Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Thatsachen hervortreten, welche vordem eben so da, aber gewisser-maßen unter dem Horizont der philosophischen Besinnung ge- blieben waren. Man kann die Frage aufwerfen, ob nicht die Ideenlehre in der ersten Konception, wie sie der Phädrus zeigt, noch auf sittliche Ideen beschränkt war. Gleichviel welche Be- antwortung diese Frage finde: das Typische, Urbildliche in den Ideen beweist, welchen Antheil die erhabene Stimmung des pla- tonischen Geistes, das Sittliche und Aesthetische an der Ausbil- dung seiner Ideenwelt hatte. Dies also war es, was der jugendliche Plato aus den Be- Das aber, was der Begriff an der Wirklichkeit nicht erfaßt, Die Begründung dieser Metaphysik der substan- tialen Formen. Ihr monotheistischer Abschluß. Und welches sind nun die Glieder der Beweisführung, 1) Phädo 100 f.
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Thatſachen hervortreten, welche vordem eben ſo da, aber gewiſſer-maßen unter dem Horizont der philoſophiſchen Beſinnung ge- blieben waren. Man kann die Frage aufwerfen, ob nicht die Ideenlehre in der erſten Konception, wie ſie der Phädrus zeigt, noch auf ſittliche Ideen beſchränkt war. Gleichviel welche Be- antwortung dieſe Frage finde: das Typiſche, Urbildliche in den Ideen beweiſt, welchen Antheil die erhabene Stimmung des pla- toniſchen Geiſtes, das Sittliche und Aeſthetiſche an der Ausbil- dung ſeiner Ideenwelt hatte. Dies alſo war es, was der jugendliche Plato aus den Be- Das aber, was der Begriff an der Wirklichkeit nicht erfaßt, Die Begründung dieſer Metaphyſik der ſubſtan- tialen Formen. Ihr monotheiſtiſcher Abſchluß. Und welches ſind nun die Glieder der Beweisführung, 1) Phädo 100 f.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0257" n="234"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.</fw><lb/><hi rendition="#g">Thatſachen</hi> hervortreten, welche vordem eben ſo da, aber gewiſſer-<lb/> maßen unter dem Horizont der philoſophiſchen Beſinnung ge-<lb/> blieben waren. Man kann die Frage aufwerfen, ob nicht die<lb/> Ideenlehre in der erſten Konception, wie ſie der Phädrus zeigt,<lb/> noch auf ſittliche Ideen beſchränkt war. Gleichviel welche Be-<lb/> antwortung dieſe Frage finde: das Typiſche, Urbildliche in den<lb/> Ideen beweiſt, welchen Antheil die erhabene Stimmung des pla-<lb/> toniſchen Geiſtes, das Sittliche und Aeſthetiſche an der Ausbil-<lb/> dung ſeiner Ideenwelt hatte.</p><lb/> <p>Dies alſo war es, was der jugendliche Plato aus den Be-<lb/> griffsbeſtimmungen ſeines Lehrers mit dem Blick des Genius<lb/> herauslas. Das wahre, ewige Sein kann in dem Syſtem der<lb/> Begriffe, welche das im Wechſel Beharrende erfaſſen, dargeſtellt<lb/> werden. Dieſe in Begriffen darſtellbaren Beſtandtheile, die Ideen,<lb/> und ihre Beziehungen zueinander bilden die denknothwendigen<lb/> Bedingungen des Gegebenen. Plato bezeichnet in dieſem Zu-<lb/> ſammenhang die Ideenlehre geradezu als „ſichere Hypotheſis“ <note place="foot" n="1)">Phädo 100 f.</note>.<lb/> Die Wiſſenſchaft dieſer Ideen, ſeine Wiſſenſchaft, iſt daher, wie<lb/> man richtig geſagt hat, ontologiſch, nicht genetiſch.