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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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die einzige Quelle des Glaubens wäre, dann hätte die
Kirche 100 Jahre lang diese Quelle entbehrt, da erst
100 Jahre nach Christi Geburt die Bibel vollendet war.
Sie konnte nicht das Fundament der Kirche sein, da
Christus lange vor ihrer Entstehung die Kirche vollendet hatte.
Sie konnte auch nicht als Glaubensregel für die Christen
dienen, da die Bibel, bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst,
nur im Besitze weniger gelehrter und bemittelter Männer
war. Hundert Jahre früher hätte deshalb Luthers Bibel-
theorie sich als eine Chimäre erwiesen und keinen Anklang
gefunden.

Gelegentlich sei hier auf die gleiche Schwierigkeit für die
Protestanten aufmerksam gemacht bezüglich des Charakters der
heiligen Schrift als "Wort Gottes", d. h. bezüglich ihrer
Jnspiration. Dafür bietet die Schrift selbst nicht die genü-
gende Garantie, sonst könnten die Bücher des Confutse, des
Buddha, des Koran und die Apokryphen des Christen-
tums, die gleiche Geltung in Anspruch nehmen. Nur die
Auktorität der Kirche verbürgt uns die Jnspiration der Schrift
und ihrer Geltung als Wort Gottes. Es ist ein gewohntes
und beliebtes Steckenpferd des Herrn Pastors Thümmel, die
Katholiken der "Götzendienerei" zu beschuldigen, weil sie ein
"Stücklein gebackenen Brotes" als Gott anbeteten. Mit
welchem Rechte kann derselbe aber die heilige Schrift als
"Wort Gottes" ausgeben, da die Bücher derselben nur von
Menschen geschrieben sind? Wenn, obschon Menschen die
Verfasser sind, der Jnhalt doch Gottes Wort ist, dann kann er
keinen gerechten Vorwand finden, die Gegenwart Christi zu
leugnen, und uns der Götzendienerei zu beschuldigen. Er
glaubt, daß in der Schrift Gottes Wort sei; wir Katholiken
glauben, daß in der heiligen Hostie Christi Leib sei. Thümmel

die einzige Quelle des Glaubens wäre, dann hätte die
Kirche 100 Jahre lang dieſe Quelle entbehrt, da erſt
100 Jahre nach Chriſti Geburt die Bibel vollendet war.
Sie konnte nicht das Fundament der Kirche ſein, da
Chriſtus lange vor ihrer Entſtehung die Kirche vollendet hatte.
Sie konnte auch nicht als Glaubensregel für die Chriſten
dienen, da die Bibel, bis zur Erfindung der Buchdruckerkunſt,
nur im Beſitze weniger gelehrter und bemittelter Männer
war. Hundert Jahre früher hätte deshalb Luthers Bibel-
theorie ſich als eine Chimäre erwieſen und keinen Anklang
gefunden.

Gelegentlich ſei hier auf die gleiche Schwierigkeit für die
Proteſtanten aufmerkſam gemacht bezüglich des Charakters der
heiligen Schrift als „Wort Gottes‟, d. h. bezüglich ihrer
Jnſpiration. Dafür bietet die Schrift ſelbſt nicht die genü-
gende Garantie, ſonſt könnten die Bücher des Confutſe, des
Buddha, des Koran und die Apokryphen des Chriſten-
tums, die gleiche Geltung in Anſpruch nehmen. Nur die
Auktorität der Kirche verbürgt uns die Jnſpiration der Schrift
und ihrer Geltung als Wort Gottes. Es iſt ein gewohntes
und beliebtes Steckenpferd des Herrn Paſtors Thümmel, die
Katholiken der „Götzendienerei‟ zu beſchuldigen, weil ſie ein
„Stücklein gebackenen Brotes‟ als Gott anbeteten. Mit
welchem Rechte kann derſelbe aber die heilige Schrift als
„Wort Gottes‟ ausgeben, da die Bücher derſelben nur von
Menſchen geſchrieben ſind? Wenn, obſchon Menſchen die
Verfaſſer ſind, der Jnhalt doch Gottes Wort iſt, dann kann er
keinen gerechten Vorwand finden, die Gegenwart Chriſti zu
leugnen, und uns der Götzendienerei zu beſchuldigen. Er
glaubt, daß in der Schrift Gottes Wort ſei; wir Katholiken
glauben, daß in der heiligen Hoſtie Chriſti Leib ſei. Thümmel

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[36/0048] die einzige Quelle des Glaubens wäre, dann hätte die Kirche 100 Jahre lang dieſe Quelle entbehrt, da erſt 100 Jahre nach Chriſti Geburt die Bibel vollendet war. Sie konnte nicht das Fundament der Kirche ſein, da Chriſtus lange vor ihrer Entſtehung die Kirche vollendet hatte. Sie konnte auch nicht als Glaubensregel für die Chriſten dienen, da die Bibel, bis zur Erfindung der Buchdruckerkunſt, nur im Beſitze weniger gelehrter und bemittelter Männer war. Hundert Jahre früher hätte deshalb Luthers Bibel- theorie ſich als eine Chimäre erwieſen und keinen Anklang gefunden. Gelegentlich ſei hier auf die gleiche Schwierigkeit für die Proteſtanten aufmerkſam gemacht bezüglich des Charakters der heiligen Schrift als „Wort Gottes‟, d. h. bezüglich ihrer Jnſpiration. Dafür bietet die Schrift ſelbſt nicht die genü- gende Garantie, ſonſt könnten die Bücher des Confutſe, des Buddha, des Koran und die Apokryphen des Chriſten- tums, die gleiche Geltung in Anſpruch nehmen. Nur die Auktorität der Kirche verbürgt uns die Jnſpiration der Schrift und ihrer Geltung als Wort Gottes. Es iſt ein gewohntes und beliebtes Steckenpferd des Herrn Paſtors Thümmel, die Katholiken der „Götzendienerei‟ zu beſchuldigen, weil ſie ein „Stücklein gebackenen Brotes‟ als Gott anbeteten. Mit welchem Rechte kann derſelbe aber die heilige Schrift als „Wort Gottes‟ ausgeben, da die Bücher derſelben nur von Menſchen geſchrieben ſind? Wenn, obſchon Menſchen die Verfaſſer ſind, der Jnhalt doch Gottes Wort iſt, dann kann er keinen gerechten Vorwand finden, die Gegenwart Chriſti zu leugnen, und uns der Götzendienerei zu beſchuldigen. Er glaubt, daß in der Schrift Gottes Wort ſei; wir Katholiken glauben, daß in der heiligen Hoſtie Chriſti Leib ſei. Thümmel

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/48>, abgerufen am 27.04.2024.