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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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wurden; denn es giebt auch eine geschichtliche Falschmünzerei,
welche es versteht, das Recht als Unrecht und das Unrecht
als Recht zu prägen und auszugeben. Am ausgedehntesten
hat man dies versucht in der Geschichte des deutschen Volkes
seit der Reformation, wozu auch der Versuch gehört, die Re-
formation ihres natürlichen Charakters einer revolutionären
Bewegung zu entkleiden. Denn wenn die Reformation keine
Rebellion gewesen sein soll, dann hat es nie eine gegeben.
Die Beweise aber, daß sie lediglich ein Umsturz der be-
stehenden Ordnung in Staat und Kirche war, finden wir in
den zahlreichen Zeugnissen, welche wir aus dem Munde der
Zeitgenossen vernehmen, wie nicht weniger aus den Worten
und Thaten der Reformatoren selbst und aus den Urteilen,
welche protestantische Gelehrte über diese Frage gefällt
haben.

1. Unter den Zeitgenossen ist das Urteil jener
Männer besonders wertvoll, welche, einer Reformation im
guten Sinne nicht abhold, desungeachtet die Entwicklung der
Reform Luthers als eine unheilvolle "Umwälzung" beklagt und
dieselbe aus diesem Grunde verabscheut haben. Dei bekann-
testen Namen sind: Erasmus, der Jurist Zasius, Reuchlin,
Pirkheimer, Wizel, Crotus Rubianus, Wildenauer, Billicanus
u. a. m. Der zerstörende Charakter der Reformation gab
ihnen die Hauptveranlassung zu ihrer späteren Abkehr von
Luther.

Es ist eine Thatsache, welche niemand leugnen kann, daß
das "heilige römische Reich deutscher Nation" auf dem
Boden der katholischen Kirche entstanden und mit derselben
aufs innigste verwachsen war, so daß, wer die katholische Kirche
angriff oder vernichten wollte, zugleich die deutsche Reichs-
verfassung angriff und zerstörte, welche die eine christliche

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wurden; denn es giebt auch eine geſchichtliche Falſchmünzerei,
welche es verſteht, das Recht als Unrecht und das Unrecht
als Recht zu prägen und auszugeben. Am ausgedehnteſten
hat man dies verſucht in der Geſchichte des deutſchen Volkes
ſeit der Reformation, wozu auch der Verſuch gehört, die Re-
formation ihres natürlichen Charakters einer revolutionären
Bewegung zu entkleiden. Denn wenn die Reformation keine
Rebellion geweſen ſein ſoll, dann hat es nie eine gegeben.
Die Beweiſe aber, daß ſie lediglich ein Umſturz der be-
ſtehenden Ordnung in Staat und Kirche war, finden wir in
den zahlreichen Zeugniſſen, welche wir aus dem Munde der
Zeitgenoſſen vernehmen, wie nicht weniger aus den Worten
und Thaten der Reformatoren ſelbſt und aus den Urteilen,
welche proteſtantiſche Gelehrte über dieſe Frage gefällt
haben.

1. Unter den Zeitgenoſſen iſt das Urteil jener
Männer beſonders wertvoll, welche, einer Reformation im
guten Sinne nicht abhold, desungeachtet die Entwicklung der
Reform Luthers als eine unheilvolle „Umwälzung‟ beklagt und
dieſelbe aus dieſem Grunde verabſcheut haben. Dei bekann-
teſten Namen ſind: Erasmus, der Juriſt Zaſius, Reuchlin,
Pirkheimer, Wizel, Crotus Rubianus, Wildenauer, Billicanus
u. a. m. Der zerſtörende Charakter der Reformation gab
ihnen die Hauptveranlaſſung zu ihrer ſpäteren Abkehr von
Luther.

Es iſt eine Thatſache, welche niemand leugnen kann, daß
das „heilige römiſche Reich deutſcher Nation‟ auf dem
Boden der katholiſchen Kirche entſtanden und mit derſelben
aufs innigſte verwachſen war, ſo daß, wer die katholiſche Kirche
angriff oder vernichten wollte, zugleich die deutſche Reichs-
verfaſſung angriff und zerſtörte, welche die eine chriſtliche

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[3/0015] wurden; denn es giebt auch eine geſchichtliche Falſchmünzerei, welche es verſteht, das Recht als Unrecht und das Unrecht als Recht zu prägen und auszugeben. Am ausgedehnteſten hat man dies verſucht in der Geſchichte des deutſchen Volkes ſeit der Reformation, wozu auch der Verſuch gehört, die Re- formation ihres natürlichen Charakters einer revolutionären Bewegung zu entkleiden. Denn wenn die Reformation keine Rebellion geweſen ſein ſoll, dann hat es nie eine gegeben. Die Beweiſe aber, daß ſie lediglich ein Umſturz der be- ſtehenden Ordnung in Staat und Kirche war, finden wir in den zahlreichen Zeugniſſen, welche wir aus dem Munde der Zeitgenoſſen vernehmen, wie nicht weniger aus den Worten und Thaten der Reformatoren ſelbſt und aus den Urteilen, welche proteſtantiſche Gelehrte über dieſe Frage gefällt haben. 1. Unter den Zeitgenoſſen iſt das Urteil jener Männer beſonders wertvoll, welche, einer Reformation im guten Sinne nicht abhold, desungeachtet die Entwicklung der Reform Luthers als eine unheilvolle „Umwälzung‟ beklagt und dieſelbe aus dieſem Grunde verabſcheut haben. Dei bekann- teſten Namen ſind: Erasmus, der Juriſt Zaſius, Reuchlin, Pirkheimer, Wizel, Crotus Rubianus, Wildenauer, Billicanus u. a. m. Der zerſtörende Charakter der Reformation gab ihnen die Hauptveranlaſſung zu ihrer ſpäteren Abkehr von Luther. Es iſt eine Thatſache, welche niemand leugnen kann, daß das „heilige römiſche Reich deutſcher Nation‟ auf dem Boden der katholiſchen Kirche entſtanden und mit derſelben aufs innigſte verwachſen war, ſo daß, wer die katholiſche Kirche angriff oder vernichten wollte, zugleich die deutſche Reichs- verfaſſung angriff und zerſtörte, welche die eine chriſtliche 1 *

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/15>, abgerufen am 26.04.2024.