Sechzehntes Capitel. Religion und Kirche im Staate.
290. Der Staat, so hoch er steht, hat nicht allein die Gewalt; durch ihn geht eine Natur der Dinge, die er zuvor anerkennen muß, damit sie bedingt ihm diene; er kann meistern an der äußeren Bewegung und Darstellung der Wissenschaft, ohne ihren Inhalt abändern zu können; vor Allem ist die Religion dem Staate überlegen und es fragt sich, wie die Kirche zu ihm stehe.
Hobbes zerhaut den Knoten, er legt der Regierung unbeschränkte Macht bei die öffentliche Lehre vorzuschrei- ben; denn das Volk hat ihr alle seine ursprünglichen Rechte übergeben und Ruhe und Friede erfordern solche Vorschrift. Ob nur da nicht besser Unruhe und Unfriede wäre! An- dere dagegen wollen allgemeine Duldung, Basedow selbst allgemeine Gleichstellung in Rechten, doch beschränkt er sie am Ende auf die Christlichen Religionspartheien. Am kür- zesten und friedfertigsten wäre es, den Glauben an Gott ganz hinwegzunehmen, wofür Diderot sagte, daß er gern sein Leben gäbe, wenn er es vermöchte, und eine starke Parthei entschlossener Atheisten war mit ihm. Die starken Geister der Französischen Revolution begnügten sich zu lehren, die Religion habe gar keinen Platz in der bürger- lichen Ordnung, sie sey Sache des Einzelnen, den Staat nicht angehend, ihm gleichgültig. Im Herbste 1793 verordnete der National-Convent, daß im Jugendunter- richt von Gott und der Religion nicht mehr die Rede seyn solle. Wir wollen hier nicht fragen, ob der Staat, der seine Nahrung von der öffentlichen Sitte zieht, den Gleich-
Sechzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel. Religion und Kirche im Staate.
290. Der Staat, ſo hoch er ſteht, hat nicht allein die Gewalt; durch ihn geht eine Natur der Dinge, die er zuvor anerkennen muß, damit ſie bedingt ihm diene; er kann meiſtern an der aͤußeren Bewegung und Darſtellung der Wiſſenſchaft, ohne ihren Inhalt abaͤndern zu koͤnnen; vor Allem iſt die Religion dem Staate uͤberlegen und es fragt ſich, wie die Kirche zu ihm ſtehe.
Hobbes zerhaut den Knoten, er legt der Regierung unbeſchraͤnkte Macht bei die oͤffentliche Lehre vorzuſchrei- ben; denn das Volk hat ihr alle ſeine urſpruͤnglichen Rechte uͤbergeben und Ruhe und Friede erfordern ſolche Vorſchrift. Ob nur da nicht beſſer Unruhe und Unfriede waͤre! An- dere dagegen wollen allgemeine Duldung, Baſedow ſelbſt allgemeine Gleichſtellung in Rechten, doch beſchraͤnkt er ſie am Ende auf die Chriſtlichen Religionspartheien. Am kuͤr- zeſten und friedfertigſten waͤre es, den Glauben an Gott ganz hinwegzunehmen, wofuͤr Diderot ſagte, daß er gern ſein Leben gaͤbe, wenn er es vermoͤchte, und eine ſtarke Parthei entſchloſſener Atheiſten war mit ihm. Die ſtarken Geiſter der Franzoͤſiſchen Revolution begnuͤgten ſich zu lehren, die Religion habe gar keinen Platz in der buͤrger- lichen Ordnung, ſie ſey Sache des Einzelnen, den Staat nicht angehend, ihm gleichguͤltig. Im Herbſte 1793 verordnete der National-Convent, daß im Jugendunter- richt von Gott und der Religion nicht mehr die Rede ſeyn ſolle. Wir wollen hier nicht fragen, ob der Staat, der ſeine Nahrung von der oͤffentlichen Sitte zieht, den Gleich-
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Sechzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Religion und Kirche im Staate.
290. Der Staat, ſo hoch er ſteht, hat nicht allein
die Gewalt; durch ihn geht eine Natur der Dinge, die er
zuvor anerkennen muß, damit ſie bedingt ihm diene; er
kann meiſtern an der aͤußeren Bewegung und Darſtellung
der Wiſſenſchaft, ohne ihren Inhalt abaͤndern zu koͤnnen;
vor Allem iſt die Religion dem Staate uͤberlegen und es
fragt ſich, wie die Kirche zu ihm ſtehe.
Hobbes zerhaut den Knoten, er legt der Regierung
unbeſchraͤnkte Macht bei die oͤffentliche Lehre vorzuſchrei-
ben; denn das Volk hat ihr alle ſeine urſpruͤnglichen Rechte
uͤbergeben und Ruhe und Friede erfordern ſolche Vorſchrift.
Ob nur da nicht beſſer Unruhe und Unfriede waͤre! An-
dere dagegen wollen allgemeine Duldung, Baſedow ſelbſt
allgemeine Gleichſtellung in Rechten, doch beſchraͤnkt er ſie
am Ende auf die Chriſtlichen Religionspartheien. Am kuͤr-
zeſten und friedfertigſten waͤre es, den Glauben an Gott
ganz hinwegzunehmen, wofuͤr Diderot ſagte, daß er gern
ſein Leben gaͤbe, wenn er es vermoͤchte, und eine ſtarke
Parthei entſchloſſener Atheiſten war mit ihm. Die ſtarken
Geiſter der Franzoͤſiſchen Revolution begnuͤgten ſich zu
lehren, die Religion habe gar keinen Platz in der buͤrger-
lichen Ordnung, ſie ſey Sache des Einzelnen, den Staat
nicht angehend, ihm gleichguͤltig. Im Herbſte 1793
verordnete der National-Convent, daß im Jugendunter-
richt von Gott und der Religion nicht mehr die Rede ſeyn
ſolle. Wir wollen hier nicht fragen, ob der Staat, der
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/322>, abgerufen am 16.07.2024.
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