Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien
so weit vorbereitet, daß die später im Leben zu gewinnenden Eindrücke und Beobachtungen Wurzel fassen und fortwachsen können. Die also Vorgebildeten können den vaterländischen Denkmälern nicht mehr ganz blöde gegenüberstehen; sie können, wenn ihr künftiger Wohnort sie dazu auffordern wird, an der Denkmälerforschung und Denkmälerpflege nützlich mitwirken; sie können, wofern sie Lehrer werden, ihren Unterricht in der oben angedeuteten Weise dankenswert beleben und bereichern. Aller- dings setzt die vorgeschlagene Reform voraus, daß an sämt- lichen Universitäten die Kunstgeschichte ordnungsmäßig gelehrt werde.
Nachwort 1914.
Von den obigen im Jahre 1887 ausgesprochenen Wünschen ist seither einer in Erfüllung gegangen: es sind jetzt alle deut- schen Universitäten, mit Ausnahme von zweien, wirklich im Besitz kunstgeschichtlicher Lehrstühle. Dagegen ist eine engere Verbindung zwischen den kunstgeschichtlichen und geschicht- lichen Studien, wie ich sie forderte, nicht eingetreten. Man könnte eher sagen: sie haben sich weiter voneinander entfernt. Zu einem nicht geringen Teil ist die Kunsthistorie selbst daran schuld. Daß in den letzten Jahrzehnten ästhetische und psycho- logische Gesichtspunkte stärker als früher in die Gedankengänge der Kunsthistoriker hineingezogen wurden, war an sich gewiß kein Fehler. Aber zu einer verhängnisvollen Verwirrung führte es, wenn darüber in Vergessenheit geriet, daß die Kunstgeschichte, wie besonders geartet auch ihre Methoden sind und sein müssen, doch im letzten Grunde immer Geschichte ist. Auf der andern Seite habe ich nicht bemerkt, daß die Neigung der studierenden Historiker, ihren Gesichtskreis nach der Kunstge- schichte hin zu erweitern, nennenswert zugenommen habe. Wo persönliche Neigung der einzelnen vorhanden ist, findet sie zwar heute auf der Universität leichter Befriedigung als damals, vor 27 Jahren; organisatorische Fortschritte hat der Unterricht nicht gemacht. Besonders auf die Notwendigkeit, die Archivare
Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien
so weit vorbereitet, daß die später im Leben zu gewinnenden Eindrücke und Beobachtungen Wurzel fassen und fortwachsen können. Die also Vorgebildeten können den vaterländischen Denkmälern nicht mehr ganz blöde gegenüberstehen; sie können, wenn ihr künftiger Wohnort sie dazu auffordern wird, an der Denkmälerforschung und Denkmälerpflege nützlich mitwirken; sie können, wofern sie Lehrer werden, ihren Unterricht in der oben angedeuteten Weise dankenswert beleben und bereichern. Aller- dings setzt die vorgeschlagene Reform voraus, daß an sämt- lichen Universitäten die Kunstgeschichte ordnungsmäßig gelehrt werde.
Nachwort 1914.
Von den obigen im Jahre 1887 ausgesprochenen Wünschen ist seither einer in Erfüllung gegangen: es sind jetzt alle deut- schen Universitäten, mit Ausnahme von zweien, wirklich im Besitz kunstgeschichtlicher Lehrstühle. Dagegen ist eine engere Verbindung zwischen den kunstgeschichtlichen und geschicht- lichen Studien, wie ich sie forderte, nicht eingetreten. Man könnte eher sagen: sie haben sich weiter voneinander entfernt. Zu einem nicht geringen Teil ist die Kunsthistorie selbst daran schuld. Daß in den letzten Jahrzehnten ästhetische und psycho- logische Gesichtspunkte stärker als früher in die Gedankengänge der Kunsthistoriker hineingezogen wurden, war an sich gewiß kein Fehler. Aber zu einer verhängnisvollen Verwirrung führte es, wenn darüber in Vergessenheit geriet, daß die Kunstgeschichte, wie besonders geartet auch ihre Methoden sind und sein müssen, doch im letzten Grunde immer Geschichte ist. Auf der andern Seite habe ich nicht bemerkt, daß die Neigung der studierenden Historiker, ihren Gesichtskreis nach der Kunstge- schichte hin zu erweitern, nennenswert zugenommen habe. Wo persönliche Neigung der einzelnen vorhanden ist, findet sie zwar heute auf der Universität leichter Befriedigung als damals, vor 27 Jahren; organisatorische Fortschritte hat der Unterricht nicht gemacht. Besonders auf die Notwendigkeit, die Archivare
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Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien
so weit vorbereitet, daß die später im Leben zu gewinnenden
Eindrücke und Beobachtungen Wurzel fassen und fortwachsen
können. Die also Vorgebildeten können den vaterländischen
Denkmälern nicht mehr ganz blöde gegenüberstehen; sie können,
wenn ihr künftiger Wohnort sie dazu auffordern wird, an der
Denkmälerforschung und Denkmälerpflege nützlich mitwirken;
sie können, wofern sie Lehrer werden, ihren Unterricht in der oben
angedeuteten Weise dankenswert beleben und bereichern. Aller-
dings setzt die vorgeschlagene Reform voraus, daß an sämt-
lichen Universitäten die Kunstgeschichte ordnungsmäßig
gelehrt werde.
Nachwort 1914.
Von den obigen im Jahre 1887 ausgesprochenen Wünschen
ist seither einer in Erfüllung gegangen: es sind jetzt alle deut-
schen Universitäten, mit Ausnahme von zweien, wirklich im
Besitz kunstgeschichtlicher Lehrstühle. Dagegen ist eine engere
Verbindung zwischen den kunstgeschichtlichen und geschicht-
lichen Studien, wie ich sie forderte, nicht eingetreten. Man
könnte eher sagen: sie haben sich weiter voneinander entfernt.
Zu einem nicht geringen Teil ist die Kunsthistorie selbst daran
schuld. Daß in den letzten Jahrzehnten ästhetische und psycho-
logische Gesichtspunkte stärker als früher in die Gedankengänge
der Kunsthistoriker hineingezogen wurden, war an sich gewiß
kein Fehler. Aber zu einer verhängnisvollen Verwirrung führte
es, wenn darüber in Vergessenheit geriet, daß die Kunstgeschichte,
wie besonders geartet auch ihre Methoden sind und sein müssen,
doch im letzten Grunde immer Geschichte ist. Auf der
andern Seite habe ich nicht bemerkt, daß die Neigung der
studierenden Historiker, ihren Gesichtskreis nach der Kunstge-
schichte hin zu erweitern, nennenswert zugenommen habe. Wo
persönliche Neigung der einzelnen vorhanden ist, findet sie zwar
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/307>, abgerufen am 13.02.2025.
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