</p><lb/> <p>Das aber, was der Begriff an der Wirklichkeit nicht erfaßt,<lb/> was ſonach nicht aus der Idee begreiflich gemacht werden kann —<lb/> iſt die <hi rendition="#g">Materie</hi>. Eine geſtaltloſe, unbegrenzte Weſenheit, Urſache<lb/> und Erklärungsgrund (ſofern ſie überhaupt etwas erklärt) für den<lb/> Wechſel und die Unvollkommenheit der Phänomene, der dunkle Reſt,<lb/> welchen die Wiſſenſchaft des Plato von der Wirklichkeit als ge-<lb/> dankenlos, ſchließlich unfaßbar zurückläßt, ein Wort für einen Un-<lb/> begriff d. h. für das <hi rendition="#aq">x</hi>, deſſen nähere Erwägung dieſe ganze<lb/> Formenlehre ſpäter vernichten ſollte.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head><hi rendition="#g">Die Begründung dieſer Metaphyſik der ſubſtan-<lb/> tialen Formen. Ihr monotheiſtiſcher Abſchluß</hi>.</head><lb/> <p>Und welches ſind nun die <hi rendition="#g">Glieder der Beweisführung</hi>,<lb/> vermittelſt deren Plato die Ideen, welche er in dem ethiſch mächtigen<lb/> Menſchengeiſte, in dem ſchönheiterfüllten, gedankenmäßigen Kosmos<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0257]
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
Thatſachen hervortreten, welche vordem eben ſo da, aber gewiſſer-
maßen unter dem Horizont der philoſophiſchen Beſinnung ge-
blieben waren. Man kann die Frage aufwerfen, ob nicht die
Ideenlehre in der erſten Konception, wie ſie der Phädrus zeigt,
noch auf ſittliche Ideen beſchränkt war. Gleichviel welche Be-
antwortung dieſe Frage finde: das Typiſche, Urbildliche in den
Ideen beweiſt, welchen Antheil die erhabene Stimmung des pla-
toniſchen Geiſtes, das Sittliche und Aeſthetiſche an der Ausbil-
dung ſeiner Ideenwelt hatte.
Dies alſo war es, was der jugendliche Plato aus den Be-
griffsbeſtimmungen ſeines Lehrers mit dem Blick des Genius
herauslas. Das wahre, ewige Sein kann in dem Syſtem der
Begriffe, welche das im Wechſel Beharrende erfaſſen, dargeſtellt
werden. Dieſe in Begriffen darſtellbaren Beſtandtheile, die Ideen,
und ihre Beziehungen zueinander bilden die denknothwendigen
Bedingungen des Gegebenen. Plato bezeichnet in dieſem Zu-
ſammenhang die Ideenlehre geradezu als „ſichere Hypotheſis“ 1).
Die Wiſſenſchaft dieſer Ideen, ſeine Wiſſenſchaft, iſt daher, wie
man richtig geſagt hat, ontologiſch, nicht genetiſch.
Das aber, was der Begriff an der Wirklichkeit nicht erfaßt,
was ſonach nicht aus der Idee begreiflich gemacht werden kann —
iſt die Materie. Eine geſtaltloſe, unbegrenzte Weſenheit, Urſache
und Erklärungsgrund (ſofern ſie überhaupt etwas erklärt) für den
Wechſel und die Unvollkommenheit der Phänomene, der dunkle Reſt,
welchen die Wiſſenſchaft des Plato von der Wirklichkeit als ge-
dankenlos, ſchließlich unfaßbar zurückläßt, ein Wort für einen Un-
begriff d. h. für das x, deſſen nähere Erwägung dieſe ganze
Formenlehre ſpäter vernichten ſollte.
Die Begründung dieſer Metaphyſik der ſubſtan-
tialen Formen. Ihr monotheiſtiſcher Abſchluß.
Und welches ſind nun die Glieder der Beweisführung,
vermittelſt deren Plato die Ideen, welche er in dem ethiſch mächtigen
Menſchengeiſte, in dem ſchönheiterfüllten, gedankenmäßigen Kosmos
1) Phädo 100 f.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDarüber hinaus sind keine weiteren Bände erschien… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |