017F;uchen, in welchem die von ihm aufgefundenen Kategorien zu<lb/>
&#x017F;einen metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Prinzipien &#x017F;tehen; uns genügt der klare<lb/>
Thatbe&#x017F;tand &#x017F;einer Ergebni&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
              <p>Das tragi&#x017F;che Schick&#x017F;al die&#x017F;er großen und immer fortgehenden<lb/>
Arbeit der Metaphy&#x017F;ik, welche unablä&#x017F;&#x017F;ig darauf gerichtet i&#x017F;t, die<lb/>
allgemeinen Be&#x017F;tandtheile der Wirklichkeit &#x017F;o zu entwickeln, daß<lb/>
eine reale und objektive Erkenntniß des Weltzu&#x017F;ammenhangs mög-<lb/>
lich &#x017F;ei, beginnt, &#x017F;ich nunmehr Akt auf Akt vor uns zu enthüllen!<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0276] Der metaphyſiſche Zuſammenhang der Welt. der logiſchen Selbſtbeſinnung begründet war. So iſt die Meta- phyſik die nothwendige Grundlage der Wiſſenſchaften des Kosmos geworden und ſie zuerſt hat ihnen verſtandesmäßig präparirte Grundbegriffe geliehen. In dem Inneren dieſer Metaphyſik be- reitete ſich alsdann der kritiſche Standpunkt vor; denn erſt die verſtandesmäßige Zergliederung der allgemeinen Beſtandtheile des Wirklichen ermöglichte, in ihnen Bewußtſeinsthatſachen aufzufaſſen. In ihrem Schooße hat ſich auch vorbereitet, was die Erkenntniß- theorie vielleicht über Kant hinausführen kann. Denn wenn die Unmöglichkeit ſich herausſtellen ſollte, dieſen Beſtandtheilen der Wirklichkeit eine logiſch klare Form zu geben, dann öffnete ſich unſerer geſchichtlichen und pſychologiſchen Betrachtung der Blick in einen Urſprung derſelben, welcher nicht in dem abſtrakten Verſtande liegen könnte. Der metaphyſiſche Zuſammenhang der Welt. Dieſe metaphyſiſche Analyſis vollbringt als erſte große Leiſtung die Auffindung und gedankenmäßige Darſtellung der allgemeinen Beſtandtheile der Wirklichkeit, wie dieſelben der Unter- ſuchung des Ariſtoteles ſich ergaben. Solche Elemente oder Prinzipien, welche im realen Zuſammenhang des Kosmos überall wiedergefunden werden, bieten ſich dem gewöhnlichen Vorſtellen ſchon in der Realität, dem Ding und ſeinen Eigenſchaften, dem Wirken und Leiden dar. Ariſtoteles hat dieſe allgemeinen Be- ſtandtheile, welche in den Kosmos verwebt ſind, zuerſt iſolirt und wie einfache Körper darzuſtellen verſucht. Wir ſind hier nicht genöthigt, das ſehr dunkle und ſchwierige Verhältniß zu unter- ſuchen, in welchem die von ihm aufgefundenen Kategorien zu ſeinen metaphyſiſchen Prinzipien ſtehen; uns genügt der klare Thatbeſtand ſeiner Ergebniſſe. Das tragiſche Schickſal dieſer großen und immer fortgehenden Arbeit der Metaphyſik, welche unabläſſig darauf gerichtet iſt, die allgemeinen Beſtandtheile der Wirklichkeit ſo zu entwickeln, daß eine reale und objektive Erkenntniß des Weltzuſammenhangs mög- lich ſei, beginnt, ſich nunmehr Akt auf Akt vor uns zu enthüllen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Darüber hinaus sind keine weiteren Bände erschien… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/276
Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/276>, abgerufen am 21.11.2024.